Er war einer der ersten Sänger der Norag, der Vorläuferin des heutigen Rundfunks. Als vor 47 Jahren, am 1. 3uni 1929, das erste Hafenkonzert von Bord der “Antonio Delfino“ erklang, war er ebenso dabei, und er hat der ältesten Musiksendung der Welt und seiner Heimatstadt Hamburg bis zum Tode die Treue gehalten.

Hi-Fi-bewußte Jung-Rundfunkhörer von heute werden darüber lächeln, was ihre Väter und Großväter vor einem guten halben Jahrhundert trieben. Die Kopfhörer aufgestülpt, lockten sie mit feinem Kupferdraht aus den Kristallen ihrer "Detektoren", den ersten, meist selbstgebastelten Empfangsgeräten, Ätherklänge. Von kopfhörerloscn Familienmitgliedern bewundert, verklärten sich ihre Blicke, wenn auf geheimnisvolle Weise Musik. Gesang, Worte in die gute Stube transportiert wurden. Im Mai 1924 hatte die Norag in Hamburg, eine der ersten deutschen Rundfunkanstalten, den Unterhaltungsfunk eröffnet. Noch im selben Monat stand ein völlig unbekannter junger Hamburger Sänger vor dem Mikrophon: Bernhard Jakschtat. Bald sollten die Hamburger ihn "unseren Berni" nennen.

Buchstäblich "aus der Luft." begann die Karriere dieses bis heute nicht vergessenen Volkssängers, der mit sonorem Baß-Bariton Balladen, Opernund Operettenmelodien, Volkslieder und klassische Lieder ebenso brillant zu singen verstand wie seine Shanties und Weisen vom Hafen und dem weiten Meer.

Als ich im Mai 1964 für Berni zu seinem vierzigjährigen Sängerjubiläum die Jubiläumsveranstaltung beim NDR machte, da wurden viele Erinnerungen wach an die ungewöhnliche Laufbahn dieses schwergewichtigen Künstlers, der seine 214 Pfund mit soviel Anmut zu tragen wußte. Bernhard Jakschtat, weit über die Grenzen seiner engeren Heimat hinaus bekannt, war ein Künstler von seltener Urwüchsigkeit. Ein Mann, der sein Plattdeutsch heiß und innig liebte, bei dem sich Können, Humor, ausgelassenes Temperament glücklich miteinander verbanden. Wo Berm erschien, da "rauschte er wie ein aufgetakelter Sedismaster um KapHoorn", sagte man bewundernd. Und wo immer er bei seinen vielen Veranstaltungen aufs Podium stieg, da gab es ringsum nur strahlende Gesichter.

Bernhard Jakschtat war ein waschechter Hamburger Jung, in Eppendorf am Abendrothsweg als achtes Kind eines Maurerpoliers geboren. Später zog man nach St. Georg, wo Berni sich mit dem sechs Jahre älteren Hans Albers aus der Langen Reihe tolle Straßenschlachten lieferte. Voller Respekt meinte er später von seinem arrivierten Spielgefährten: "Hans Albers mit'n Eierkocher (dem steifen Schwarzen) op'n Döz ? dat weern Kerl."

Mit sechzehn schwang sich Bernhard Jakschtat aufs postalische gelbe Fahrrad und wurde Telegrafenbote beim Postamt 1, ein flinker "Gummirutscher". Daß Gold in seiner Kehle steckte, das merkten schon die Kameraden im ersten Weltkrieg, denen er in den Soldatenheimen seine Lieder vortrug. Aber richtig los legte er dann, als er die graue Felduniform wieder mit der blauen Postgarnitur tauschte und als Mitglied der "Liedertafel der Postund Telegraphenbeamten" am Feierabend aufs Podium stieg.

Dann brach das Funk-Zeitalter an. Bernis Kameraden waren baß erstaunt, als er ihnen sagte: "Ich geh' mal bei der Norag vorbei und werd' euch im Radio was vorsingen." Und wie im Märchen ging es denn auch zu. Berni klopfte forsch an die Tür im Senderaum der Norag, die damals noch im Postamt in der Binderstraße ein bescheidenes Dasein führte. Und so sah Bernis erster "Funk-Kontakt" aus: Keine Vorzimmerdame ließ den Tollkühnen abblitzen. Ehe Berni es sich versieht, wird er vom späteren Funk- Oberregisseur Hermann Beyer in den Sendesaal geschleust, wo Adolf Sekker, erster Norag-Kapellmeister, am Flügel sitzt. Der blickt wohl etwas skeptisch, als der junge Postmann zum Vorsingen den "Abendstern" anbietet. Aber schon greift Secker in die Tasten. "O du mein holder Abendstern" tönt's durch den mit schweren Vorhängen schallgerecht als Studio frisierten Raum. Nach ein paar Takten spürt Berni, wie sich eine Hand auf seine Schulter legt. Aufhören? Aus und vorbei? Er kann es selbst kaum glauben, als Hermann Beyer anerkennend sagt: "Sie müssen Opernsänger werden. Wir engagieren Sie, lassen Sie sich ausbilden."

Noch während der Zeit, in der Bernhard Jakschtat seiner Naturstimme in Berlin und Hamburg den richtigen Kunst-Schliff gab, stand er fast täglich vor dem weißen Mikrophonwürfel, der damals dekorativ in einem Messingreif hing. Berni sagte mir einmal: "Ohne den Rundfunk wäre ich wohl nie ein richtiger Sänger geworden."

In der Jubiläumssendung erzählte Bernhard Jakschtat von dieser "Sturm- und Drangzeit" des Funks, als in Hamburg stolze 896 Hörer ihre Gebühren bezahlten. "Wir waren noch so eine richtige Familie. Zu ihr gehörten der Tenor Ferdinand Schneider, die unverwüstliche und sehr beliebte Sprecherin Edith Scholz, die erste deutsche Rundfunksprecherin überhaupt. Natürlich prägten auch zwei so bekannte Künstler wie die Sopranistin Erna Kroll-Lange und der Operet.tenbuffo Erwin Bolt die Programme dieser ersten Hamburger Funk-Jahre "

An draufgängerischer Aktivität mangelte es nie bei Bernhard Jakschtat. Ein enormes Repertoire erarbeitete er sich in kurzer Zeit. Stolz berichtete er: "Ich sang von Bach bis Lincke einfach alles, was gerade verlangt wurde. Opern und Operetten, Singspiel. Oratorium, Balladen von Loewe und Lieder von Schubert und Brahms. Dazu kam natürlich mein umfangreiches plattdeutsches Liedgut."

In der Binderstraße ging es noch höchst abenteuerlich zu. Da gab es den berühmten "Hungerturm", einen postalischen Dienstraum, der von 15 Uhr an der Kunst zur Verfügung gestellt wurde. In dem Zimmer stand ein Flügel und sonst gar nichts. Hier schleppten

Jakschtat und Secker ganze Berge von Notenblättern herbei und übten oft die Nächte hindurch bis in den frühen Morgen. Und Berni, der mit Richard Wagners ..Tannhäuser" sich auf die neue Funkwelle geschwungen hatte, schreckte auch nicht vor dem Wotan und dem Fliegenden Holländer zurück.

Eines Tages kam Richard Wagners Sohn Siegfried nach Hamburg, und "unser Berni" begann ein wenig von Bayreuth zu träumen. Er sang Siegfried Wagner den Wotan vor, erntete Anerkennung, aber auch die schlichte Erkenntnis, daß er für diese Partie wohl doch noch nicht das richtige Volumen hätte. Anschließend aß man im Dammtor-Cafe zu Mittag, und Berni meinte hinterher w^eise: "Das Eisbein mit Sauerkraut hat dem Wagner wohl doch besser geschmeckt als mein Wotan."

Für gutes Essen war Berni stets zu haben. Kochen war seine große Leidenschaft. Man nannte ihn scherzhaft den "kochenden Volkssänger". Wenns am Maienweg aus seinem Haus verführerisch duftete, wußte jeder: ..Berni ist wieder im Land."

Bernhard Jakschtat hat schon in meinen Musiksendungen vor dem Krieg mitgewirkt. Aber so richtige Freunde wurden wir bei den vielen gemeinsamen Sendungen des Hamburger Hafenkonzerts. Es war für uns alle sehr aufregend, als das Hafenkonzert, im Juni 1954 das erstemal nach dem Kriege wieder auf einem richtigen "Musikdampfer" stattfinden konnte. An der Uberseebrücke lag die "Italia". Sie hatte zwar eine deutsche Besatzung, durfte aber nur unter fremder Flagge, der Flagge Panamas, fahren. Paul Thormöhlen war ihr berühmter Kapitän, mit dem wir die Sendung besprachen. Und Berni erinnerte sich daran, wie auch das erste Hafenkonzert an Bord eines schmucken Schiffs stattfand. Das war auf der "Antonio Delfino" am 1. Juni 1929. Seither sind 47 Jahre ins Land gegangen. Das Hafenkonzert hat sich als älteste Musiksendung der Welt am Leben erhalten.

Noch wenige Monate vor seinem Tode gab es für Berni einen harten Schicksalsschlag. Er mußte den Verlust seiner Stimme befürchten. Doch nach einem operativen Eingriff war die Stimme wieder da, fülliger und schöner denn je. Und nach der Operation schmunzelte Bernhard Jakschtat: "Nu kann ich erst, richtig singen. Ich leg di den Wotan hen. dor hett de ole Richard ut Bayreuth noch sien Freid an."

Keiner von uns wußte, daß Berni beim Hafenkonzert am 1. Weihnachtsfeiertag 1964 das letztemal vor dem Mikrophon stehen sollte. Und noch einmal sang er seine LieblingsLieder: "Wo de Nordseewellen trecken an den Strand . . .". Sechs Monate später nahmen die Hamburger für immer von "ihrem" Berni Abschied.

Lesen Sie morgen über das Leben eines Kaufmannes, der 1945 bei den Übergabeverhandlungen mit den Engländern einer der Retter Hamburgs wurde. Der Autor dieses Berichts ist Rudolf Schlenker.