HA/dpa/ap Leipzig - Betont lässig, ja geradezu gelangweilt sitzt er da, während die Anklage verlesen wird. Manchmal grinst er in den bis zum letzten Platz gefüllten Saal des Landgerichts in Leipzig. Gert Uwe Postel (40) werden Betrug und Urkundenfälschung in besonders schwerem Fall, Mißbrauch von Titeln und Berufsbezeichnungen sowie Amtsanmaßung vorgeworfen. Der Angeklagte ist ein Hochstapler.

In der Psychiatrie des Klinikums Zschadraß (Sachsen) hat der gelernte Postbote von November 1995 bis Juli 1997 als Oberarzt gearbeitet und dabei auch etwa 25 psychiatrische und forensische Gutachten erstellt, unter anderem in Mordprozessen. Sein Bruttogehalt soll insgesamt 202 929 Mark betragen haben. Bei den "Kollegen" kam er gut an. Der Krankenhausleiter bescheinigte dem Arzt ohne Medizinstudium und Doktortitel, er habe sich überdurchschnittlich bewährt. Postel waltete unbehelligt seines Amtes, bis ihn eine Ärztin enttarnte, die ihn von seiner früheren Tätigkeit als Amtsarzt in Flensburg her kannte. Dort hatte er sich als "Dr. med. Dr. phil. Clemens Bartholdy" ausgegeben und war dafür 1984 vom Landgericht Flensburg zu einem Jahr Haft auf Bewährung verurteilt worden.

In Zschadraß, wo er unter seinem richtigen Namen arbeitete, suchte "Doktor Postel" Hals über Kopf das Weite. Fast ein Jahr war er auf der Flucht, bis er am 12. Mai 1998 in einer Telefonzelle in Stuttgart gefaßt wurde. Seitdem sitzt er in Leipzig in Untersuchungshaft. Gegen eine Staatsanwältin, die ihm in Sachsen zur Flucht verholfen und eine Amtsrichterin, die ihm in Baden-Württemberg Unterschlupf gewährt haben soll, wurden Ermittlungsverfahren eingeleitet.

Wo immer der 1,94 Meter große Mann auftauchte, standen ihm die Türen offen. Sein selbstsicheres Auftreten, seine sprachliche Gewandtheit und seine schnelle Auffassungsgabe halfen ihm dabei. Niemand zweifelte an der Echtheit seiner gefälschten Papiere. Das sächsische Gesundheitsministerium fragte nur bei der Gauck-Behörde nach, dort gab es jedoch keine Beanstandungen. Wenn er sich bewarb, verschaffte er sich selbst die besten Referenzen, indem er vorher anrief, sich als "Professor Dr. von Berg" ausgab und seinen angeblichen Assistenten "Dr. Postel" empfahl. Zwar berichten ehemalige Kollegen, er sei zeitweise arrogant und aufbrausend gewesen. Wenn es aber medizinische Zweifel gab, holte er sich Rat.

Der Chefarzt der Klinik in Zschadraß, Dr. Horst Krömker, sagte als erster Zeuge in dem Prozeß aus, der Angeklagte, der fünf Ärzte unter sich hatte, habe oft die Entscheidungen über medizinische Fragen an Kollegen weitergegeben. "Er hat aber zumindest das psychiatrische Begriffsfeld gekannt" und keinem Patienten geschadet. Hintergrund seiner Anstellung sei gewesen, daß es "extrem schwierig" gewesen sei, bei der angebotenen Bezahlung geeignetes Fachpersonal zu finden. Ein Mitbewerber wurde wegen seiner unzureichenden Sprachkenntnisse abgewiesen.

Postels Fähigkeiten wurden nur einmal angezweifelt: Im Flensburger Gesundheitsamt war man mit dem stellvertretenden Amtsarzt nicht zufrieden. Vor Ablauf der Probezeit bewarb sich "Dr. Dr. Bartholdy" als Assistenzarzt für Psychiatrie an der Kieler Uniklinik. Bevor er diese Stelle antreten konnte, war er nur deshalb aufgeflogen, weil er sein Portemonnaie verloren hatte, in dem zwei verschiedene Personalausweise steckten. Die Verurteilung hinderte ihn nicht daran, seine Karriere als Mediziner fortzusetzen. Er arbeitete in der Klinik von Julius Hackethal und, nachdem er 1993/1994 selbst wegen Depressionen in der Berliner Charité behandelt worden war, 1994 als nervenärztlicher Gutachter für das Berufsfortbildungswerk Brandenburg. Als Rentengutachter bei der Landesversicherungsanstalt Stuttgart hielt es ihn nur wenige Tage, weil er plötzlich Skrupel bekam.

"An den Vorwürfen gibt es nichts zu rütteln", sagt Verteidiger Nicolas Becker (Berlin). Seine Strategie sei es, "so wenig Strafe wie möglich herauszuholen". Mancherorts hat der Möchtegerndoktor schon Kultcharakter. Vor dem Prozeß haben falsche Ärzte in grüner OP-Kleidung für einen Chemnitzer Musikklub geworben. Der Name: "Dr. Dr. Bartholdy".