“Kleinheringsdorf“ - diesen Spitznamen trug Ottensen einst, als hier noch die Schornsteine der Fischräuchereien qualmten. Doch nach dem Krieg kam Räucherfisch aus der Mode, die anrüchigen Betriebe machten einer nach dem anderen dicht. Die beiden Brüder Wilhelm und Hartwig Stöcken haben das alte Handwerk neu belebt. Bei ihnen werden Makrelen Forellen, Aale und Lachs wie früher über Feuer und Rauch veredelt - der gemächliche, traditionelle und mühsame Weg zum guten Geschmack.

Heute arbeiten die meisten Fischräuchereien, insbesondere die größeren, mit elektrischen Öfen. Dabei wird die Temperatur je nach Größe des Fisches, dem Fettgehalt und der Art der Zubereitung gewählt. Zwischen 20 und 25 Grad Celsius braucht das sogenannte Kalträuchern, ungefähr 70 Grad Celsius das Heißräuchern. Lachs wird meist kalt geräuchert. Zwei Stunden lang wird der eingesalzene Fisch im Ofen getrocknet. Zwar existiert eine Glut aus Buchenholzspänen, der Lachs kommt damit allerdings nicht in Berührung. Der sich entwickelnde Rauch wird sofort in ein Rohrsystem geleitet und dort gereinigt. Dabei werden Benzpyrene reduziert, die auch als krebserregend gelten. Im Geschmack wird der Lachs durch diesen Vorgang milder. Der gereinigte Rauch wird eineinhalb Stunden lang über die Fischhälften geblasen - und das war es schon. Traditionelles Räuchern dauert dagegen bis zu zweieinhalb oder drei Stunden.

Noch künstlicher geht es zu, wenn mit Flssigrauch gearbeitet wird. In diesem Fall wird Rauch im Wasser gelöst und die dabei entstehende Emulsion anschließend über den fertigen Fisch gesprüht. Die Haltbarkeit von Räucherfisch richtet sich allerdings nur zum Teil nach der Räuchermethode, sie hängt überwiegend vom Salzungsgrad ab.

Bei Makrelen, Heilbutt und anderen Fischen mit ähnlichem Fettgehalt wird häufig das Heißräuchern angewandt, und der Fisch gart in der hohen Temperatur. Der Rauchgeschmack wird ebenso produziert wie beim Lachs. sk

"Riechma - das Ottensen", überschrieb Dirks Paulun sein plattdeutsches Gedicht. "Riechs nichs? - Che, dasn Fischräucherei hie - Das unse Spetsialiteth hie - Altona - die Stadt der Bücklinge!"

Und wie es roch! Schon 1879 mußte die Bau-Commission in Ottensen feststellen: "Zunächst ist es der üble Geruch des Fischfetts und der vermutlich sich bildenden Fettsäure sowie des mit diesem Geruch geschwängerten Rauchs, welcher die Nachbarschaft in weitem Umkreise ekelerregend belästigt und der auch durch Schornsteine von beispielsweise 13 Meter Höhe wie bei Gerlachs Anlage noch nicht im geringsten unschädlich zu machen ist."

Gerlach roch auch noch 1925, so daß sich die Nachbarn aus dem Haus Bahrenfelder Straße 251 beim Polizeipräsidenten beschwerten. Sie konnten ihre Fenster wegen des Gestanks nicht öffnen. Die Arbeiterinnen vor Ort litten unter dem Rauch. Vergiftungen kamen nicht selten vor, verbunden mit Rheumatismus durch die Nässe und Kälte, da die Fenster und Türen offen standen, um den Rauch abziehen zu lassen. Am Sonnabend nach der Arbeit ging es dann in die Badeanstalt, um wenigstens einmal in der Woche gut zu riechen.

Der Geruch entstand durch das Räuchern über dem offenen Feuer in den sogenannten "Altonaer Öfen". Diese gemauerten Öfen, um die Jahrhundertwende erfunden, waren mit Eisentoren verschlossen, wuchsen pyramidenförmig in die Höhe und endeten in einem Kamin. Bis zu fünfmal am Tag schürten die Räucherer die Flammen mit Buchen- und Erlenspänen. 280 Heringe kamen aus einem Ofen, und es waren immerhin 700 Öfen, die qualmten.

In den vierziger Jahren erreichte die Bedeutung der Fischindustrie in Altona ihren Höhepunkt, um dann in den sechziger Jahren allmählich aus dem engen Wohngebiet zu weichen oder, wie viele Familienbetriebe, ganz zu schließen. Die Eßvorlieben der Deutschen hatten sich geändert. Feinkonserven, nicht Bücklinge, entsprachen dem modernen Geschmack und auch dem wachsenden Wohlstand.

1982 schloß die letzte traditionelle Fischräucherei in Ottensen in der Großen Brunnenstraße. Ermes verkaufte keine "1a fetten Ostseeräucheraale" mehr an die Nachbarn. Heute erinnern lediglich zwei Räuchereischornsteine in einem Hinterhof des Hauses Hohenesch 70 an die anrüchige Zeit des Stadtteils. Eine spitznasige Fischsilhouette ziert das Industriedenkmal.

Eine Hamburger Familie hat die Karriere des Räucherfisches in den vergangenen Jahrzehnten tatkräftig verfolgt. Wilhelm O. Stöcken arbeitete in Ottensen erst als Angestellter in einer Räucherei, machte dann 1949 seinen Meister und baute schließlich in den 50er Jahren in der Großen Brunnenstraße eine eigene Räucherei auf. Einige Jahre später zog er nach Schenefeld und betrieb mit seinem Sohn Rolf eine Fischhandlung. Dieser Sohn bescherte ihm zwei Enkel, die es, unschwer zu erraten, ebenfalls zum Fisch zog.

Ein häßlicher Zweckbau aus den siebziger Jahren beherbergt heute die Fischhandlung, Fischbraterei und Räucherei der Brüder Wilhelm und Hartwig Stöcken. An den gekachelten Wänden hängen die vergilbten Urkunden der Familie und Fotos der beiden leidenschaftlichen Angler, mit Fischen, so groß, man glaubt es kaum. Fischwerker-Diplom: Ausbildung in Räuchern, Marinieren und Salate-Machen. Hartwig Stöcken hat sein Fischwerker-Diplom zwischen 1966 und 1968 in Hamburg gemacht. Schon damals waren es nur noch zwei Aspiranten, die sich in Räuchern, Marinieren, Salate- und Mayonnaise-Machen ausbilden ließen. Hartwig kann noch alles, und bis heute stellt der Betrieb die Mayonnaise selbst her und experimentiert mit Marinaden. Trotz wenig anheimelnder Umgebung - ein Stück Tradition ist geblieben.

Die Enkel des alten Wilhelm arbeiten immer noch mit Altonaer Öfen. "Es schmeckt einfach besser", erklärt Hartwig, der Räucherer. Und das war es auch schon - kein Wort darüber, wie teuer die Rauchgaswaschanlage war, die den Rauch von Teer und Schwebstoffen reinigt und deren silbriger Abzug die vierkantigen Fischschornsteine ersetzt hat. Oder darüber, daß sein Angestellter Wolfgang Lanken, einem Lokomotivführer ähnlich, viel wachsame Zeit abwartend vor den rußgeschwärzten Öfen verbringt.

Direkt hinter der Fischtheke, die von goldglänzenden Sprotten, Makrelen, Lachsforellen und Aalen strotzt wie ein Piratenschatz, steht die Tür offen. Breit und bärtig bewegt sich in dem Raum dahinter Wolfgang Lanken zwischen Rauchwolken und rollenden Eisengestellen. Am Abend vorher hat er die Fische in Salzlake gelegt, auf lange Eisenspieße "gespittet" und sie dann "gezottelt". Über Nacht hängen die aufgespießten und in die Gestelle gehängten Fische und Filets zum Trocknen. Gegen acht Uhr beginnen die Männer, die Öfen zu befeuern, erst verhalten, damit der Fisch richtig trocknet und gart. Das dauert eineinhalb Stunden, wenn es sich um große Forellen handelt, von denen jede ungefähr ein Pfund wiegt.

Ist der Fisch soweit gegart, beginnt der eigentliche Räucherprozeß. Wolfgang Lanken schüttet noch einmal mehrere Schaufeln Buchenspäne in das kleine Feuer am Boden des Ofens und achtet genau darauf, wie hoch die Flammen schlagen. Handelt es sich um Aale, sollten sie hoch züngeln, damit sich durch die Stichflammen der Bauch öffnet und der Rauch überall eindringt. Aal kann man nur allein räuchern. "Wäre Heilbutt dazwischen, der würde vom Spieß fallen bei den hohen Temperaturen, die der Aal braucht", lacht Wolfgang Lanken.

Jetzt beginnt der schwierige Teil des Räucherns, der vor allem auf Erfahrung beruht. Die Altonaer Öfen haben in den beiden Eisentüren je eine Lüftungsklappe. Sie werden geschlossen, damit der Buchenrauch sein wunderbares Verwandlungswerk beginnt und die Bäuche der Makrelen in goldige, appetitliche Rundungen verwandelt. Geht das Feuer zu hoch, hilft ein Becher Wasser. In der letzten Phase wird auch noch zum geeigneten Zeitpunkt die Kaminklappe geschlossen. Zwischendurch öffnet der Räucherer immer wieder den Ofen, Rauchwolken wallen unter der Decke, und der Herr des Rauchs waltet seines sensiblen Amtes. Mit einem Fingerdruck am Fisch überprüft er, wie gar die Räucherware ist und ob das Fleisch sich schon von der Gräte löst.

Wer jetzt probieren wollte, könnte Probleme mit seinem Magen bekommen. "Lot dat no", sagte Vater Rolf zum leider ungläubigen Anfänger Lanken vor mehr als zwanzig Jahren. Die warmen Sprotten hatten durchschlagende Folgen. "Aber ich esse jeden Tag Fisch", bekräftigt der inzwischen erfahrenere Mitarbeiter und läßt den Räucherfisch abkühlen.

Die anstrengendsten Tage sind heute die Sprotten- und Aaltage. Die winzigen Sprotten müssen auf zarte Spieße gefädelt werden, Arbeit, die früher nur Frauen machten, und die Aale werden im Laden geschlachtet. Die restliche Ware kommt vom Altonaer Fischmarkt. Mit dem Fisch aus der "Bückelsallee" wurde Ottensen zu "Kleinheringsdorf". Das war schon früher der Fall. Während heute die teure Ware vor allem aus dem Atlantik und den Gewässern um Norwegen stammt, wurden damals in der Fischauktionshalle auch Fische aus den näherliegenden Meeren feilgeboten: dänische Schellfische und englischer Hering, aber auch schon norwegische Seelachse und Kabeljau (letzterer wird nicht geräuchert). Außerdem fuhren 77 Fischdampfer von ihrem Heimathafen Altona aus zum Fang.

Neben seiner Nähe zum Hafen war Altona vor allem wegen der hohen Anzahl verfügbarer Saisonarbeiter prädestiniert für seine fischige Rolle. Während der "Monate mit R" arbeiteten bis zu 4300 Fischarbeiter in Altona - vorwiegend Frauen - zu geringerem Lohn als ihre männlichen Kollegen. Im Sommer waren Fischferien, und sie mußten sich eine andere Verdienstmöglichkeit suchen.

Die vielen armen Arbeiterfamilien waren außerdem selbst ein dankbarer Markt für Fischprodukte, die damals noch billige, gesunde Volksnahrung waren. Armenfisch war der Bückling, ein in Salzlake eingelegter und dann heißgeräucherter Hering, der noch billiger war, wenn er als "Bruchbückel" während des Räucherns beschädigt wurde. Sein Name erinnert an den Erfinder dieser Zubereitung, den Holländer Johann Böckel.

Das heutige Osterkirchenviertel in Ottensen trug denn auch den Spitznamen "Kleinheringsdorf", und die Straße Hohenesch, an der die Fischräucherei August Hennings mit 34 Räucheröfen lag, kannten die Arbeiter nur als "Bückelsallee". Eine Räucherei neben der nächsten stand noch in den 50er Jahren in der Krupp-, heute Ruhrstraße, und in der Schützenstraße. Dazu kamen Hersteller von Marinaden, Essigen, Fett, und Holzspänen, die Verpackungsindustrie und Fischabfallverwertung.

Stöckens sind die Dinosaurier dieser Industriekultur. Heute ist der Fisch wirklich kein Armengericht mehr, ganz im Gegenteil. Immerhin haben die Räucherer eine freundliche Einrichtung. Wer als passionierter Angler seine Beute geräuchert haben möchte, kann sie zu Stöckens geben. "Es schmeckt besser!" Wilhelm Stöcken & Co, Ottenser Straße 86, 22525 Hamburg-Stellingen. Telefon: 040/54 11 55.