Vor drei Jahren erfüllte sich die Bäuerin Ursula Trautmann ihren Traum und ging zurück nach Königsberg. Sabine Tesche besuchte sie dort und beschreibt die Schwierigkeiten des Neuanfangs in Rußland.

Ein Kanister Benzin mit dem Namen Trautmann drauf steht im besten Krankenhaus Kaliningrads, einer bei der örtlichen Polizei von Slavjanskoje und einer bei der Feuerwehr. In diesen Punkten will Ursula Trautmann lieber kein Risiko eingehen. "Man hat ja schon von Fällen gehört, daß Menschen hier nicht gerettet wurden, weil die Feuerwehr keinen Sprit hatte." Auch Polizisten trampen manchmal aus Mangel an Benzin von ihrer Dienststelle zum Ort des Verbrechen s. "Das ist eben Rußland", sagt die 70 Jahre alte Deutsche und zitiert damit einmal mehr den Satz, der alle ihre Verluste, Enttäuschungen und die Widrigkeiten der vergangenen drei Jahre erklären soll. Viel von ihrem Optimismus, der unvoreingenommenen Freude über ihr künftiges Leben in ihrer alten Heimat Ostpreußen, scheint in dieser Zeit verlorengegangen zu sein. "Ich bin härter geworden", gibt sie unumwunden zu.

Dabei hat Ursula Trautmann seit einigen Tagen eins ihrer Hauptanliegen endlich erreicht: Sie hat aus Moskau die offizielle Genehmigung bekommen, ein Stückchen Vergangenheit zu kaufen, den Annenhof. Eine inzwischen verwahrloste Villa, die sie noch aus Kindertagen kennt, 40 Kilometer von Königsberg (Kaliningrad) entfernt. Das Gebäude gehört zum ehemaligen Nachbarhof ihres verstorbenen Onkels. Dessen Hof, wie auch der ihrer Eltern ist vollkommen zerstört. "Ich wollte um jeden Preis ein altes Haus erwerben, um späteren Besuchern zu zeigen, daß es hier nicht immer nur Hütten und Betonklötze gab", s agt die Ostpreußin, die 1945 als 16jährige aus Königsberg fliehen mußte.

Wieviel sie bezahlt hat, will sie nicht verraten. "Es gibt hier zu viele Neider." Doch für die meisten Menschen wäre der Preis in jedem Fall zu hoch gewesen - denn der Hauskauf hat der Landwirtin bisher mehr Kummer als Freude bereitet.

Dabei war eigentlich alles schon 1996 geklärt. Die Ostpreußin hatte mit dem landwirtschaftlichen Verwalter des 8000 Hektar großen Gebiets, das den Annenhof einschließt und der staatlichen Sa atgutgesellschaft in Moskau gehört, einen Deal abgeschlossen. Sie liefert für die Gegend eine Milchabfüllanlage aus Deutschland, bringt ihre eigenen 80 Kühe aus dem westfälischen Hunsrück mit und stellt dann mit dem Vieh der Saatgutgesellschaft die bisher nicht vorhandene Milchversorgung Königsbergs sicher. Dafür sollte der Verwalter Nikolaj Bujankin ihr und ihrem Mann Klaus den Annenhof mit 300 Hektar Land überlassen.

Damit wollte die Ostpreußin sich nicht nur einen eigenen Traum erfüllen, "sondern ein Teil des Landes wiederaufbauen, Russen Arbeit geben, einfach helfen." Aber einfach ist in Rußland gar nichts und für Ausländer erst recht nicht. "Bis ich das begriffen hatte, habe ich einiges Lehrgeld bezahlt", sagt Ursula Trautmann, die immer wieder versucht, jede Niederlage in Erfahrung und damit in etwas Positives umzumünzen. "Was können die Russen dafür, wenn ich so blauäugig gewesen bin. Ich hätte mich eben vorher besser informieren sollen."

Denn preußisch korrekt hatte Ursula Trautmann ihre Vereinbarungen erfüllt, nur Bujankin hatte plötzlich andere Pläne. "Der dachte sich offensichtlich, jetzt schauen wir mal, wieviel man der Alten abnehmen kann", sagt Trautmann.

Denn Bujankin ließ die alte Dame die Milchverpackungsanlage in einer von ihr renovierten Halle aufbauen und sanitäre Einrichtungen installieren, um dann zu fordern, daß sein Sohn die Vermarktung übernimmt und er zudem die angelieferten Milchtüten umsonst bekommt. Für Ursula Trautmann und ihren Mann waren das unakzeptable Bedin gungen.

Statt also in ein herrschaftliches Gutshaus mit schmuckem Park zu ziehen, mußte Ursula Trautmann nun vorerst mit ihrem Wohnwagen, den sie aus Deutschland mitgebracht hatte, vorliebnehmen. "Das Haus, das mir Bujankin anstatt der Villa zur Verfügung gestellt hatte, war voller Schwamm. Ich bekam darin richtige Keuchanfälle und er wollte noch, daß ich eine Heizung einbaue", sagt die 70jährige, die an Diabetes leidet und nahezu blind ist. Letzteres ist für sie das größte Hindernis, denn sie kann da durch weder Verträge noch Abrechnungen lesen. Zudem kann sie kein Russisch.

Auch wenn sie nun den Annenhof besitzt, die Milchanlage ist bis heute nicht in Betrieb. Für ihre geringe Milchmenge lohne es sich nicht. Also wird die Milch derzeit ab Stall an Privatleute verkauft - bisher höchstens ein Plus-Minus-Geschäft. "Ab und zu fehlt auch mal eine Kuh, die Erklärungen für ihr Verschwinden gehen von ersoffen, aufgeplatzt bis hin zu plötzlichem Herztod", sagt die Viehzüchterin und lächelt.

Was nützt die Aufregung, weiß sie doch, daß ein Arbeiter oder Akademiker von seinem mageren Gehalt von durchschnittlich 1500 Rubel (120 Mark) monatlich kaum eine Familie ernähren kann. So mancher Professor fährt nebenher noch Taxi, dolmetscht oder arbeitet in einer Bar. Ursula Trautmann zahlt ihren zwölf Angestellten weit mehr als den Durchschnittslohn, doch auch sie können den Stall nicht rund um die Uhr bewachen.

Offiziell befindet sich die Arbeitslosenrate bei nur zehn Prozent, doch die Dunkelziffer is t mindestens doppelt so hoch. Auf dem Land gehen wenige einem geregelten Job nach. Es gibt kaum Industrie, die Landwirtschaft liegt zu 70 Prozent darnieder - die einstige Kornkammer Deutschlands hat nur noch versteppte Felder zu bieten.

Viele Russen ertränken ihren Kummer in Wodka, verfeuern ihre Türen und Fensterrahmen, lassen ihre Häuser verfallen, ihre Kinder verwahrlosen und klauen sich ein paar Kartoffeln vom Acker des Nachbarns. "Das schien mir 1992, als ich das erstemal hier war, noch nicht so schlimm. Die Mißgunst hat zugenommen, jeder rafft für sich alleine, niemand denkt an seinen Nächsten", glaubt Ursula Trautmann, die diese Realität in ihrer Euphorie damals vielleicht auch nicht wahrhaben wollte.

Doch Ursula Trautmann braucht Menschen, denen sie vertrauen kann - in der Beratung, im Stall, in der Verwaltung und im täglichen Leben. "Die einfachen Menschen kümmern sich rührend um mich, weder bestehlen sich mich, noch drängen sie sich auf. Aber ich kann bei keinem das Gesicht erkennen un d ihn von daher schlecht einschätzen." Dennoch wirkt sie nicht wie eine Frau, die sich schnell über den Tisch ziehen läßt. Energisch ist sie, selbstbewußt und von Haus aus Geschäftsfrau.

Die Ostpreußin kann gut Verhandeln, doch sie kommt einfach schwer mit der unzuverlässigen, launischen Art ihrer Geschäftspartner zurecht. "Bujankin will mir einen vergammelten Stall, der höchstens 10 000 Mark wert ist, für 80 000 Mark verkaufen. Ich bleibe hart und er auch. Nur läßt er das Gebäude lieber für immer lee r stehen, als nur einen Deut weniger dafür zu verlangen", sagt Trautmann, die wenig geduldig ist.

Ihrem betrügerischen deutschen Wirtschaftsberater kam sie relativ schnell auf die Schliche, aber leider erst, als er mit einem guten Teil ihres Geldes auf und davon war. Eine Buchhalterin, die alle Rechnungen wegschmiß und wenig von Bilanzen verstand, hatte Ursula Trautmann auch schnell gefeuert.

Daß sie sich jedoch in ihrer Melkerin Valentina so täuschte, kann die Ostpreußin bis heute kaum begreife n. "In den ersten beiden Jahren pendelte ich immer noch zwischen Deutschland und Königsberg. Eines Tages kam ich zum Stall und es fehlten 17 Bullen. Sie waren von Valentina verkauft worden, einfach so. Und das Geld war natürlich weg", erzählt Ursula Trautmann, der damals vor Wut und Enttäuschung ein Magengeschwür platzte.

Als sie den Direktor ihres Betriebs aufforderte, Valentina zu entlassen, weigerte er sich. "Eine zu gute Arbeiterin", so sein Argument. Inzwischen gibt es den Direktor auch nicht meh r. Und seit Ursula Trautmann fest in Rußland wohnt - inzwischen in einem kleinen Betonhäuschen - , "läuft der Betrieb recht reibungslos". Aber auch nur, weil sie ihn ständig kontrolliert.

Der vorerst letzte Rückschlag kam im April diesen Jahres. "Da haben irgendwelche Gauner die gesamte Milchabfüllanlage zerstört, aus reinem Vandalismus." Kopfschüttelnd zeigt die Ostpreußin auf die zerschnittenen Kabel, die wie Gedärme aus der Steuerungsanlage des Pasteurisators hängen. Die Kühlaggregate sind gestohle n, der Durchlauferhitzer fehlt, sogar die Toiletten wurden aus ihrer Verankerung gerissen.

Doch auch das ist kein Grund für die alte Dame zu verzweifeln. Sie will eine neue, bessere Anlage kaufen, wieder investieren und wieder riskieren, alles zu verlieren. "Ich habe es trotz allem nicht einen Tag bereut, hierhergekommen zu sein. Hier habe ich eine Aufgabe. Zu Hause im Hunsrück sind wir doch nur eine Rentnerband", sagt sie und läßt einen Moment wieder ihren Witz durchblicken, der diese resolute Frau a uch ausmacht.

Sogar der russischen Mafia trat sie mit Humor entgegen. "Vergangenen Herbst kam ein ausgesucht höflicher junger Russe zu mir und fragte, ob er mich für 100 Dollar monatlich beschützen dürfe", erzählt sie. Ablehnung war zwecklos, "das wäre lebensgefährlich gewesen." Also bot sie ihm 200 Mark und verlangte, daß er nicht nur sie, sondern auch den Stall beschütze. "In der Zeit kam mir keine Kuh weg", sagt sie lächelnd. Seit Januar hat sie allerdings keinen "Beschützer" mehr. Er wurde erschos sen. Das ist eben Rußland.