In der Unterwelt wurden nervöse Aktivitäten entfaltet. Obwohl Pinzner streng abgeschottet im Hochsicherheitstrakt des Untersuchungsgefängnisses saß, erreichten ihn vom Chikago-Clan mancherlei Aufmerksamkeiten und Botschaften über seine Anwältin: Aus dem Milieu vom Hans-Albers-Platz kamen, wie später gerichtlich festgestellt wurde, die Drogen, die sie dem Gefangenen zusteckte. Sie besuchte ihn 73mal. Mit buchhalterischer Akribie notierte er den Empfang jeder Prise Koks und gelegentlich auch eines Briefchens Heroin. Daß Pinzner unter Drogen stand, kann den ermittelnden Beamten nicht entgangen sein. Damit seine Geständnisse flutschten, wurde er bei Laune gehalten, auch durch Zusammenkünfte mit seiner Frau Jutta in einer Polizeikaserne. Manchmal vage, manchmal genauer, sang Pinzner nun schon ein Vierteljahr, während sich seine Gehilfen und sein Auftraggeber, der "Wiener-Peter", an das Milieu-Gesetz des Schweigens hielten.

In seinem Tagebuch legte der "Eliminator" Spuren zum finalen Akt. Über sein Anwältin notierte er:

3. Juli: (Sie) besorgt mir einen 38er - versucht aber auch alles, damit ich unter die Erde und sie an die Kohle kommt.

11. Juli: Im Präsidium soll ich auch Jutta wegmachen. Was die Weiber da von mir verlangen.

Pinzners Frau Jutta wirkte als Bankangestellte kühl und rational, aber in irrationaler Abhängigkeit verband sie ihr Schicksal mit ihrem Mann. In dem infernalischen Trio - die psychisch schwer angeschlagene Anwältin als Botin zwischen dem Killer und seiner todessehnsüchtigen Frau - entwickelte sich eine Eigendynamik. Ob vom Hans-Albers-Platz die Drohung nachhalf, Pinzners geliebter Tochter Birgit aus erster Ehe könne etwas geschehen, wurde nie geklärt. Auf jeden Fall kam von da die Zusage, daß dem 15jährigen Mädchen eine Rente von 1500 Mark im Monat zustehe, die tatsächlich mindestens zweimal ausgezahlt werden sollte.

Mit ungewöhnlicher Energie vermarktete die Anwaltskanzlei die "Mucki"-Story. Sogar ein "Abgang triumphalis" wurde angeboten: Im Freien - wegen der Fotos - ließ er sich aber nicht arrangieren. Währenddessen wurde im Milieu die praktische Seite des Abgangs organisiert.

Kalle Schwensen ("Taking care of Business") soll für "Mucki" eine Smith & Wesson, Kaliber 38, beschafft haben, beteuert aber bis heute, daß er es nicht war. Wie Jutta Pinzner aufzeichnete, traf sie sich mit dem Chikago-Boß "Ringo" auf einem U-Bahnhof. Während sich Schwensen angeblich im Hintergrund hielt, sollte sie einen Schlüssel für ein Schließfach übernehmen und den Revolver herausholen. Sie weigerte sich. Daraufhin wurde eine Smith & Wesson, versteckt in einem Blumentopf mit Fuchsien, in der Anwaltskanzlei abgegeben.

29. Juli 1986: In Begleitung der Anwältin trug Jutta Pinzner das kapitale Schießeisen, 25 Zentimeter lang und über zwei Pfund schwer, unter ihrer Wäsche ins Polizeipräsidium. Chevaleresk öffnete Staatsanwalt Bistry den beiden Damen die Panzerglastür zum Sicherheitstrakt und geleitete sie vorbei an den diensthabenden Polizisten, die sich nicht trauten, den Ermittlungsleiter auf die Durchsuchungsvorschriften hinzuweisen. Als "Mucki" hereingeführt wurde, begrüßte ihn seine Frau zärtlich. Vorschriftsmäßig hatten die beiden Kripobeamten, die ihn begleiteten, ihre Waffen im Nebenzimmer abgelegt, um bei dem "Eliminator" keine Gelüste auf einen etwaigen Angriff zu wecken. Frau Pinzner verschwand in die Toilette und deponierte die Waffe in ihrer Handtasche. Sie kehrte zurück und nahm neben ihrem Mann Platz.

Die Vernehmung durch Bistry und zwei Kripobeamte begann, eine Sekretärin protokollierte. Alles schien einen geordneten Gang zu nehmen.

Plötzlich hatte der "Eliminator" die Smith & Wesson in der Hand und verkündete: "Dies ist eine Geiselnahme." Als der Staatsanwalt eine irritierende Handbewegung machte, schoß Pinzner auf ihn. Bistry lebte zwar noch, aber er war tödlich getroffen. Die beiden unbewaffneten Kripobeamten hechteten aus dem Schußfeld und entkamen durch die Tür. Jutta Pinzner telefonierte mit ihrer Stieftochter Birgit: "Hör zu, Biggi, all das, was jetzt passiert, habe ich so gewollt." Ihr Vater sagte ihr "Ich liebe dich" und legte auf.

Die Eheleute flüsterten miteinander. Dann kniete Jutta Pinzner vor ihrem "Mucki" nieder und ließ sich den Revolverlauf in den Mund schieben. Er drückte ab. Es war sein letzter Mord. Der Killer schmeckte die schmauchende Mündung seines Revolvers und gab sich die Kugel, die ihm durch den Gaumen ins Gehirn fuhr.

Es war ein Abgang von grausiger Grandiosität, einmalig in der deutschen Kriminalitätsgeschichte. Nie zuvor war ein ermittelnder Staatsanwalt getötet worden. Kein Schauplatz war so unwahrscheinlich wie ausgerechnet ein Hochhaus voller Polizei.

Wie zum Hohn auf die Staatsgewalt erwies das Milieu dem Ehepaar Pinzner auf der Reeperbahn die letzte Ehre: mit einem Konvoi hupender und blinkender Karossen in Zweierreihe.

Vor allem aufgrund von Pinzners Geständnis sollten der "Wiener-Peter" sowie "Muckis" Begleiter Armin und "Siggi" zur Höchststrafe verurteilt werden, aber lebenslang war bekanntlich von begrenzter Dauer. Kronzeuge "Langnase", der die ersten Hinweise auf den "Eliminator" und seinen Anstifter gegeben hatte, erfuhr schon in der Untersuchungshaft eine Vorzugsbehandlung. Er durfte sein Bordell abwickeln. Als Transporteur der Gelder diente ein Kriminalkommissar - zwar am Rande der Legalität, aber im Sinn des Zeugenschutz-Programms, denn für einen neuen Anfang brauchte "Langnase" eine Ressource. Er sollte mit einer außergewöhnlich milden Strafe von vier Jahren und drei Monaten wegen seiner Kokain-Geschäfte davonkommen und nur einen Teil unter mehrfach veränderter Identität an einem geheimgehaltenen Ort verbüßen.

[GROSSES GEFÜLLTES STERNCHEN] Vom 31. März bis 31. Mai zeigt das privartmuseum (Bernhard-Nocht-Straße 69) die Ausstellung "200 Jahre Mythos St. Pauli" (täglich 10-24 Uhr geöffnet). Ende