die Stufen zum Landgericht Fulda hinauf. Dunkle Brille, graue Lederjacke, brauner Strickpullover- ein sportlicher Mann. Aber: Sein Gesicht war blaß. Im Gerichtssaal setzte er sich auf die Zeugenbank. Seine Frau sah ihn an. Er mied ihren Blick. Warum? Es sollte sein Tag werden. Jeden Abend hatte er Sport getrieben, viele Kilometer gejoggt, mehrere Pfund Gewicht verloren. Er wollte fit sein, wenn er vor den Richter trat. Gestern um 9.20 Uhr war es soweit. Reinhard Weimar, der Vater der toten Mädchen, stieg mit schnellen Schritten

Von Thomas Eggeling Fulda - Reinhard Weimar sprach mit Melanie und Karola das Abendgebet. "Ich bin klein, mein Herz ist rein, soll niemand drin wohnen als das liebe Jesulein."

Es war Sonntag, der 3. August 1986, 22.10 Uhr. Wenig später waren die Mädchen tot.

Richter Klaus Bormuth fragt Reinhard Weimar: "Haben Sie Ihre Kinder umgebracht? Sie hätten doch ein Motiv gehabt! Sie wurden gedemütigt noch und noch. Waren Sie es?"

Reinhard Weimar: "Nein!"

Richter: "Wer hat denn Ihrer Meinung nach die Kinder getötet? War es Ihre Frau?"

"Ich kann nicht sagen, ob sie es war. Das weiß ich bis heute nicht. Das wüßte ich ja auch gern."

Richter: "Können Sie sich an den 29. August erinnern?"

Der 29. August - das war der Tag, an dem Reinhard Weimar für kurze Zeit unter Mordverdacht festgenommen wurde.

Richter: "Sie haben damals gesagt, ,ich kann mich nicht erinnern, diese Tat begangen zu haben!' Und Sie haben gesagt: .Wenn ich tatsächlich damit etwas zu tun haben sollte, könnten es nur Ausfälle bei mir gewesen sein!'"

Weimar wird unruhig: "Ich wußte gar nicht, was auf mich zukommt. Ich hatte nicht die Kraft, mich zu widersetzen. Ich habe es anders gemeint, aber ich war fix und fertig und wußte mir nicht mehr zu helfen. Ich habe nur aus dem Gefühl heraus was gesagt."

Der Richter: "Es ging doch um Kopf und Kragen! Oder wußten Sie in dieser Nacht wirklich nicht, ob Sie es gewesen sind?"

Reinhard Weimar, das haben ärztliche Untersuchungen ergeben, ist krank. Er bekommt häufiger epileptische Anfälle, leidet an der Parkinsonschen Krankheit und nahm Psychopharmaka. Hat er, wie die Verteidiger von Monika Weimar behaupten, seine Kinder in einem "Blackout" getötet?

Reinhard Weimar sagt: "Ich kann mich nicht erinnern, daß so ein Anfall in der Nacht war!"

Richter: ".Fast sicher', heißt es im Protokoll, waren Sie sich, daß Sie die Kinder nicht transportiert haben!" Die Stimme des Richters klingt nicht vorwurfsvoll. Aber sie fordert eine Antwort.

Reinhard Weimar gibt sie nicht. Er schweigt.

Der Richter hakt nach: "Am 30. August wurde die Vernehmung fortgesetzt. Da finden sich ähnliche Äußerungen. Und Ihre Schwägerin Brigitte Elliott hat gesagt, sie habe nachts der Karola das nasse Höschen gewechselt. Frau Elliott hatte den Eindruck, daß Karola gro- ße Angst hatte. Ich frage Sie: Kann Karola gesehen haben, wie Sie Melanie mit einem Kissen erstickt haben? Könnte es so gewesen sein?"

Reinhard Weimar schweigt weiter.

Der Richter: "Damals haben Sie gesagt: .Dann muß es ein Blackout gewesen sein, wenn es so war.' Was sagen Sie heute dazu?"

Jetzt antwortet Reinhard Weimar: "Nein, das war kein Blackout! Das stimmt nicht, das hat mit dem Druck durch die Kripo zu tun!"

Richter: "Was hat die Polizei gemacht, was in Ihren Augen nicht richtig ist?"

Wie war es denn?"

"Das bißchen Rempelei, die blauen Fleckchen und sonst nichts!"

Der Staatsanwalt: "Sie haben Melanie geschlagen. Kam es dabei zu Verletzungen?"

"Ein Zahn hat ein bißchen gewackelt und geblutet, sonst nichts!"

Monika Weimar hat ihren Mann mit unbewegtem Gesicht die ganze Zeit zugehört. Jetzt springt sie auf. Ihr Verteidiger Wolf-Rüdiger Schultze gibt ihr das Mikrofon.

Im Saal ist es still, ein schrecklicher Dialog beginnt. Die Abrechnung einer kaputten Ehe vor Gericht.

Monika Weimar: ?Reinhard, immer sollen nur die anderen gesagt haben, daß du Melanie nicht magst. Du sagst, das stimmt nicht. Melanie stand einmal vor dem Fernseher. Es war Fußball. Du hast nach ihr mit

den Füßen getreten, daß sie durch die Stube flog."

Reinhard Weimar: "Du dramatisierst."

Monika Weimar: "Wurde die Ehe nicht schon 1982/83 schlechter, als ich die erste Ohrfeige von dir bekam? Weil ich dir Vorwürfe gemacht habe, daß du so oft weg warst?"

"Da war ich gar nicht mehr so oft unterwegs!"

Monika Weimar: "Du sagst, du hattest wenig Zeit, mit den Kindern zu spielen. War es nicht so, daß du keine Lust dazu hattest?"

"Das stimmt nicht. Du hast mit Vorwürfe gemacht, ich könnte das nicht mit den Kindern! Ich habe es ja versucht!"

Monika Weimar: "War es nicht so, daß es, seit ich ein Verhältnis hatte, immer öfter Streit gab? Du hast mich doch geschlagen, daß ich in die Ecke flog. Das weißt du doch!"

"So schlimm war das nicht."

Jetzt fragt Monika Weimars Verteidiger: "Haben Sie Ihre Frau mit einem Hammer bedroht?"

"Ich habe den Hammer ein bißchen hochgehoben."

Anwalt: "Hat man Ihnen nicht im Krankenhaus angeboten, ein psychiatrisches Gespräch zu nutzen?"

"Ich wollte nicht in die Psychiatrie. Ich wollte nicht, daß die mich völlig kaputtmachen."

Um 16 Uhr ist die Verhandlung zu Ende. Reinhard Weimar wischt sich mit einem Tuch über die feuchte Stirn. Er sieht müde aus, erschöpft.

Es sollte sein Tag werden . . .

Der Prozeß wird am 10. April fortgesetzt.

"Ich bin gefragt worden, ob ich nun ein Geständnis machen würde, nachdem ich die Nacht darüber geschlafen hätte."

Damals - Ende August 1986 - hielt die Staatsanwaltschaft Reinhard Weimar für den Mörder. Sie glaubte der Aussage der Mutter, daß ihr Mann die Kinder getötet hat.

Jetzt fragt Richter Klaus Bormuth den Vater, was in der Nacht zum 4. August geschah. War er wach, als Monika Weimar morgens um 3.20 Uhr nach Hause kam? Machte er ihr Vorwürfe, weil sie sich mit ihrem Geliebten Kevin Pratt, dem US-Soldaten, getroffen hatte?

"Nein", sagt Reinhard Weimar, er habe geschlafen.

Die Wahrheit sei: Er habe mit den Kindern bis um 22.10 Uhr den Fernsehfilm "Am Wendepunkt" gesehen und sie dann ins Bett gebracht. Dann habe er sich selbst schlafen gelegt.

"Ich weiß genau, daß ich am nächsten Morgen um 10.30 Uhr aufgewacht bin und die Kinder weg waren."

Der Richter fragt Reinhard Weimar: "Haben Sie die Mädchen geschlagen?"

"Nicht, daß ich wüßte." An dieser Stelle schaltet sich Staatsanwalt Hans Wächter ein. Mit schneidender Stimme fragt er: ?Sie haben gesagt, so schlimm waren die Tätlichkeiten nicht!

Ich habe meine Kinder nicht umgebracht. Es war mein Manni" Vor dem Landgericht Fulda beteuert Monika Weimar (28), die Angeklagte, ihre Unschuld. Ihre Version: Sie kam in der Nacht vom 3. auf den 4. August 1986 nach Hause und fand ihren Mann am Bett der leblosen Kinder. Noch in der Nacht brachte er die Leichen mit dem Auto weg. Dann gingen beide zu Bett. Um ihren Mann zu schützen, meldete sie Melanie (7) und Karola (5) als vermißt. Bei ihrer ersten Festnahme 24 Tage später sagte sie die Wahrheit - ihre Wahrheit.

Das sagt Monika Weimar Das sagt Reinhard Weimar

"Ich habe meine Kinder nicht umgebracht!" Auch Reinhard Weimar (35), der Vater von Melanie und Karola, beteuert seine Unschuld. Er ist beim Mordprozeß als Nebenkläger zugelassen und wird als Zeuge vernommen. Seine Version: Er schlief in der Nacht vom 3. auf den 4. August 1986, der angeblichen Mordnacht. Erst um 10.30 Uhr wachte er auf. Am späten Vormittag schickte ihn seine Frau zum Spielplatz hinter dem Haus, um die Kinder zu suchen. Sie waren aber nicht da. Drei Tage später wurden die Leichen gefunden.