dpa Bonn - Die Bundesregierung will ihren eng gesetzten Zeitplan zur Verabschiedung eines neuen Atomgesetzes gegen den Widerstand der Stromwirtschaft und trotz ungeklärter rechtlicher Fragen einhalten. "Der Fahrplan steht", hieß es am Freitag nach einem vertraulichen Gespräch von Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD), Umweltminister Jürgen Trittin (Grüne) und Wirtschaftsminister Werner Müller (parteilos) aus Bonner Regierungskreisen.

Mit den europäischen Nachbarn werde es im Streit um die Wiederaufarbeitung eine "partnerschaftliche Lösung" geben, versicherte Schröder. Er warnte aber auch vor zu hohen Erwartungen: "Die Vorstellungen die einige haben, 2005 sei alles vorbei, sind nicht realistisch."

Am kommenden Mittwoch schon soll das auf einen Atomausstieg ausgerichtete Gesetz durch das Kabinett abgesegnet und bereits zwei Tage später in den Bundestag eingebracht werden. Am Dienstag beginnen die Gespräche der Regierung und der Stromwirtschaft über den Energiekonsens. Im Hinblick darauf betonte Regierungssprecher Uwe-Karsten Heye, Änderungen könnten auch noch im Zuge der parlamentarischen Beratungen vorgenommen werden.

In der SPD-Fraktion wird bereits kritisiert, das Gesetz sei mit heißer Nadel gestrickt. Es ist noch immer unklar, ob das im Gesetzentwurf vorgesehene Ende der umstrittenen Wiederaufarbeitung deutscher Kernbrennstäbe in Frankreich und England zum 1. Januar 2000 ohne die Zahlung von Entschädigungen an die dortigen Anlagenbetreiber herbeigeführt werden kann.

Nach den Worten Heyes geht Schröder wie sein Umweltminister davon aus, daß dies möglich ist. Justizministerin Herta Däubler-Gmelin (SPD) ist da jedoch nicht sicher. Sie läßt noch das Kleingedruckte prüfen. Dies dauere fünf Wochen.

Äußerungen von Heye und Kanzleramtsminister Bodo Hombach (SPD) machten deutlich, daß zumindest Teile der Regierung beim Verbot der Wiederaufarbeitung doch noch zeitlichen Spielraum sehen. Der Koalitionsbeschluß für ein Ende von 2000 an sei nur eine Ausgangsposition, sagte Hombach im Südwestrundfunk.

Wenn man mit der Energiewirtschaft einvernehmliche Lösungen treffen wolle, müßten "Vorfestlegungen" vermieden werden. Heye erklärte, es gebe "keine Gedankenspiele, sich von diesem Termin zu verabschieden". Ob die Festlegung im Atomgesetz zu halten sei, müßten die Gespräche zeigen.

Dagegen ging Grünen-Vorstandssprecherin Gunda Röstel davon aus, daß der Koalitionskompromiß unverändert Bestand haben wird. Es dürfe kein "ständiges Infragestellen von Abmachungen" geben, sagte sie.

Die Chefs der Atomkraftwerksbetreiber wollen sich heute in Frankfurt/Main treffen, um ihre Strategie für die Verhandlungen festzulegen und aus ihren Reihen einen neuen Sprecher zu wählen. Der Vorstand der Hannoverschen Veba-Tochter PreussenElektra, Hans-Dieter Harig, war in der vergangenen Woche überraschend zurückgetreten.

Bonn - In einem Brief an Bundeskanzler Gerhard Schröder haben 20 Mitglieder der aufgelösten Reaktorsicherheitskommission (RSK) ihre Sorge über die künftige Reaktorsicherheit in Deutschland ausgedrückt. Kritik üben die Wissenschaftler auch an der neuen, von Bundesumweltminister Jürgen Trittin (Grüne) verfaßten RSK-Satzung. Sie sei der vom Minister geforderten Transparenz "abträglich".

Wörtlich heißt es in dem Brief: "Wir sehen das in Deutschland erreichte Sicherheitsniveau durch die jetzt bekannten politischen Absichten gefährdet." Hintergrund dieser Sorge ist, daß Trittin die neue Kommission nicht mehr ausschließlich mit ausgewiesenen kompetenten Fachleuten besetzen will.

"Wir wollen für mehr Transparenz sorgen"

Trittin hatte Ende 1998 die Strahlenschutzkommission (SSK) und die RSK aufgelöst und neue Satzungen erlassen. Begründung: Wissenschaftliche Pluralität sei in den bisherigen Kommissionen nicht vorhanden gewesen. Zur neuen Satzung erklärte Trittin: "Wir wollen für mehr Transparenz in der Arbeit der Kommissionen sorgen."

Speziell dieser Satz Trittins steht im Widerspruch zu der von ihm abgefaßten neuen Satzung, monieren Günther Keßler, Professor für Neutronenphysik und Reaktorsicherheit am Kernforschungszentrum Karlsruhe, und Christoph Reiners, Professor für Nuklearmedizin an der Universität in Würzburg. Im Paragraph 11 heißt es nämlich: Das Bundesministerium k a n n sie (die Empfehlungen und Stellungnahmen der Kommission, d. Red.) im Bundesanzeiger veröffentlichen. Reiners: "Demnach ist die Veröffentlichung eine Ermessensfrage des Ministers." Dagegen habe die SSK ihre Empfehlungen stets in Jahresberichten publik gemacht, auch im Internet. Und Keßler, Ex-Vizevorsitzender der RSK, beteuert: "Unsere Erkenntnisse wurden immer im Bundesanzeiger abgedruckt."

Besonders erbost hat Reiners, daß Trittin mit seiner Forderung, künftig müßten Jahresberichte vorgelegt werden, so getan habe, als ob die SSK nie Jahresberichte gefertigt und veröffentlicht habe. Keßler wiederum ist empört darüber, daß der Umweltminister mit seiner Aussage, es müsse künftig mehr wissenschaftliche Pluralität geben, indirekt implizierte, man habe gemeinsame Sache mit der Atomlobby gemacht.

Deshalb auch habe er das Angebot des Ministeriums abgelehnt, dem neuen Gremium anzugehören. Er betonte: "Die RSK hat oft Entscheidungen getroffen, die nicht im Sinne der Energieversorgungsunternehmen (EVU) waren." Und das, obwohl zwei EVU-Vertreter der RSK angehörten. "Diese Fachleute seien wichtig, weil sie die Reaktoren am besten kennen."

Die RSK hat sich laut Keßler mit Fragen wie Notkühlungen, Abbrand von Brennelementen, Einsatz von Plutonium-Uran-Brennstoff beschäftigt. Auch habe man Leitlinien zum Bau von Druckwasserreaktoren erarbeitet. "Kurzum, die RSK hat zu allen wichtigen Problemen der Reaktorsicherheit Stellung bezogen." Häufig habe das Ministerium aufgrund der RSK-Erkenntnisse Weisungen an Kernkraftwerke gegeben. Die bisherige RSK hatte 18 Mitglieder. Zwei Teilnehmer des "alten" Gremiums wurden vom Ministerium schon gefragt, ob sie auch dem neuen zwölfköpfigen angehören wollen: Werner Hartel, technischer Geschäftführer der Kernkraftwerke Krümmel und Brunsbüttel, und Wolfgang Thomas, Experte für Atomtransporte und Wiederaufarbeitung bei der Gesellschaft für Anlagen und Reaktorsicherheit. Neue Mitglieder sollen vor allem vom Öko-Institut in Darmstadt kommen.

Kanzler will bei der Neubesetzung mitreden

Bei der Besetzung der RSK, aber auch der Strahlenschutzkommission (SSK) hat sich der Bundeskanzler ausbedungen mitzureden. Die SSK setzt sich zu 30 Prozent mit Anwendungen der Kerntechnik sowie zu 70 Prozent mit "völlig anderen Fragen" auseinander. Etwa mit radioaktiver, ionisierender und ultravioletter Strahlung, elektromagnetischen Feldern, Ultraschall. SSK-Vorsitzender Christoph Reiners: "Wir haben zum Beispiel Empfehlungen zum besseren Schutz vor UV-Strahlen bei Solarien ausgesprochen, die längst berücksichtigt sind."

Auch habe die SSK nach Reaktorkatastrophe in Tschernobyl Leitlinien ausgearbeitet, die heute europaweit anerkannt seien.