S ie kam gerade von einem gemütlichen Abend mit ihren Eltern aus Pöseldorf nach Hause, als das Telefon in ihrer neuen Wohnung klingelte. Ihr Vater hatte die erhoffte Nachricht: "Du, der Tommy hat gewonnen!" Sabine Haas war in diesem Moment "unheimlich stolz" auf ihren Bruder.

Die Tennis-Karriere, die jetzt Thomas Haas zu machen scheint, sie war einmal auch für seine ältere Schwester vorgesehen. Das Talent hatte sie, Anfangserfolge stellten sich rasch ein. Mit 13 Jahren wurde sie Deutsche Jugendmeisterin, und fortan galt sie als große Nachwuchshoffnung. "Ich will so werden wie Steffi", wurde ihr damals in den Mund gelegt; ein Satz, den sie nie gesagt hatte, denn das Selbstvertrauen, solche Ansprüche zu formulieren, das fehlte ihr.

Sabine Haas war stets freundlich, nett, beliebt, nie anmaßend und immer bereit, für andere zurückzustecken. Und genau daran mag es gelegen haben, daß ihr Lebensweg Biegungen dort bekam, wo andere ihr den steilen Aufstieg zumuteten. Ihre Konsequenz aber ließ auf sich warten.

Erst vor 13 Monaten, im Alter von 22 Jahren, legte sie nach mißglückter Qualifikation für die Australian Open in Melbourne endgültig den Schläger aus der Hand. Bereut hat sie diesen Schritt bis heute nicht. "Es war der richtige Zeitpunkt", sagt sie, "noch kann ich etwas Neues anfangen." Dafür ist sie Anfang dieses Jahres in ihre Heimatstadt Hamburg zurückgekehrt. Die International Management Agentur (IMG), die ihren Bruder vertritt, bot ihr einen Job an und weist sie jetzt in die Geheimnisse des Marketing ein. Golf wurde zu ihrem Aufgabenfeld, "Praktikantin" lautet ihre derzeitige Bezeichnung. Die Tätigkeit, der tägliche Kontakt mit vielen Menschen, fasziniert sie, auch deshalb wohl, weil sie ihn früher so oft hat vermissen müssen. "Ich hätte nichts dagegen", sagt sie, "wenn dies einmal mein Beruf werden würde."

Die Vergangenheit liegt hinter ihr; bewältigt und als aufregende Erfahrungen, als Lernprozesse verbucht, "die andere in meinem Alter nicht machen konnten". Der Blick zurück fällt entsprechend entspannt und mit erstaunlicher Offenheit und Reife aus. Bei allem Spaß, den sie hatte, einsam habe sie sich meist gefühlt, oft allein gelassen "mit diesen Zicken", ihren Konkurrentinnen, zunächst in Wien, in der österreichischen Tennisakademie, später in Bradeton im Camp von Nick Bollettieri in Florida, in das sie mit fünfzehneinhalb Jahren zog. Die Eltern lebten in einer anderen Welt, Peter Haas verdiente als Tennislehrer in Deutschland und Österreich das Geld für die Familie.

Und dann immer wieder diese Kritik. "Mein Vater", bringt sie heute Verständnis auf, "wollte uns nicht übermütig werden lassen. Er hat uns immer wieder auf unsere Schwächen hingewiesen. Der Tommy hat das auch gut verkraftet. Bei ihm ging das ins eine Ohr rein und aus dem anderen wieder raus." Bei ihr indes setzte sich alles dazwischen fest. "Ich habe nicht mehr fest an mich geglaubt", beschreibt sie ihr Dilemma heute souverän mit jenem erfrischenden Selbstwertgefühl, das sie früher zwischen den Grundlinien vermißte.

Sabine Haas hat sich zu einer Persönlichkeit entwickelt, freundlich wie eh und je, bestimmender, durchsetzungsfähiger als einst. Und bei allem Stolz auf ihren Bruder, sie mag es nicht, "von anderen Leuten auf seine ältere Schwester reduziert zu werden". "Ich bin ich", sagt sie.

RAINER GRÜNBERG