Hausherr

Eine Rathaus-Tischkarte für den gastgebenden Bürgermeister: Hier kommt das ?neue

Wappen mal zum Zug

Helga Behrens, Alt-Hamburgerin und deshalb besonders an den historischen Dingen dieser Stadt interessiert, ließ ihren Blick wie Jeden Nachmittag durch das Hamburger Abendblatt gleiten. Doch dann stutzte sie.

Auf Seite 3 fiel ihr das Große Staatswappen der Stadt ins Auge und auf Seite 6 in Form der Rettungsmedaille gleich noch einmal. Was aber ist mit den Löwen los, die das Schild mit der Burg halten? Linkes Bein vor, rechtes Bein vor, dann das ganze umgekehrt - wie ist's denn nun richtig mit Standund Spielbein der Wappenlöwen?

Die Senatskanzlei, im Rathaus zuständig für die "Hamburger Wap- Ein Bericht von StlSANNE VON BARGEN (Text) und DIETER LÜTTGEN (Fotos) penkunde", zögerte keinen Augenblick. Die offizielle Farbvorlage des Großen Staatswappens kam prompt auf den Redaktionstisch. Rotes Sclüld mit süberner Burg und geschlossenem Rundbogentor; Türme, Zinne, Knauf und Kreuz, sechsstrahlige Sterne, Spangenhelm, Lanzenfähnchen und Pfauenwedel - alles in schönster Ordnung.

Nun aber die Löwen. Als heraldisches Beiwerk dem Schüd mit der Burg im 16. Jahrhundert hinzugefügt, haben sie keinen besonderen Hamburg-Bezug, gelten aber als Symbol der Stärke. Und furchterregend sehen sie auch aus mit ihren giftigen roten Zungen und den aufgestellten Schweifen. Aber die Beine!

Eine detaillierte Beschreibung tut - der Leser wird später merken warum - hier not. Der linke Löwe also greift das Wappenschüd mit seiner rechten Tatze und hat das rechte Bein vorgestellt; der rechte Löwe greift mit seiner linken Tatze und hat das linke Bein vorgestellt. Mit so geschärftem Bück, die offizielle Vorlage dabei, machten wir auf den Weg ins Rathaus.

Uwe Christensen, Chef der Verwaltung in der Regierungszentrale, schmunzelte zunächst - und wurde dann von Jagdeifer gepackt. Das erste Wappen nämlich, das wir fanden - prunkvoll über dem Eingang zum Senatsgehege - , wich schon von der offiziellen Vorlage ab, und zwar an den Löwenbeinen. Hier greift das linke Tier zwar auch mit seiner rechten Tatze, hat aber sein rechtes Bein zurückgestellt und das Unke vor. Und sein Kollege auf der anderen Seite greift mit links, hat aber das linke Bein zurückgestellt

und das rechte nach vorn.

Derlei Tiere fanden wir im Rathaus überall. Nur solche, wie sie auf der offiziellen Vorlage prangen, kamen uns nicht unter die Augen. Erst später, im Büro von Rathaus- Direktor Christensen, fanden sich dann doch noch Große Staatswappen, die der Kanzlei- Vorlage entsprachen - auf Einladungs- und Menükarten nämlich. Bürgermeister Henning Voscherau, der uns bei unserem Rathausrundgang überraschte, hatte sich mit dem Problem der Löwenbeine nach eigenen Angaben noch nicht befaßt. Das war klug von ihm. Den Chef des Staatsarchivs, Professor Hans- Dieter Loose, nämlich haute unsere Anfrage fast von den Beinen.

Loose, immer hufreich und mit

Detailkenntnissen zur Stelle, bot aufklärende Lektüre an. Und bei der Gelegenheit versuchte er die Stellung der Löwen auf der Wappen-Vorlage nachzumachen. Sie wissen schon, linkes Bein vor, linken Arm auch, dann noch den Blick über die linke Schulter - da mußte er ganz schön balancieren, der Herr Professor. Auch in der Lokalredaktion dieser Zeitung geriet beim Nachstellen der Tiere manch einer aus dem Gleichgewicht.

Unsere Wappen-Löwen aber müssen damit nun "leben". Die Beine wurden ihnen, so erfuhren wir von Professor Loose, vermutlich zwischen 1952 und 1955 verdreht. Im Zusammenhang mit der Niederschrift der Verfassung für die Freie und Hansestadt Hamburg vom 6. Juni 1952 wurde das alte Große Staatswappen nämlich vereinfacht und, was die. Löwenbeine angeht, verändert. Übrigens ist auch die giftig herausgestreckte Zunge der heutigen Löwen eine starke Überzeichnung des alten Wappens.

Ein genaues Datum für die Entstehung des schüchteren Wappens war von der Senatskanzlei nicht zu erfahren. Und leider konnte uns auch niemand sagen, wer denn die Löwen so anatomisch widersinnig hingestellt hat. Aber im Rathaus hatte ja auch noch niemand das Mißgeschick gemerkt, das im Zuge der Vereinfachung passiert war.

Dabei läßt sich Hamburgs altes Großes Staatswappen (seine Ursprünge liegen in einem Stadtsiegel aus dem 13. Jahrhundert) in der Ratslaube in voller Echtheit bewundern. Hinter den beiden Stühlen der Bürgermeister hängt ein gestickter Wandteppich. Die Frauen Hamburgs haben ihn 1897 gestiftet und sich bei ihrer Handarbeit inklusive Kopfhaltung, aufgestelltem Schweif und dezenter roter Zunge penibel ans alte Wappen gehalten.

Das gut auch für alle anderen Großen Staatswappen im Rathaus. Zwar gibt es kleinere Abweichungen bei Kopfhaltung oder Zungenform, doch die Beine stimmen. Und das wird auch so bleiben. Wenn jetzt nämlich ein neuer lederbezogener Stuhl geprägt werden muß, geht ein vorhandener mit in die Werkstatt. Keine Gefahr für die Löwenbeine also.

Ähnlich ist es mit den Münzen, die vor 1952 geprägt wurden. Zum Beispiel die Rettungsmedaille. Sie wurde 1903 gestiftet und ist folglich nach dem alten Staatswappen gestaltet worden. Ihren Prägestock gibt es heute noch, und so geht es den Löwen auch hier nicht an die Beine. Nach 1952 aber haben die tierischen Schüdhalter keine Chance mehr, mit lebensnaher Beinstellung im Wappen zu erscheinen. Jetzt gut das vereinfachte Signet aus den 50er Jahren als Vorlage für alle offiziellen Siegel, Schriftstükke, Einladungskarten und so weiter.

Im Vergleich zum historischen Staatswappen von einer Fälschung zu sprechen, wäre allerdings unrecht. Nach den Gesetzen der Heraldik sind für das Große Staatswappen die Burg, der Helm mit den Fähnchen, die Tinktur und die Löwen als Schildhalter vorgeschrieben. Über ihre Beinhaltung wird nichts gesagt. Bleibt also nur, uns darüber zu wundern, daß die Löwen immer noch nicht umgekippt sind.