dpa/ap Dresden - Es war der schwerste Zwischenfall in der Nachkriegsgeschichte des deutschen Zolls. Vor einem Jahr erschoß Viktor D. (38) in Ludwigsdorf an der polnischen Grenze zwei Zöllner. Jetzt kommt er ungestraft frei. Der Kasache, der damals unter “Reisestreß“ gelitten haben soll, wird in seine Heimat zurückgeschickt.

Vor Gericht muß sich Viktor D. nicht verantworten, weil drei psychiatrische Gutachter ihm Schuldunfähigkeit attestierten. Da er aber vor kurzem als geheilt aus einer psychiatrischen Klinik entlassen wurde, ordnete das Landratsamt in Görlitz Abschiebehaft an. Den Weg für die Abschiebung hat am Freitag das Oberlandesgericht (OLG) Dresden freigemacht. Die Richter lehnten den Antrag der Staatsanwaltschaft und der Hinterbliebenen der getöteten Zöllner ab, ein Sicherungsverfahren gegen Viktor D. zu eröffnen, wodurch er dauerhaft in einer Klinik untergebracht worden wäre.

Der Kasache werde "mit dem nächsten Flugzeug in seine Heimat abgeschoben", sagte Generalstaatsanwalt Jörg Schwalm am Freitag. Schon das Landgericht Görlitz hatte ein Sicherungsverfahren abgelehnt. Die Richter stützten sich auf die Gutachter, die dem Kasachen zur Tatzeit eine durch "Reisestreß" ausgelöste psychische Störung mit Wahnvorstellungen bescheinigten. Es sei aber unwahrscheinlich, daß dieser Zustand erneut auftrete. Deshalb solle der Mann freikommen.

Das OLG wies die Beschwerde der Staatsanwaltschaft dagegen mit Hinweis auf eine Entscheidung des Bundesgerichtshofes zurück, wonach die "abstrakte Möglichkeit einer erneuten schweren Störung des Rechtsfriedens" nicht ausreiche, um einen Täter auf Dauer in eine psychiatrische Klinik einzuweisen. Und eine Bestrafung könne nur erfolgen, wenn der Mann zur Tatzeit schuldfähig gewesen wäre. Die OLG-Richter erklärten, die öffentliche Diskussion sei angesichts des Verbrechens verständlich. Das gelte erst recht für den Ruf der Hinterbliebenen nach einer gerechten Sühne. Auch für den Strafsenat mit seiner jahrzehntelangen Erfahrung in Tötungsdelikten sei der Fall "außergewöhnlich". Dennoch, so die Richter, sei das Ergebnis "eindeutig". Soll heißen: Nach deutschem Recht muß Viktor D. auf freien Fuß gesetzt werden, weil er im Wahn mordete und nach Ansicht der Gutachter keine Gefahr mehr von ihm ausgeht. Dem beugte sich am Ende auch die Staatsanwaltschaft, die dem Landgericht vor kurzem vorgeworfen hatte, die Schwere der Tat nicht hinreichend berücksichtigt zu haben.

Viktor D. kam am 10. Februar 1998 in einem Reisebus, der aus Alma Ata über Polen nach Frankfurt am Main fahren sollte, nach Sachsen. Am Grenzübergang Ludwigsdorf stiegen zwei deutsche Zöllner (30 und 34) in den Bus - eine Routinekontrolle. Als der jüngere Beamte hinten die Sitzreihen inspizierte, riß der auf der letzten Bank sitzende Kasache ihm die Dienstwaffe aus dem Holster und schoß das Magazin leer. Der 30jährige Familienvater starb sofort, sein Kollege erlag nach einer halben Stunde seinen schweren Verletzungen. Nacht der Tat sprang Viktor D. aus dem Heckfenster, verletzte sich am Kopf und wurde ins Haftkrankenhaus gebracht.

Die Kollegen der getöteten Zöllner reagierten entsetzt auf die Entlassung des Kasachen aus der geschlossenen Klinik. "Wir sind empört", sagte der Vorsitzende des Bundes der Deutschen Zollbeamten, Heinz Schulze. Die Freilassung sei ein Schlag ins Gesicht der deutschen Zöllner. Wenn der Staat seine Bediensteten nicht vor tödlichen Zwischenfällen bewahren könne, müsse zumindest sichergestellt werden, daß die Täter zur Rechenschaft gezogen werden.

Viele fragen sich: Kann Viktor D. bald wieder nach Deutschland einreisen? Beim zuständigen Ausländeramt Kamenz war zunächst keine Stellungnahme zu bekommen. Fest steht, daß er nur ein deutsches Visum bekommen würde, wenn er eine Einladung seiner hier lebenden Verwandten vorweist. Ob er nach seiner Abschiebung wieder eine Aufenthaltserlaubnis erhält, gilt aber als unwahrscheinlich.