Im “Europäischen Naturschutzjahr 1970“ planen 25 Nationen ernsthafte Schritte, um die Bedrohung des Menschen durch seine eigene Zivilisation zu mildern. Die Verwüstung unserer natürlichen Umgebung hat ein weltweites Ausmaß angenommen. Die Menschheit ist im Begriff, jenen Ast zu zerstören, auf dem sie sitzt. Und dieser Ast ist der Erdplanet.

Komische Leute waren einstmals die Naturschützer. Sie wanderten in Lodenmäntel und Wickelgamaschen und schimpften hinter den benzinstinkenden Autos her.

Sie waren gegen Autos, denn die Technik war ihnen ein Greuel. Fortschritt erschien ihnen allemal verdächtig. Sie verkannten, daß Wissenschaft und Technik das Leben bequemer und menschenwürdiger gemacht- haben.

Naturschutz ist heute längst keine Sache mehr für romantische Schwärmer. Denn mit der wachsenden Industrie ist keineswegs auch das Gewissen gegen- über der Umwelt gewachsen. Und die Gesetze als "Gewissens-Ersatz" hinken

Diesen Bericht schrieb Gustav Adolf Henning

weit hinter der Entwicklung her.

So kommt es, daß die Segel des Fortschritts schief hängen. Die Zivilisation bekommt immer mehr Ähnlichkeit mit einer schlechten Glühbirne, die eigentlich Licht verbreiten soll, aber die meiste Energie in unerwünschte Wärme verwandelt. Und so gibt es heute nicht wenige Landstriche auf der Erde, wo die Zivilisation bereits ihre Kinder frißt.

Wären sie in der Bundesrepublik allein auf den Sauerstoff angewiesen, den die "grünen Lungen" der Pflanzenwelt erzeugen, dann wäre eine Sauerstoffnot abzusehen. Denn durch die Verbrennung von Kohle, Erdöl, Benzin und Gas wird mehr Sauerstoff verbraucht, als dde Pflanzen nachliefern. Für. die Luftsäule über dem Gebiet der USA beträgt das Sauerstoff-Defizit fast zwei Milliarden Tonnen pro Jahr.

Die Menschen auf hochzivilisierten Kontinenten sind also schon auf den Sauerstoff angewiesen, den die Algen im Meer erzeugen und die Winde vom Atlantik und Pazifik herüberwehen.

Wer an der Wasserkante steht und tief einatmet, meint, er habe "frische Luft" getankt ? und täuscht sich. Denn die Schwaden, die von amerikanischen Industriestädten erzeugt werden, sind noch etliche hundert Kilometer weit auf dem Atlantik als künstliche Dreckwolken erkennbar. Ihr Inhalt an giftigen Abgasen und Staub wird nicht sogleich mit Regen ins Meer gespült Ein Teil des Drecks weht um die Erde.

Nach jüngsten Messungen hat die Lufttrübung über der Schweiz um 88 Prozent zugenommen, über Washington um 57 Prozent. Forscher von der New Yorker Universität ermittelten viele Beispiele, in denen der Staubpartikelgehalt der Luft in den letzten fünf Jahren um das Zehnfache angestiegen: ist.

Staub in der Luf t jjfchirmt die Sonneneinstrahlung ab und fordert' außerdem die Wolkenbildung. Gleichfalls nach jüngsten Berechnungen hat die hohe Cirrus- Wolkendecke über dein Atlantik zwischen Nordamerika und .Europa um fünf bis zehn Prozent zugenommen. Wie vermutet wird, stammen diese Wolken von den Kondensstreifen den Düsenflugzeuge. Das amerikanische Nachrichtenmagazin "Time" veröffentlichte kürzlich Bedenken von Meteorologen gegen den künftigen ' Überschall-Zivilluftverkehr. Abgase und Rußpartikel dieser "über dem Wetter" fliegenden Maschinen reichern sich im Laufe der Zeit in der Stratosphäre an. Sie könnten wetterwirksam werden.

Der Klimatologe Prof. R. A. Bryson von der Wisconsin-Universität sagte voraus, daß sich durch den zivilen Uberschall-Luftverkehr ein breiter Streifen über dem Atlantik zwischen Europa und Amerika zu hundert Prozent und dauernd mit einer Cirrus- Wolkenschicht bedecken wird. Der Forscher nimmt an, daß die Abschwächung der Passatwinde und der Westwinde in den letzten zehn Jahren auf die zunehmende Luftverschmutzung zurückzuführen ist.

Auf Konto der Autos

Im Durchschnitt sind 31 Prozent des Himmels über der Erde mit Wolken bedeckt, die die Sonneneinstrahlung abblenden. Nur fünf Prozent zusätzliche Wolken durch Luftverschmutzung würden die mittlere Temperatur um vier Grad herabsetzen. Damit käme die nächste Eiszeit bestimmt. Sie könnte ein unerwünschtes Beiprodukt der Zivilisation sein, sozusagen ein "Industrie- Erzeugnis".

Astronauten erkennen aus dem Weltraum Industrie-Städte daran, daß an dieser Stelle ein whiskybrauner Schleimfleck in der Ländschaft zu sehen ist. Rund 60 Prozent dieser Luftverseuchung gehen auf das Konto des Autoverkehrs.

In kleinen Einzelfällen haben Meteorologen die Klima-Wirksamkeit der Luftverschmutzung exakt nachweisen können. Ein Beispiel für viele: Die Stadt La Porta (Indiana) liegt 50 Kilometer entfernt von den Stahlwerken von Gary und Süd-Chikago. In den letzten vierzehn Jahren stieg in La Porta (Indiana) liegt 50 gentage um 31 Prozent, der Gewittertage um 38 Prozent und die Zahl der Tage mit Hagel um 245 Prozent. Die Regenkurve von La Porta stimmt genau überein mit der . StahlrProduktionskurve der Werke in Gary.

Klima ändert sich

Ob sich die irdische Luftverschmutzung im gegegenwärtig kühler werdenden Klima schon bemerkbar macht, ist nicht mit Sicherheit zu sagen. Seit zehn Jahren sinken die Temperaturen. Aber diese Erscheinung, ebenso wie der letzte lange und kalte Winter, liegen noch durchaus im Bereich ganz natürlicher Klimaschwunkungen.

Dennoch befürchten viele Meteorologen, daß es einen "Punkt ohne Umkehr" geben mag, von dem aus die verschmutzte Luft zwangsläufig und unaufhaltsam das Klima beeinflußt. Der Winter 196869 brachte für den Nordatlantik eine Eisbedeckung, wie es sie schon feeit sechzig Jahren nicht mehr gab. Viel Eis reflektiert viel Sonnenstrahlung wieder in den Weltraum hinaus und verbraucht viel Wärme zum Schmelzen. Auf die Dauer können gro- ße Eisflächen den irdischen Wärmehaushalt ungünstig beeinflussen.

Klima und Luft sind Lebenselemente des Menschen, sie gehören zur Natur, in der wir leben. Beim Naturschutz geht es heute schon nicht mehr allein um die Serengeti, nicht mehr allein um die Wiedereinführung des Uhus in den deutschen Bergwäldern. Beim Naturschutz geht es um die Lebensgrundlagen der nächsten Generation. Lesen Sie in der nächsten Folge:

Naturhaushalt vor der Pleite