Nur wenige Stunden vor Beginn der 90er Jahre verlor Hamburg noch ein Stück Geschichte. Am Silvestertag brannte "Die Vegetarische Gaststätte" in der Mitte der Alsterarkaden aus, eine Hamburger Institution und das erste Restaurant seiner Art auf der Welt. Vom Löschwasser wurden noch zwei andere traditionsreiche hanseatische Unternehmen am Neuen Wall stark beschädigt: die Hamburger Bücherstube Felix Jud & Co. (seit 1923) und das Bekleidungsgeschäft Ladage & Oelke (seit 1845). Die Ursache des Brandes ist noch ungeklärt.

Fast drei Stunden lang kämpften sechs Löschzüge der Berufsfeuerwehr und vier Freiwillige Feuerwehren mit etwa 150 Männern, bis sie das Feuer im Griff hatten. Die Flammen fraßen sich vom ersten Stock des Restaurants, wo Küche und Wirtschaftsräume lagen, über den hölzernen

Speiseaufzugs-Schacht und einen Lichtschacht in die oberen Etagen und nach hinten durch das verschachtelte und verwinkelte Gebäude bis zu den Büroräumen am Neuen Wall, aber die Häuser rechts und links konnten gehalten werden.

Um 8.05 Uhr hatten die Polizeibeamten des Streifenwagens Peter 13/1 auf ihrer Fahrt durch den Neuen Wall den Brand bemerkt und die Feuerwehr alarmiert.

Dicker grauer Qualm, der alles durchdringt

Als der erste Löschzug auf der Schleusenbrücke am Rathaus eintraf, stand die Fassade des "Vegetarischen" - wie es von seinen Gästen genannt wird - schon in voller Breite von der Terrasse im ersten Stock bis fast zum Dach in Flammen. Dicker, grauer Qualm zog über den Neuen Wall in Richtung Gänsemarkt. Das Vordach über der Terrasse, unter dem die Restaurantgäste bei schönem Wetter essen konnten, war zusammengebrochen.

Eine junge Frau und ihr Freund hatten sich aus ihrer Wohnung unterm Dach noch gerade mit zwei Koffern über das hintere Treppenhaus zum Neuen Wall gerettet. "Wir wachten vom Klirren auf, als die Fensterscheiben platzten", sagte sie, "als ich aus dem Fenster sah, schlugen die Flammen die Fassade hoch." Unglaublicher Zufall: Zu Weihnachten hatte ein Bekannter der jungen Frau ein Bild vom Großen Hamburger Brand von 1842 geschenkt, da ihre Wohnung im damaligen Brandgebiet liegt. Nach diesem Brand waren die Alsterarkaden gebaut worden.

Ein zweiter Löschzug war inzwischen am Neuen Wall in Stellung gegangen. Über eine Drehleiter wurden zwei Männer gerettet, die im vierten Stock im Wohnbüro eines kleinen Verlages geschlafen hatte. Einen nahm wenig später die Polizei fest: Er wurde wegen eines Versicherungsvergehens per Haftbefehl gesucht.

Nach zehn Minuten wurde der dritte Zug alarmiert, wenig später der vierte. Am Neuen Wall griff die Feuerwehr erst über zwei, dann drei Drehleitern das Feuer von oben an. Beim Ausfahren der Drehleitern erwies sich die noch über der Straße hängende Weihnachtsdekoration als sehr hinderlich. An den Arkaden kletterten die Feuerwehrbeamten über Steckleitern auf die Terrasse der Arkaden und zogen die Schläuche zur Brandstelle. Auf einer Seite löschten die Männer vom Balkon eines Nachbarhauses aus, auf der anderen Seite oben vom Dach und unten von der Terrasse. "Wir konnten uns wegen der Kleinen Alster leider nicht vor der Brandstelle aufbauen", sagte Einsatzleiter Branddirektor Manfred Giehl, "und um die Ecke zu löschen, ist nicht so einfach."

War ausgegossenes Benzin die Ursache des Brandes?

Offenbar hatte es schon längere Zeit im Restaurant gebrannt. Ein Hausmeister hörte etwa um fünf Uhr einen lauten Knall, blickte kurz aus dem Fenster, sah nichts und legte sich wieder hin. Vermutlich hatte es in diesem Moment eine Verpuffung in der Küche oder den Wirtschaftsräumen gegeben - möglicherweise von ausgegossenem Benzin oder ausgeströmtem Gas. Die Flammen fanden reichlich Nahrung: hölzerne Treppen, Sitzecken, Stühle und Tresen, Holzaufzüge und -decken. "Daß es schon drei Stunden gebrannt hat, bevor das Feuer entdeckt wurde, halte ich für wahrscheinlich", sagte Giehl, "ein so großes Feuer setzt eine Entwicklungszeit voraus."

Auf den Alstertreppen gegenüber der Arkaden sammelten sich nach und nach immer mehr Silvester Spaziergänger und schauten ungläubig auf die Flammenwand. Als einer der ersten Geschäftsinhaber traf der Herrenausstatter Dr. Peter Wilkens mit seiner Frau aus Klein Flottbek ein. Mit einem Feuerwehrhelm auf dem Kopf und in Begleitung eines Beamten drang er in sein Geschäft vor.

Wenige Minuten später krachte es plötzlich im Durchgang zu den Alsterarkaden, und eine Gruppe von Feuerwehrbeamten, die mit einem Schlauch nach oben in den Lichtschacht gelöscht hatten, wich entsetzt zurück. Von oben waren Mauerbrocken und Holzteile durch den Schacht herabgestürzt.

"Sie wissen, daß mein Mann da drin ist", sagte die Frau von Wilkens angsterfüllt zu einem Feuerwehrbeamten. Fünf Minuten später konnte sie ihn unverletzt, aber von Löschwasser durchnäßt, wieder in Empfang nehmen.