Von HANNA-LOTTE MIKUTEIT Bremen - Daß Luise Scherf (61) ihr Fahrrad schiebt, ist selten. Gewöhnlich fährt sie durch Bremen. Nun also eilig durch die Wallanlagen zum Rathaus. Freundlich grüßt sie diesen und jenen und wird gegrüßt: "Guten Tag, Luise." Ein stolzer Blick auf das historische Kleinod, dann eilt sie die Treppen zur Oberen Halle hinauf. "Wo ist Henning?" fragt die Frau des am 6. Juni mit großer Mehrheit wiedergewählten Bürgermeisters Henning Scherf (60). "Da vorn, in dem braunen Anzug, den du ihm heute morgen angezogen hast", kommt es scherzend zurück. Zielstrebig geht sie durch die Reihen zu ihm und setzt sich auf ihren Platz.

Sie ist die Frau an seiner Seite. Nicht als First Lady, schon gar nicht als Landesmutter fühle sie sich, sagt Luise Scherf. Und ist durchaus selbstbewußt genug, allein zu entscheiden, wann ihre Rolle was von ihr verlangt. Die Ausstellungseröffnung an diesem Vormittag interessiert sie, "deshalb bin ich da". Aber als Damen-Begleitung in seinem Schlepptau - "never ever", sagt die schlanke Frau mit der praktischen Kurzhaarfrisur bestimmt.

Sie lebt das öffentliche Leben, mehr aber liebt sie das ihr eigene. Wenn sie die Tür zu ihrem mitten in der Stadt gelegenen Haus zumacht, dann ist sie angekommen. Ende der 80er Jahre hatte das Ehepaar Scherf das rosenumrankte Gründerzeithaus gemeinsam mit fünf Freunden gekauft und in mehrere Wohnungen umgebaut, um darin alt zu werden. Die Scherfs leben im ersten Stock auf 85 Quadratmetern. Hohe Regale voll mit Büchern, eine gemütliche Wohnküche mit viel Holz und blau-weißem Geschirr. An weißen Wänden farbensatte Bilder, ein Ohrensessel am Fenster und überall Bücherstapel. Nach hinten liegt ein idyllischer Garten - eine Großstadtoase.

Mittelpunkt dieses Refugiums aber ist der Flügel. "Musik ist etwas Wunderbares - für die Seele, aber auch für den Verstand", sagt die Musikpädagogin. Dahinter hängt eine Schwarzweißfotografie, die ihren Mann und sie beim gemeinsamen Spiel zeigt. "Wenn wir dazu kommen, übernimmt er die einfacheren Parts", sagt sie, und über ihr Gesicht huscht ein feines Lächeln.

Spürbar nah sind die Eheleute sich, bei aller räumlichen Distanz. "Ich habe keinen Politiker geheiratet", sagt Luise Scherf. Die beiden lernten einander Ende der 50er Jahre während ihrer gemeinsamen Schulzeit in Bremen kennen. Bis heute, so die Juristentochter, bleibe ihr Mann dabei, schon bei der ersten Begegnung gewußt zu haben, daß er sie heiraten werde. Doch nach dem Abitur verließ sie ihren ungeliebten Heimatort Syke und ging ins großstädtische Berlin, begann an der Musikhochschule zu studieren. Drei Semester später meldete sich der Bekannte aus Schülertagen wieder bei ihr - "und dann ging alles ganz schnell". 1960 heirateten sie, beide noch Studenten, kurz darauf kam ihre Tochter zur Welt. "Wir haben alles geteilt", sagt Luise Scherf. Wickeln und Studieren. Damals ziemlich ungewöhnlich, aber sie habe sich eben an die preußischen Tugenden Durchhaltevermögen und Zuverlässigkeit gehalten. 1963 machten sie zeitgleich Examen in Hamburg.

Nicht einfach seien die ersten Jahre danach gewesen, sagt Luise Scherf. Ihr Mann erst Referent, dann Rechtsanwalt und Regierungsassessor, politisch zudem immer aktiver, sie mit dann drei Kindern zu Hause "im sozialen Wohnungsbau". Nach sechs Jahren begann Luise Scherf zu arbeiten. "Ich wollte nicht immer hinter dem Schlußlicht seines Fahrrads hergucken."

17 Jahre war sie Lehrerin an einer Grundschule, begann eigene musikpädagogische Konzepte zu entwickeln. "Zuhör-Erziehung" nennt sie das. Mozarts Zauberflöte als Puppenspiel, ein Bachpräludium mit Seifenblasen. 1986, als die Kinder aus dem Haus waren, ging sie nach Nicaragua und führte dort ihre Arbeit fort. Seither macht sie nur noch freiberuflich Projekte. "Man muß Musik für Kinder erfahrbar machen", sagt sie, setzt sich an den Flügel und spielt leichthändig, ohne auf das Blatt zu schauen, ein Stück von Bach.

Daß "Hennings Bürgermeisterei" öffentliche Aufgaben von ihr verlangt, ist für sie inzwischen selbstverständlich. Schon während seiner ersten Amtsperiode hat sie den Vorsitz des Bremischen Müttergenesungswerks übernommen, außerdem ist sie im Förderkreis für ein Kinderkrankenhaus aktiv. Gerade organisiert sie das Damenprogramm für das jährliche Ministerpräsidententreffen im November, das diesmal in Bremen stattfindet. "Ich hätte das auch dem Protokoll überlassen können", sagt sie, "aber da bin ich bremisch-hanseatisch. Ich will zeigen, daß wir es gut machen."

Offen, direkt und unkompliziert: Luise und Henning Scherf passen zueinander und nach Bremen. "Natürlich hat die Art, wie er ist, auch mit mir zu tun", sagt die Frau des Bürgermeisters. 39 Jahre sind sie inzwischen verheiratet. "Ich habe immer gedacht, es ist richtig und wichtig, was er tut", sagt Luise Scherf, auch wenn es öfter mal inhaltliche Differenzen gebe. "Und ich habe mein Leben, das mich ausfüllt." Schließlich gebe es auch gemeinsame Termine. Wie an diesem Tag bei der Ausstellungseröffnung im Rathaus - einem dieser Kreuzungspunkte zwischen Politik und Leben von Luise Scherf.