Sie hatten keine Ahnung vom Segeln, aber einen Traum: einmal mit dem Boot um die Welt. Hubertus Sprungala und Richard Radtke, zwei jungen Geschäftsleuten, gelang mit ihrer “BlueShip“ das Abenteuer - gegen alle Prognosen. Zwei Jahre umschifften sie alle Gefahren - das Glück war mit an Bord.

"Was ist eigentlich unser nächstes Ziel?" "Japan." "Ach, Japan. Das sind ja nur 6000 Seemeilen."

Ein Dialog auf hoher See, irgendwo im ozeanischen Nirgendwo zwischen den Kontinenten. Zwei Männer, allein mit sich und ihrem Katamaran.

Günter Jauch stellte die Tour im "Stern TV" so vor: "Eine lebensgefährliche, unglaubliche und glückliche Weltreise. Faszinierend, aber nicht zur Nachahmung empfohlen." Zwei junge Geschäftsleute, so hieß es, die vom Segeln nicht viel Ahnung haben und zuvor allenfalls die Alster unfallfrei durchquerten. Komm mit uns mit, auf'n Trip um die Welt. BlueShip, BlueShip, wir tun nur, was uns gefällt. Song-Text aus der CD "BlueShip" (Sprungala/Radtke) Hubertus Sprungala (35), Unternehmensberater, und Richard Radtke (33), Investmentbanker, sind alte Schulfreunde aus Aachen, studierten in Hamburg, leben jetzt in Berlin. In zwei Jahren und zwei Monaten sind sie einmal um die Welt gesegelt, legten dabei 42 000 Seemeilen - fast 78 000 Kilometer - zurück.

Ihr schwimmendes Heim war die "BlueShip", Jahrgang 1989, ein 14 Meter langer, acht Meter breiter Katamaran mit 240 Quadratmeter Segelfläche. Ein Traumschiff, erworben auf einer Zwangsversteigerung in Amsterdam. Eigentlich wollten sie das Boot "BlueChip" taufen. Börse und Segeln, fand Radtke, haben einiges gemein: "Bei beiden geht's auf und ab." Aber weil sie sich verspekulierten und ihr Startkapital von 300 000 Mark um die Hälfte reduzierten, war die Börse "nicht mehr unser Freund". So wurde aus dem Chip das naheliegende Ship.

Schon mit 17 hatten die Freunde den Traum, einmal um die Welt zu segeln. "Wir haben unsere Berufswahl darauf ausgerichtet, das Geld dafür zu verdienen", behauptet Sprungala. "Das war für uns das letzte große Abenteuer mit einem grenzenlosen Gefühl der Freiheit, aber auch der Autarkie. Wir hatten ja unser Haus immer dabei." Der billig eingekaufte Rum reicht für den ganzen Pazifik als Tauschwährung. Anstatt in den Hafen der Ehe liefen die beiden ins Meer aus. Radtke: "Es war nicht einfach, eine langjährige Beziehung für einen Jugendtraum aufs Spiel zu setzen. Aber wir sahen es als letzte Möglichkeit, bevor wir richtig alt und seriös werden." Die Trennung war einkalkuliert. Unterwegs trampten immer mal wieder Frauen mit, die südafrikanische Weltenbummlerin Toni blieb von Fortaleza in Brasilien bis Guam ein Jahr an Bord. Am Ostseestrand, die Leinen los! Wir singen Seemannslieder. Die Freundin kriegt den letzten Kuß. Junge, komm bald wieder!

"Viele erfahrene Segler werden die Stirn kraus ziehen", ist dem Duo klar. "Wir wußten ja nicht einmal, was ein Seeventil ist." Diese Absperrsicherungen gegen Seewasser mußten schon beim ersten Halt ausgewechselt werden. Erst eine Woche vor dem Start hatte Radtke überhaupt seinen Segelschein gemacht - und nicht mehr abgeholt. Erfahrung hatten sie nicht, dafür elektronische Ausstattung vom Feinsten, Waffen zur Selbstverteidigung und Lebensmittel für die Bordküche - was eben so alles in Überlebens-Handbüchern steht.

Wenige Stunden nach dem Ablegen in Warnemünde wäre die Reise beinahe schon zu Ende gewesen, noch ehe sie richtig begonnen hatte. Morgens um halb sechs gab es ein langgezogenes Krachen; ein Gefühl, als breche das Boot auseinander. Die BlueShip hatte im Nebel die Fehmarnsundbrücke gerammt, obwohl der Mast (18 Meter) locker die Brücke (22 Meter) unterqueren sollte. "Später erfuhren wir, daß Maler ein Gerüst aufgebaut hatten." Es war natürlich Freitag, der 13. Das Schiff blieb heil, aber ein segelerfahrener Freund gab bald entnervt auf.

Zwei Jahre westwärts um die Welt - eine Fundgrube an Geschichten. Unvergessen: die 30 Wale, die im Atlantik das Schiff umkreisten; das ausgeliehene Holzboot, das am Heiligabend vor Mayreau in der Karibik auf ein Riff lief; das Bordkino "Dingi-In", in dem auf Trinidad "Wolf" mit Michelle Pfeiffer und Jack Nicholson flimmert; die unglaubliche wohlige Ruhe nach der Indio-Droge Ayahuasca in Brasilien; die Rettung eines Albatros, der sich im Angelhaken verfangen hatte; die kurzfristige Beschlagnahme im französischen Atomtest-Sperrgebiet Mururoa; der Frachter, der im Indischen Ozean eine Palette Bier ins Wasser ließ; der in Chile billig eingekaufte Rum, der für den ganzen Pazifik als Tauschwährung reichte; der verschüttete Drink, der die Elektronik lahmlegte und zwang, statt Japan lieber Guam anzusteuern. Palmen, Sonne, Strand und Meer, das Wasser glänzt türkis. Keine Handys, kein Verkehr, wir sind im Paradies.

Bei Kap Hoorn haben sie "dem Teufel ein Ohr abgesegelt", sie schafften, was ihnen erfahrene Segler nie zugetraut hätten - die Umseglung der Südspitze Amerikas. Zur Belohnung gönnten sie sich einen Besuch bei den Gletschern Patagoniens, fernab jeder Zivilisation. "Hier hatten wir endlich das Gefühl, daß wir uns am Ende der Welt befinden."

Aber überall lauerte die Gefahr. Der Gletscher kalbte, Eismassen wälzten sich auf die beiden zu. Selbst bei der Flucht zurück auf das Schlauchboot riefen sie ihrer Mitfahrerin Toni noch eiskalt zu: "Filmen, filmen!"

Die Angst blieb ständiger Partner. Etwa bei der ersten Annäherung an Kap Hoorn: "Es war so dunkel, daß man den Unterschied zwischen Himmel und Wasser nicht mehr sehen konnte." Oder beim Sturm im Indischen Ozean. Und, schließlich, beim Wettrennen mit einem Piratenschiff in der Indonesischen See. "Wir waren fast schon gelähmt vor Angst", sagte Radtke. Und dachte: "Wärst du doch zu Hause geblieben!" Eine Salve aus Leuchtmunition rettete sie.

Naiv waren sie und unbedarft. Sprungala dämmerte: "Mein Gott, was haben wir für ein Schwein." Radtke: "Es war eine Mischung aus Mut und Leichtsinn. Der Mut wurde immer größer, der Leichtsinn weniger."

Frechheit siegt, aber Übermut erhöht auch das Risiko. Als Radtke auf der Osterinsel unbedingt einen Motorgleitschirm probieren mußte, schnitt er sich fast die Hand ab. Kaum zu glauben, daß die beiden außer einer Augenentzündung zwei Jahre lang von Krankheiten verschont blieben. Radtke mußte nur in Chile einmal zum Zahnarzt, der seinen Bohrer mit dem Fuß betrieb.

Die Versicherungsprämie von 20 000 Mark erwies sich als überflüssige Investition. Alle Blessuren am Schiff reparierte das Duo selbst. "Das Boot ist wie ein Joghurt-Becher", fand Sprungala. "Jeder Eisbrocken ratscht da ein Loch rein. Aber die ,Titanic' hatte nur einen Rumpf, wir zwei." Meinen Fisch, den fang ich selbst zum Lunch in der Lagune. 'Ne Kokosnuß, die schieß ich mir ganz cool mit der Harpune.

Man mag es für überheblich halten, wenn die Weltumsegler behaupten, der Törn über den Atlantik sei "ziemlich langweilig" gewesen und die Karibik habe sie enttäuscht: "Viele Boote, wenig Platz, die See voller Feuerquallen, Tauchen unmöglich."

Für diese laxe Sicht der Dinge, ähnlich wie für die Jagd auf Seehunde und andere Tiere oder die aus Jux flambierte Eisscholle, mußten sich die beiden viel Kritik gefallen lassen. Aber sie wehren sich gegen das Klischee vom "gelangweilten Börsenmakler, dem das Geld nur so aus der Tasche quillt". Gewiß, man hatte seinen Spaß, aber: "Wir haben zu jeder Zeit Weitsicht bewiesen."

Wenn da nur nicht diese Langeweile auf hoher See gewesen wäre. Denn schlimmer noch als jeder Sturm waren die windstillen Tage bei der Durchquerung des Pazifiks: "Da brannte uns die Sonne das Hirn weich." Unschätzbarer Luxus: stundenlang über Probleme diskutieren können. Irgendwann war die Schiffsbibliothek ausgelesen, waren die Segel in den Zustand eines Kartoffelsacks geflickt. Da blieb nur Brotbacken oder Fischen. Fast jedes Meerestier ist eßbar - die Katze "Ciggy", zeitweise als Vorkoster an Bord, überlebte.

Wie geht das eigentlich, immer zu zweit, auf Gedeih und Verderb aneinandergekettet? Mal hieß es: "Mit dem rede ich kein Wort mehr." Dann, entschuldigend: "Wir sind eben beide impulsiv." Bis sie ihren unschätzbaren Luxus erkannten: Stundenlang über Probleme diskutieren können, auch wenn am Ende meist triviale Weisheiten herauskommen. Die Abmachung über einen "Captain of the day", abwechselnd an geraden und ungeraden Tagen, gab Sicherheit: "In Extremsituationen haben wir ohne Übung das Richtige getan."

Eines Tages, aus heiterem Himmel, war Schluß. Eigentlich war eine triumphale Ankunft in Hamburg geplant. Aber schon in Las Palmas hatten sie keine Lust mehr: "Unsere Weltumrundung haben wir doch geschafft, laß uns nach Hause fliegen." Wieder ein glücklicher Zufall. "Wenig später, sagen Fachleute, wäre der Mast zusammengebrochen."

Was hat die Weltreise gebracht? "Erst mal haben wir Segeln gelernt", spottet Sprungala. "Und wir haben unser Spanisch intensiviert", ergänzt Radtke. Das ist die Sprache, mit der man in den Häfen der Welt neben Englisch am weitesten kommt.

Was die beiden zu ihrem Abenteuer getrieben hat, ist auf See noch geschärft worden: ein unerschütterliches Selbstbewußtsein. "Wir haben uns auch auf schwierigen Strecken durchgebissen", sagt Sprungala und nennt Begriffe wie "Disziplin", "zwischenmenschliche und soziale Reife". Radtke meint: "Die Sicht der Dinge hat sich verändert. Ich lebe bewußter und habe Vertrauen in die Zukunft." Beide sind überzeugt: "Wenn es hier nicht läuft, können wir auch woanders hingehen, zum Beispiel nach Amerika."

Die "BlueShip" ist längst über Las Palmas und Barcelona nach Phuket verkauft. Hier schippert sie mit Chartertouristen Thailands Küste entlang.

See-Entzug plagt die beiden nicht. "Es reicht mit dem Müßiggang", sagt Sprungala. Sie vermarkten die Reise clever in Film, Buch und CD. Den (Wieder-)Einstieg fanden sie einfacher als das Aussteigen. "Als wir losfuhren, wußten wir nicht, was wir hinterher machen würden. Aber wir hatten ja unterwegs viel Zeit."

Als Beleg stellen sie eine Getränkedose mit dem Aufdruck "K-Fee" auf den Tisch. Eiskaffee mit Milch, eine Idee, die ihnen im Südpazifik gekommen war. Sie gründeten die "BlueShip AG" und setzen zusammen mit einem Getränkehersteller auf die Deutschen als "Kaffeetrinker Nummer 1". Allerdings ist der Begriff "kalter Kaffee" hierzulande noch negativ besetzt. Zur Love Parade am 10. Juli in Berlin soll "K-Fee" auf den Markt kommen.

Wird es ein nächstes Abenteuer geben? Sprungala und Radtke zögern. "Zuerst kommt unser Unternehmen, dann wollen wir die familiären Geschichten regeln." Aber da gibt es einen "theoretischen Traum": Mit dem Wasserflugzeug um die Welt! Irgendwann einmal.

Vorsicht: die beiden neigen dazu, sich ihre Träume zu erfüllen. Hubertus Sprungala, Richard Radtke: BlueShip - zwei Männer und viel Meer. Delius Klasing Verlag, 256 Seiten; 39,80 Mark. Internet: www.blueship.de