Auf Hamburgs Friedhöfen dürfen Muslime jetzt ohne Särge beerdigt werden. Bei den Christen wächst die Zahl anonymer Bestattungen.

Die Zeiten ändern sich. Jetzt ergreift der Wandel auch die eherne Bastion normgerechter Trauer - den deutschen Friedhof, auf dem Grabmalmaße zuweilen bis auf zwei Stellen hintern Komma vorgeschrieben sind. Der Hamburfer Senat hat gestern jedenfalls eschlossen, künftig islamische Bestattungen zuzulassen. Das bedeutet, Verstorbene dürfen auch dann beigesetzt werden, wenn sie nicht in einen Sarg gebettet, sondern nur in ein Tuch gehüllt sind, wie es die islamische Tradition und der Koran vorschreiben.

Der Hamburger Senat trägt damit der Entwicklung Rechnung, daß die Zahl der Muslime steigt, die hier beerdigt und nach dem Tod nicht in ihr Heimatland überführt werden. Einen Grund dafür benennt Umweltsenator Alexander Porschke: "Hamburgs Muslime, oft Migranten der ersten und zweiten Generation empfinden Hamburg zunehmend als ihr Zuhause."

Muslimische Beisetzungen, allerding im Sarg, haben in der Hansestadt Tradition. Das älteste Grabfeld der iranisch-muslimischen Gemeinde auf dem Ohlsdorfer Friedhof stammt von 1941. Die Zahl der Gräber ist mit 160 relativ gering, weil dort erst im vergangenen Herbst ein Raum geschaffen wurde, der die im Koran vorgesehenen rituellen Waschungen ermöglicht. Jetzt wird ein neues, 6000 Quadratmeter großes Feld mit Platz für 1500 Grabstätten ausgewiesen.

Auf dem Öjendorfer Friedhof gibt es seit 1978 Beisetzungen nach islamischen Riten - allerdings auch dort bislang nur mit Sarg. Unter anderem wurden nach Mekka ausgerichtete Flä-

chen ausgewiesen und frühzeitig Gelegenheiten für die vorgeschriebenen Waschungen geschaffen. So wurden dort in den vergangenen 20 Jahren 701 muslimische Beerdigungen registriert.

Die Notwendigkeit islamischer Bestattungen in Deutschland unterstreicht Cengiz Yagli, Sozialarbeiter der Arbeiterwohlfahrt. Er leitet in Bergedorf die Deutsch-Ausländische Begegnungsstätte und die "Türkische Rentner- und Altengruppe", die sich seit langem für ein von Türken selbstverwaltetes Friedhofs- Projekt einsetzt - ein in der Bundesrepublik einmaliges Vorhaben. Mit dem Bezirk werde über ein ehemaliges Schulgelände an der August-Bebel-Straße verhandelt, das an die Fläche des bestehenden Friedhofes angrenzt, sagt Yagli.

Die Tatsache, daß ihre Beisetzung gegen Riten des Islams verstoße, bereite bislang vielen Muslimen Seelenqualen.

Für Moslems ist es beispielsweise nicht akzeptabel, wie westliche Christen ihre Toten behandeln. Zum Muß gehört neben der rituellen Waschung im Beisein eines Imam, das Einwickeln in ein reines weißes Tuch - Männer werden von der Stoffbahn dreimal, Frauen fünfmal umschlungen, damit keine Körperform sichtbar ist. Zudem müssen die Toten mit dem Gesicht gen Mekka begraben werden. Und Moslems beharren auf ewigem Ruherecht: "Die Vorstellung, daß Gräber nach 15 Jahren ausgehoben werden, ist für uns unerträglich", sagt Yagli.

Er wirbt auch deshalb für das Bergedorfer Friedhofsprojekt, weif Krankenhäuser, Altenheime und auch die Sozialdienste dann jederzeit Ansprechpartner hätten, die sich um die Beisetzung alleinlebender Moslems kümmern würden. Denn nach den Vorstellungen der Bergedorfer Türken soll auf dem etwa 5800 Quadratmeter großen Gelände unter anderem auch eine Wohnungmöglichkeit geschaffen werden für jemanden, der ständig auf dem Friedhof präsent ist.

Die unterschiedlichen Friehofsflächen sollen etwa durch einen Zaun voneinander getrennt werden, sagt Yagli: Aus Respekt vor den unterschiedlichen Bestattungskulturen.

Wie weit die auseinandergehen läßt sich schon an einem Punkt ablesen: Der Koran verpflichtet jeden Muslim, Glaubensbrüder und -Schwestern jeweils angemessen zu bestatten.

Immer mehr Deutsche gehen hingegen dazu über, sich anonym und ohne sterbliche Überreste unter die Erde bringen zu lassen. Fast 40 Prozent der 1996 Verstorbenen wollten einge- äschert und nicht im Sarg beigesetzt werden. Die Zahl anonymer Beisetzungen ( 1995: 5321) ist allein in Hamburg von 0,1 Prozent (1990) auf 18 Prozent (1995) gestiegen.

Als Grund für den Anstieg werden einerseits die Kosten angeführt. Eine herkömmliche Beerdigung kostet im Schnitt 9000 bis 10 000 Mark. Anonym und in einer Urne kostet es weniger: 4300, beziehungsweise 5400 Mark, in einem schlichten Sarg.

Wissenschaftler des Kasseler Museums für Sepulkralkultur, das sich mit allem beschäftigt, was mit Bestattungen zu tun hat, finden noch eine andere Erklä- Angst vorm Scheintod

Wer starb, wurde früher in ein Leinentuch gewickelt und beigesetzt - sofort und ohne Sarg. Das änderte sich erst im 18. Jahrhundert, nachdem man entdeckte, daß sich vermeintlich Tote noch unter der Erde bewegt haben. Fortan wurden Verstorbene in Leichenhäusern aufgebahrt - in Särgen. Zur Sicherheit wurden zusätzlich Glocken an den Zehen angebracht: Alarmanlage für den Todengräber.

rang für die wachsende Vorliebe zur anonymen Beerdigung: "Die Menschen leben heute viel länfer. Lange bevor sie sterben, haen viele von ihnen bereits den sozialen Tod erlitten', sagt Museums-Mitarbeiter Gerold Eppler. Hinzu komme der medizinische Fortschritt, der auch dazu führe, daß Sterben häufig einem langen Siechtum gleichkomme: ?Die Angehörigen bereiten sich noch zu Lebzeiten des Betroffenen auf dessen Tod vor." Die nutzten umgekehrt ihren irdischen Abgang manchmal auch, um es den Hinterbliebenen heimzuzahlen, ganz nach dem Motto: Früher war ich für euch Luft, jetzt bin ich es tatsächlich. Außerdem habe der Friedhof als Ort des Trauens für viele an Bedeutung verloren: "Heute gibt es Fotos, Videos, die die Erinerung wachhalten."

Traditionelle Beisetzungen werden nach wie vor in ländlichen Gebieten bevorzugt. Auch das markiert den Unterschied zu den Großstädte: "So anonym wie die Leute dort leben, woÜen sie auch beerdigt werden."