Seit sich der Lehrermangel immer deutlicher abzeichnet, tritt der Fachbereich Erziehungswissenschaften der Universität Hamburg wieder aus seinem Schattendasein heraus. Was hat sich dort getan? Ein Insider, Professor Dr. Peter Struck vom Institut für Sozialpädagogik, Erwachsenenbildung und Freizeitpädagogik, zieht seine persönliche Bilanz:

Als ich 1969 auf dem Höhepunkt der "Studentenbewegung" mem erstes Seminar als Lehrbeauftragter an der Universität Hamburg gab - bezeichnenderweise über die antiautoritäre Erziehung A. S. Neills - war es üblich, die Seminarleiter zu Beginn eines jeden Semesters und einer jeden Sitzung erst einmal zu "entmachten". Es wurde ein Gesprächsleiter gewählt und endlos über das Programm diskutiert. "Go-ins", Flugblätter unterschiedlicher linker Gruppen sowie Demos und Streiks bestimmten den größten Teil einer jeden Veranstaltung. Das politische Engagement der Lehrstudenten war enorm, und ihre studienleitende Motivation bestand vor allem darin, über Jugend und Schule die Gesellschaft zu verändern.

Es war die Zeit, in der man aus starrer ideologischer Verwurzelung heraus argumentierte, in der der einzelne Schüler mit seinen Problemen hinter großen sozialen Utopien und dem Taumel einer internationalen Solidarität verschwand, in der Rechtschreibung keine Rolle mehr spielte und in der man als Student kaum noch las, nicht einmal Marx und Lenin, auf die man sich aber dennoch

berief. Wer damals auf ein Lehramt hin studierte, wurde eingestellt und befindet sich heute in den Schulen.

1979 bekam ich eine Professur im Fachbereich Erziehungswissenschaft. Von den vielen Studierenden, die ich seitdem in meinen Seminaren hatte, ist kaum jemand eingestellt worden, denn es folgten die schweren Zeiten der Lehrerarbeitslosigkeit und der Sparmaßnahmen in der Bildungspolitik. Und weil die Lehramtskandidaten ohne große Beschäftigungsperspektiven studierten, nahmen sie fortan den pädagogischen Anteil in ihrem Studium nicht so wichtig, und sie lasen auch kaum Bücher. Viele von ihnen haben Taxiunternehmen, Surfschulen, Musikgruppen und Nachhilfeinstitute gegründet.

Etwa seit 1990 kommen jedoch zunehmend andere Studierende und übrigens auch wieder mehr männliche. Sie wissen um die Überalterung vieler Lehrerkollegien, in denen die jüngsten Lehrer 50 sind, und um die bevorstehende große Pensionierungswelle. Sie haben selbst unter einem Schulsystem gelitten, das mit ideologischen, gesellschaftlichen Grundpositionen einer "Pädagogik ohne Kind" gestaltet wurde und Bis heute von einem übertriebenen wissenschaftsorientierten Fachlehrerund Kurssystem beherrscht wird. Sie entscheiden sich nicht mehr unbedingt deshalb für einen Lehramtsstudiengang, weil sie vorrangig ein vielseitiges Studium mit dem Status des möglichst "ewigen Studenten" suchen, weil sie lediglich Fachlehrer werden möchten, weil sie ihre eigene unzulängliche pädagogische Biographie aufzuarbeiten gedenken, weil sie eine "kleine Morgenstelle" mit guter Bezahlung und reichlich Ferien anstreben oder weil sie hoffen, über Schule am ehesten die Gesellschaft verändern zu können, sondern sie wollen mit einem in den Seminaren spürbaren Motivationsschub wieder "Lehrer für Kinder" werden.

Es ist erfreulich, daß die Zahl derjenigen Studierenden wächst, die den einzelnen problembeladenen Schüler mit seiner schwierigen Biographie und in seinem Milieu verstehen wollen und nach sozialpädagogischen Antworten der Institution Schule und des Lehrerverhaltens suchen. Sie sind offener gegenüber unterschiedlichen erzieherischen Methoden, ahnen, daß Pädagogik mehr eine Kunst denn eine Wissenschaft ist, und sehen, daß ihr späterer Erfolg von der Einstellung zum Kind und von persönlichen Engagement abhängig ist.

Hoffentlich enttäuschen wir sie auf ihrem Weg zu einer zeitgemäßen Schule., nicht mit der fachdidaktischen Überbetonung und den sozialpädagogischen Defiziten unserer überholten Lehrerprüfungs- und Studienordnungen, die sie zwingen, zu etwa 80 Prozent Fächer wie Chemie, Mathematik oder Englisch zu studieren und den verbleibenden Rest für Erziehungswissenschaft auch noch überwiegend mit fachdidaktischen Seminaren zu füllen.