Die Aufgabe war nicht leicht für einen Mann, der immer dafür kämpft, seine reine Idee eines Gebäudes vom Papier in die Wirklichkeit umzusetzen. Für den Kunsthallen-Neubau war Oswald M. Ungers vor allem als Dienstleister gefragt. Er sollte ein Haus liefern, das von Künstlern und Besuchern erobert werden kann.

Nein, einen Rundgang durch sem Werk wül er nicht in großer Begleitung machen. Nur seme Frau Liselotte darf mitkommen, wenn Oswald Mathias Ungers zum erstenmal durch die "eingerichtete" Hamburger "Galerie der Gegenwart" spaziert. Dar- über, was die Künstler aus seinem Bau am Ende machen, wül Ungers wohlüberlegt urteüen.

Daß er sich den Besuch in der mit Kunstwerken von der Pop Art bis heute ausgestatteten Galerie bis unmittelbar vor ihrer offiziellen Eröffnung aufsparen wül, irritiert. Denn daheim in Köm, fernab von seinem jüngsten fertiggestellten Projekt, klingt alles so nüchtern.

Folle, ja nur Hintergrund wül er mit seinem Bau bieten. "Ein Museum dient der Darstellung der Kunst, die Architektur darf sich nicht verselbständigen", sagt Ungers. Und doch läßt ihn offensichtlich nicht unberührt, was wo in seinen Räumen präsentiert wüd. Jegllche Kritik indes, die Ungers anhand von aus Hamburg übermittelten Fotos kommen könnte, versagt er sich.

Das verbietet ihm schon die von ihm selbst immer wieder gelobte - Zusammenarbeit mit den Museumsdüektoren Werner Hofmann und dessen Nachfolger Uwe M. Schneede. Sie haben an seinen Entwurf geglaubt und trotz vielfältiger, auch Ungers persörüich diffamierender Kritik zehn Jahre lang dazu gestanden.

"Eme schwierige Situation für emen Architekten", läßt der 70jährige die Zeitspanne zwischen Wettbewerb 1986 und Fertigstellung 1996 Revue passieren. "Sie können nicht zwischendurch sagen, den Bau wül ich nicht mehr. Sie können ihn auch nicht einfach neu entwerfen, Sie müssen damit leben."

Und die Hamburger nun auch. Ein aufragender Kubus aus hellem portugiesischem Kalkstein mit nochansteigendem Sockel aus schwedischem Granit. Ein viergeschossiges Gebäude ohne eigentüche Ansicht, weü alle Fassaden gleich sind. Und ein großer, weiter Platz hinüber zum Altbau der Kunsthalle mit unter- üdischen Ausstellungsräumen.

Ein Komplex aües in aüem, der auf die einen kühl und abweisend wükt und die anderen geradezu neugierig nähertreten läßt, um zu gucken, was sich in dem Ding denn wohl verbügt. Daß sie dabei gleichsam auf eme Insel übersetzen müssen, wenn es auch eme Kunstinsel ist, hat Ungers bewußt unterstrichen. Eine andere Mögllchkeit, sagt er selbst, gab es nicht. Weder die an drei Seiten umlaufenden Stra- ßen noch die Bahnstrecke an der vierten Ueßen sich schüeßüch ausradieren.

Außerdem findet Ungers die Situation für Hamburg typisch. "Hier ist man es doch gewohnt: Inseln und Kaimauern, Begrenzungsmauern am Wasser, schweres Material, Rampen, Treppen." Da zeichnet sich vor seinem geistigen Auge etwa die Speicherstadt ab. Und der mächtige Granitsockel soü Assoziationen mit dem Ufer an der Alster wecken. "Eme Naturböschung, die in festem Material fortgesetzt wird bis auf das Plateau hinauf."

Dort oben nun soll, so wünscht Ungers es sich, der Kubus geradezu schweben. Darum seine gleichförmigen Fassaden, nach deren glattem Material der Architekt lange gesucht hat. "Ein Stein mit eigener Struktur fängt an, Geschichten zu erzählen, sich als Objekt von dekorativer Natur darzustellen." Das aber würde der aus Ungers' Sicht gebotenen Zurückhaltung einer Museumsarchitektur widersprechen.

Das Plateau indes dient nicht nur der Präsentation des Museumsneubaus oder der Anknüpfung an andere städtebauüche und historische Hamburger Büder - es soü den Neubau mit den anderen beiden Häusern der Kunsthalle zu einer Einheit zusammenfassen: mit jenem ersten aus dem 19. Jahrhundert, aus Ziegern und reich dekoriert, und dem viel schwereren aus dem frühen 20. Jahrhundert.

Die gemeinsame Basis soll die dritte Komponente, die sich in ihrer völligen Dekorationslosigkeit so separiert, anbinden. Sie soll dem Dialog des neuen mit den beiden alten Bauten emen Rahmen geben. Ein Dialog ün übrigen, der, so Ungers, erst durch die Abstraktion, ja durch die Gegenstandslosigkeit des Neubaus wüküch mögüch wüd. "Man konnte nichts mehr reduzieren."

Jener Rahmen umfaßt nun auch den weiten Platz zwischen Alt- und Neubau. Eine Fläche mit stellen Stufen zu erklimmen oder untenherum zu umwandern, dem Wind ausgesetzt, und der Hamburger Kaufmannsseele eher verschwenderisch anmutend. Der hier hegende Pyramidenstumpf soll der vierte Kubus der Kunstinsel sein. Auf ihm hat Ian Hamüton Finley den Spruch eingelassen: "Die Heimat ist nicht das Land, sondern die Gemeinschaft der Gefühle."

Ungers Erklärung für die ratsuchenden Museumsbesucher ist verblüffend einfach: "Dies ist eins der schönsten Kunstwerke, die Finley gemacht hat." Kerne ZufäUigkeit, kern Block und kern Sockel, der entstanden ist, weü darunter besonders hohe Räume üegen, bescheidet er Kritikern geradezu barsch. Eme Assoziation vielmehr an die Pyramiden als äußeres Zeichen einer anderen, größeren Welt. Ein Platz also, den man als Kunstwerk verstehen muß, weü man sonst nichts mit ihm wüd anfangen können. Eine Gedankenwelt, sagt Ungers, vütllglßr^ meisten wohl weit entfernt seien.

So viel GrößegunltJaarheit, Geometrie und" DeRorationslosigkeit ist nicht nur eine Antwort auf die Stadtsituation. Der abgeschnittene Pyramidenstumpf, der reine Kubus, die strukturlose Fassade - Ungers bezieht sich auf die Revolutionsarchitektur, nennt Vorbüder wie Etienne-Louis Boulee, jenen französichen Architekten aus dem 18. Jahrhundert, der als einer der wichtigsten Vertreter dieser Architekturrichtung gut. In seinem ersten Bauherren, dem ehemaligen Kunsthallendirektor Werner Hofmann, fand Ungers einen geradezu leidenschaftlichen Mitstreiter für seine Idee.

Dabei hätte Ungers gar nichts gegen die Aufstellung sichtbarer Objekte auf diesem Platz gehabt. Doch der jetzige Kunsthallenchef Uwe M. Schneede habe klar gesagt, dort passe nur eine horizontale Skulptur hm. Eine konsequente Reduzierung auch hier bis zum letzten, attestierte Ungers und urteüt: "Eme kluge Entscheidung."

Von der offenbar großen Übereinstimmung zwischen Hofmann und Schneede hat Ungers sich, was die Ausstattung im Inneren des Kubus angeht, allerdings nicht täuschen lassen. Er hat die "Galerie der Gegenwart" als HüUe mit äußerst flexiblem Innenleben konstruiert. "Es wäre ja denkbar, daß dieses Museum einmal von jemandem mit einem anderen Konzept geleitet wüd", sagt er und verweist auf die variablen Wände aus Gipskarton, deren Einsatz nur durch Laufschienen in den Decken und entsprechende Pendants ün Fußboden bestimmt wird.

Eine Flexibüität übrigens, die auch schon bei der Konstruktion der eigentlichen HüUe bedeutend war. "Es gab ja hier noch kerne Sammlung, für die das Museum gebaut wurde. AUes ist im Aufbau, wir wußten nicht, welche Werkgruppen zusammengestellt wurden/ Schnelles Reagieren war also bis zum Schluß gefragt. ?Sogar am Ende mußte es noch möglich sem, einen kleinen Eckraum zu schaffen." Dafür habe es natürüch wegen der festgelegten Maßordnung bestimmte Grenzen gegeben, aber "wir hatten große Variationsbreiten".

In den vier Geschossen des heüen Kubus hat Ungers der Kunsthalle eine Ansammlung verschiedener Räume gebaut, die insgesamt 5600 Quadratmeter Aussteüungsfläche bieten. Die einzige, für die Betrachtung von Kunstwerken aber erhebliche Vorgabe waren die Lichtverhältnisse. Die volle Verglasung ün Erdgeschoß, darüber die Seitenlicnt-Etage mit den heruntergezogenen Fenstern, dann eine Ebene mit Kunstlicht und dar- über schüeßüch die für Ober- Ucht. Das aües in Etagen, die um einen haushohen verglasten Innenhof laufen, j

Der ist Ungers Fixpunkt. Denn durch diesen Hof hindurch kann man auf aüen vier Seiten auf die Stadt hüiausbücken, auf den Verkehr, die Bahn, die Alster, die Häuser. "Sonst", sagt der Architekt, "können Sie in einem solchen Gebäude leicht die Orientierung vertieren." Bezüge zur Stadt herstellen zu können, gleich auf welcher Ebene man sich befindet, ob in einem Ausstellungsraum oder im sich spindelförmig um den Innenhof herumwindenden Treppenhaus das war der eigentliche Grund für die Anordnung der hohen Fensterreihen.

Eine Art Ordnungsgefüge für das Auge, das mit Ordentüchkeit seitens der Architektur ohnehin geradezu verwöhnt wird. Reine Wände, wohin man schaut. "Das", sagt Ungers, "ist bei der heutigen Kunst besonders wichtig." Es ginge nicht einfach nur um Tafelbilder, sondern auch um Objekte, und die wecken die Ironie in ihm: "Wer weiß am Ende schon, ob der Feuerwehrschlauch noch dazugehört?"

In der Hamburger "Galerie der Gegenwart" weiß das jeder. Denn um den Feuerwehrschlauch zu entdecken, müssen erst die kleinen Schränke in den Türrahmen geöffnet werden. Dort findet sich dann auf einen Griff aües für die Sicherheit. Ein enormer Aufwand an Konzentration und Entwurfsarbeit sei nötig gewesen, erinnert sich Ungers, um die Behörden zu überzeugen - etwa von dem abweichend von aüen Normen quadratischen Fluchtweg-Leuchtzeichen.

Handwerkücher Perfektionist, der er nun einmal ist, scheute der Kölner Architekt aber keine Mühen. Die Bodenfliesen reichen exakt von Wand zu Wand und mußten an keiner Stelle angeschnitten werden, Mörtelbetten und Putzschichten an den Wänden dienten als Toleranzabstände. Und Ungers ist sicher, daß in keinem Waschraum eine Rohrleitung nicht im Fugenkreuz aus der Wand kommt. Tausende von Plänen sind extra für diese Detaüs angefertig worden.

Makellos, so ist sich der Architekt gewiß, steht sem Kubus nun da. Und schon ereüt ihn die Kritik, das mache die neue Galerie geradezu unmenschüch. Ungers trifft das nicht: "Ich bin lange bei den Benediktinern im Kloster gewesen und ich habe gelernt, daß immer eme Vollkommenheit angestrebt wird, auch in dem Wissen, daß man sie nie erreicht." Für um ist es eine Frage der Ethik, "daß die Dinge sauber gemacht sind und ich das Beste abüefere, was ich kann". So sei eben sem Verständnis von Menschüchkeit - "und nicht: Irren ist menschüch".

Die saubere Arbeit, die abzu- Uefern sich Ungers zur Pflicht gemacht hat, soü den Benutzern der Galerie die nötige Freiheit gewähren. "In diesem Haus soll sich die Kunst entfalten." Die Architektur müsse es aushalten, daß der Bau dabei beschädigt und verletzt werden kann. "Wenn ich aber am Anfang da rumgemurkst hätte, wäre das nicht mögüch."

Auch nicht, wenn Ungers teure und schwierig zu ersetzende Materiallen benutzt hätte. Doch er griff zu Industriefhesen, um dem Museumsdirektor gleich von vornherein schockierende Erlebnisse zu ersparen. "Wenn jetzt ein Künstler ein Loch in den Boden bohrt oder die Füesen beschädigt, können sie schnell ersetzt werden." Teuer werde das auch nicht, und überhaupt: "Durch die dann unterschiedlich entstehenden Farbtöne fängt das Haus richtig an zu leben."

Eine erste harte Bewährungsprobe haben Ungers Materiallen schon überstanden: In einer der drei großen und nach Museumsbeüeben zu unterteüenden unterirdischen Raumfluchten hat der amerikanische BUdhauer Richard Serra eme gewaltige Bleiskulptur gespritzt - ein Moment, in denen den auf penible Arbeit getrimmten Handwerkern das Blut erstarrte. Ausgerechnet für diesen groben Umgang mit seinem Bau aber hat Ungers ein architektonisches Zugeständnis gemacht, das einzige zugunsten der Kunst übrigens.

Die langen Ausstellungsräume, deren Mitte durch ein Achteck definiert wird, waren als Raumfolge konzipiert, deren Durchgänge in einer Flucht üegen und so emen Bück durch aüe Räume hindurch gewähren. Diese Enfüade hätte der "Galerie der Gegenwart" im Kellergeschoß Anklänge an die französische Schloßarchitektur des 17. Jahrhunderts verüehen - doch Serras wüde Arbeit, von Museumsdirektor Schneede gerade an diese Stelle plaziert, legte sich ün wahrsten Sinne des Wortes quer.

Der Verzicht auf die Enfüade ist Ungers nicht allzu schwergefaüen. Am Ende der von ihm geplanten Blickachse nämüch lag das große Tor zu einem der unterirdischen Depot-Räume, und das wollte der Architekt denn doch nicht wie ein Kunstwerk präsentiert sehen.

Sein Nachgeben ün kantigen Kellergeschoß könnte die Museumsleitung beizeiten überiridisch belohnen. Der heüe Lichthof im Zentrum des Kubus ist das große Tor

von Ungers keineswegs nur als leerer Orientierungspunkt gedacht. Eine hohe Skulptur, die Etage für Etage zu umwandern der Besucher hier von Ungers die Chance bekommen hat, wäre die ErfüUung für diesen Raum.

Sein Lieblingsplatz aber ist der Lichthof ohnehin nicht. Den wül

Ungers auch erst definieren, wenn die Kunst vollständig Einzug gehalten hat. Aber der Platz ün oberen Treppengeschoß mit Bück weit hinaus über die Alster, "der ist schon spektakulär". Dort kann der Galeriebesucher die Stadt in die Räumüchkeit einbeziehen "wie ein Büd".

Ein durch die Fensteraufteilung aus vielen Quadraten zusammengesetztes Büd natürüch. Denn dieses Ordnungssystem durchzieht den Bau so konsequent, wie man es von Ungers erwartet. Er selbst aüerdings mag das nicht mehr hören, findet es oberfiächüch und trivial und hat das Wort für sem jüngstes Hamburger Werk auch sorgfaltig gemieden. Wie muß es ihn da anmuten, daß sein Haus in Köln an der Ecke Belvederestraße und Quadrather Straße steht . . .