Sie tragen zwar keine übergestülpten Kürbisköpfe, dafür geben sie sich aber sonst jede Mühe, das Interview nicht allzu normal werden zu lassen. Schrecklich. Mit fünf Hardrockern im piekfeinen Hotelzimmer. Warum können sich die Plattenfirmen nicht mal was anderes einfallen lassen"! Eine Bar wäre doch passender, oder eine Kiez-Kaschemme. Da kommt unerwarteter Einspruch. ?St. Pauli? Nur Ärsche und Titten - das ist doch primitiv!" Wo bin ich hier gelandet? Ich frage, ob sie denn keine Frauen mögen. Die Mienen werden finster, die Frage wird als Antwort zurückgebrüllt. Ich habe gepunktet.

Anlaß dieser Gesprächsrunden im imaginären Ring mit den fünf Hamburger Jungs ist die neu-alte "Helloween"-LP. Vor drei Jahren schrieb die Gruppe munter an den Songs zu "Pink Bubbles Go Ape". In Wohnzimmern der Gruppe hingen bereits Goldene Schallplatten, hatten sie sich doch seit 1980 geradenwegs nach oben begeben. Das Rezept lautete: Schmeiß sämtliche Stereotypen über den Haufen, stifte Verwirrung, und achte auf Qualität! Die Schuljungs Ingo Schwichtenberg und Kai Hansen hatten ihre Liebe zum Rock 'n' Roll entdeckt, übten in einem der berühmt-berüchtigten Übungsbunker der Hansestadt und komplettierten sich. Mit einem kräftigen Schuß naiven Gestaltungsdrangs, unverbraucht und unerschrocken stürmten sie die internationale Rock-Liga. Und das stets mit dieser seltsamen Mischung aus Tiefsinnigkeiten und grinsendem Barrikadensturm.

Doch Erfolg erntet auch Mißgunst und ist stets ein Hürdenlauf. So auch hier. Das einstige Mini-Lable "Noise" sah die Jungs von dannen ziehen, der Sonne, dem Glück und vermutetem Reichtum entgegen. Man beharrte auf alten Verträgen, beschäftigte die Gerichte. Und die erwähnte Platte erschien in aller Welt - nur nicht in Deutschland. Jetzt erst, in dieser schnellebigen Zeit, kommt das rauhe Produkt auf unsere Ladentische und dokumentiert doch nur Vergangenheit und das Ende eines Rechtsstreits.

Zurück in den Ring. "Wir haben uns längst weiterentwickelt, arbeiten an einer neuen LP. Es ist zwar ein sehr authentisches Produkt, doch heute arbeiten wir wesentlich differenzierter." Wir nähern uns dem Blues. Dieser Boom der letzten Jahre hat die Band nicht unbeeindruckt gelassen. Ein anderer Hardrocker namens Gary Moore hat es vorgemacht: "Still Got The Blues". Und so geht es munter weiter. Ich werfe Stichworte in den Ring, und die Meute stürzt sich drauf, bis von der Frage nichts mehr übrig ist. Langsam beginnt mir die Vorstellung Spaß zu machen. Ich sage: Internationales Publikum. Die Band ruft: "In Japan ist alles anders. Die gehen da geordnet rein und raus, da stehen überall Stuhlreihen, das ist eine ganz andere Welt."

Sie können sich Vergleiche leisten. Schon in ihrer mittachtziger Frühzeit erntete die Gruppe überall Lob. 1985 veröffentlichten sie ein nach ihnen benanntes Mini- Album mit lediglich fünf Titeln. In kürzester Zeit waren 17 000 Exemplare verkauft. 1987 gelang der Durchbruch durch die Mauern des Marktes. "Keeper Of The Seven Keys, Part I" erschien, und man war bestens präpariert. Die

Gruppe hatte vorab den Sänger Michael Kiske in einer unbedeutenden Hamburger Schülerband entdeckt. Man setzte ihm "Helloween"-Häppchen vor - und der Junge biß an. Die Meute war nun an allen Stellen richtig besetzt. Und die Rockwelt bückte aufgescheucht nach Hamburg. Schon mit dem Folgealbum "Keeper II" war die Band etabliert. Über 700 000 Exemplare wurden verkauft, in Deutschland und Finnland (!) gelangten sie unter die Top 5 der Charts.

Kai Hansen wuchs die Popularität und der damit verbundene Streß über den Kopf. Er stieg aus, und Roland Grapow kam. Wieder ein Hamburger, der sich nahtlos ins Erfolgsgeschehen einordnete. Somit wäre auch alles über den großartigen hanseatischen Talente-Humus gesagt.

Es wird wieder Zeit für etwas Futter. Ich sage: Hardrocker verehren den Teufel. Wütend stürzen sich die fünf auf diese Frage und schwingen dabei Kreuz und Weihwasser. Ja, wirklich, hier sind tatsächlich überzeugte Christen am Werk. Mit stolzen Tätowierungen auf den Oberarmen wird die Abneigung gegen bluttriefende Klischees zu Protokoll gegeben. Man wolle zwar keine Predigerband sein, aber der olle Jesus und die Urchristen, da sei man doch schwer beeindruckt. Sämtliche Klischeeschubladen klemmen bei "Helloween", und nicht einmal ein Tischler kann da helfen. Speed Metal? Heavy Metal? Hardrock? Alles Unsinn. Fünf Hamburger Jungs reiten durch den Rock, streifen Stile und Epochen und bleiben eigen. Ende der Raubtierfütterung. JÜRGEN STARK