Vor knapp einem Jahr, am 8. Januar 1988, fällte das Landgericht Fulda sein Urteil: Lebenslänglich für Monika Weimar - die Strafe für den Mord an ihren Kindern Melanie (7) und Karola (5). Doch die Angeklagte beteuerte bis zuletzt: "Nicht ich habe es getan, sondern mein Mann!" Jetzt könnte es eine Wende im Fall Weimar geben. Vor einigen Tagen wurde Reinhard Weimar mit einer schweren psychischen Störung in eine Nervenklinik eingeliefert. Zuvor hatte er eine rätselhafte Aussage gemacht: Seine geschiedene Frau habe beim Mord einen Helfer gehabt - ihren Schwager. Wahrheit? Phantasie? Oder der Versuch, die eigene Schuld zu verdrängen? Die Staatsanwaltschaft will wieder Ermittlungen aufnehmen.

Von Thomas P. Eggeling und Stefani U. Geilhausen Bad Hersfeld - Zehn Tage vor Weihnachten kungelte bei Rechtsanwalt Lothar Göb in Bad Hersfeld das Telefon. Am Apparat war Reinhard Weimar hörbar aufgeregt. Der Vater der getöteten Mädchen Melanie und Karola hatte etwas Dringendes mitzuteüen: "Mein früherer Schwager hat Monika geholfen, die Kinder zu ermorden!"

Göb hörte seinemMandanten ungläubig zu. Der Schwager, von dem Reinhard Weimar sprach, ist Jürgen Z., Ehemann von Monika Weimars Schwester Ursula. Der 36jährige war vor einem Jahr im Mordprozeß als Zeuge aufgetreten; er hatte im selben Haus wie die Weimars gewohnt. Verdachtsmomente gegen ihn gab es jedoch nicht.

Das Gericht hatte damals nur über zwei Tatversionen zu entscheiden: ? Laut Anklage holte Monika Weimar ihre Kinder am 4. August 1986 morgens von einem Spielplatz ab, ermordete sie im Auto, versteckte die Leichen und spielte dann die verzweifelte Mutter. ? I^utVeiteidigungwurdendieKinder bereits in der Nacht zuvor von Vater Reinhard Weimar getötet. Monika Weimar kam gegen 3.20 Uhr vom Treffen mit einem Gellebten nach Hause, sah ihren Mann neben den toten Kindern sitzen und schwieg. Grund: Sie fühlte sich wegen des Ehebruchs mitschuldig an der Tat ihres Mannes.

Nach 40 Verhandlungstagen voller widersprüchllcher Zeugenaussagen wurde Monika Weimar schuldig gesprochen. Auein schuldig. Von einem Mittäter war keine Rede.

Rechtsanwalt Göb über Reinhard Weimars Anruf am 14. Dezember: "Er machte einen verwirrten Eindruck. Dann sagte eretwasvoneiner göttlichen Eingebung. Plötzüch merkte ich, daß das ja irres Zeug ist!"

Einen Tag später, am 15. Dezember, wurde Reinhard Weimar auf Anraten seines Hausarztes in die geschlossene Abteüung des Psychiatrischen Landeskrankenhauses in Marburg-Cappel ein-

gellefert. Er befindet sich noch immer dort. Seine Mutter Anna sagte: "Reinhard war vöUig durcheinander. Er hatte so furchtbaren Kummer mit der ganzen Mordangelegenheit ..."

Die Nachricht von der neuen Aussage kam für die Staatsanwaltschaft Fulda überraschend; Rechtsanwalt Göb hatte den Anruf zunächst für sich behalten. Oberstaatsanwalt Rudolf Ferdinand Matzke: "Ich werde mirvonGöbschrift- üch geben lassen, was Reinhard Weimar genau gesagt hat. Dann werden wir vorermitteln. Wenn da halbwegs etwas dran ist, müssen wir ein Verfahren gegen Jürgen Z. einleiten. Auch ein Verrückter kann ja die Wahrheit sagen!"

Der Schwager war gestern nicht zu sprechen - doch nach Meinung von Monika Weimars Verteidiger Wolf-Rüdiger Schultze kommt er als Mittäter auch nicht in Frage. Für den Anwalt ist Reinhard Weimar selber tatverdächtig, jetzt mehr denn je. Schultze: "Meine Mandantin war nicht überrascht, als ich ihr von der neuen Entwicklung berichtete. Sie sagte: .Reinhard wül das, was wirk- Uch geschah, von sich fernhalten und lenkt den Verdacht auf einen Dritten!"

In Weimars Heimatort Phüippsthal fragen sich viele: Bedeutet die Eirüieferung in die Nervenklinik, daß der Vater auch am Mordtag geistig verwirrt gewesen sein könnte? Hat er, rasend vor Eifersucht, vielleicht doch die Kinder nachts im Bett getötet?

Aktenkundig ist: Schon früher Utt der Bergarbeiter an ? psychischen Ausfallerscheinungen" - offenbar verursacht durch Alkohol und Tabletten. In einer Vernehmung gab er sogar zu Protokoll: "Wenn ich es gewesen bin, dann muß ich einen Blackout gehabt haben ..."

Am 14. Februar entscheidet der Karlsruher Bundesgerichtshof in der Revision, ob der Prozeß wieder aufgerollt werden muß. Reinhard Weimars neue Aussage spielt dabei keine Rolle - es geht nur um mögllche frühere Verfahrensmängel. Doch wenn es zu einem neuen Prozeß kommt, dann muß auch der Vater wieder vernommen werden.