Norbert Carstens und Wulf-Dieter Klemm haben gestanden, das Millionen-Feuer in der Bergedorfer Holzhandlung Behr gelegt zu haben. Ihr Grund: Freundeshilfe für Manfred Hanner, der verdächtigt wird, zwei Monate zuvor die Hansa-Schule angezündet zu haben. Die Staatsanwaltschaft scheint dieses Motiv zu akzeptieren, die Eltern können und werden es niemals begreifen. Wäre sie in Hamburg, könnte vielleicht Astrid Friedsch manches erläutern. Denn die blonde Astrid war angeblich meistens dabei.

Wulf-Dieter Klemm und Norbert Carstens haben sich entschlossen, "reinen Tisch" zu machen. Sie haben den Behr-

Braod zugegeben und eine Reihe von Plänen und "Kokeleien", die zeitlich davor lagen: Vorgänge, die von Gutwilligen noch als dumme Streiche abzutun wären, hätte es nicht die Eskalation gegeben, die zur großen Bergedorfer Brandnacht führte.

Die 21jährige Astrid, die dabeigewesen sein soll, wenn sich Klemm und Carstens Mut und Aggression antranken, bevor sie Entlastungsaktionen für den Freund Hanner unternahmen, verkraftete die Versuche und die mißlungenen Spiele mit dem Feuer anscheinend leicht. Sie wußte von einem vergeblichen Gang zur Schule Hohenzollernring und zum Christianeum, den Carstens und Klemm nach einer Feier in der Klemmschen Wohnung in Altona antraten, und sie hat wohl auch einen fehlgeschlagenen Besuch an der Bergedorfer Michaelis-Kirche miterlebt.

Als das Feuer ausbrach, saß sie auf einer Bank

Hat sie da gebremst, hat sie da versucht, kaltes Wasser auf die alkoholisierten Köpfe zu schütten? Sicher ist nur: sie saß auf einer Bank, als die Holzhandlung Behr aufloderte, sie wurde von den Jungen von dieser Bank abgeholt, und sie rannte mit ihnen in das Haus eines gemeinsamen Freundes.

Und nun wird notwendig, ein paar Worte über Bergedorf zu sagen, verwunderte Worte über das solide, bürgerliche Städtchen an Hamburgs Peripherie. Oder ist es nicht verwunderlich, daß zwei hitzköpfige Jungen dort nicht nur eine die Feuersbrunst in Gedanken mitdurchspielende Freundin hatten, sondern offensichtlich auch eine ganze Reihe Menschen, die wußten oder zumindest ahnten, wo die Täter zu suchen waren?

Denn schließlich gab es ja nicht nur die Freunde, aus deren Fenster man ? Logenplatz gewissermaßen! ? sich das feurige Unheil ansah. Da wurde in Kneipen vor anderen Bekannten renommiert, und da flickten die Mütter anderer Kumpel Hosen, die beim hastigen Rückzug vom Tatort zerrissen worden waren.

Doch Bergedorf tippte zunächst einmal auf seine recht laute APO. Mitten unter den Bürgern hatte sich eine Kommune gebildet, und deren Zentralfiguren, der Jurastudent Piltz und der Drogist Simon, lernten das Untersuchungsgefängnis kennen. Erst als ein anderer Angehöriger der Außerparlamentarischen Opposition, der Lehrer Dieckmann, den beiden ein Alibi bestätigte, kamen Piltz und Simon wieder an die frische Luft.

Nichts tat sich in den nächsten Tagen. Etwa zwei Wochen dauerte es, die sich Astrid Friedsch "quälte". Dann entschloß sie sich zum Sprechen.

Und nun dreht sich abermals dieses seltsame Bergedorfer Karussell aus Freundschaften, Bekanntsein und verquollenen politischen Sympathien: die Fremdsprachen-Korrespondentin Astrid Friedsch ging nicht zur Polizei. Sie wandte sich an die Freunde oder Bekannten von der APO, als sei sie Instanz für ein Delikt wie Brandstiftung.

Die APO wiederum sagte auch nicht: "Dann wollen wir einmal zur nächsten Wache!" Die APO, präzise der Lehrer Alfred Dreckmann, sagte zur blonden Astrid: "Dann laß uns einmal zum STERN gehen und deine Geschichte erzählen."

Der Gang zur Staatsanwaltschaft blieb Alfred Dreckmann und seiner Zeugin allerdings doch nicht erspart. Xtie . lüusjrieijiwi -Redakteure veranlagten Jhrf,Besucher dazu. Dem APO- Anhänger Dreckmann muß es ziemlich schwergefallen sein, mit der Justiz zu kooperieren, die er ja seiner politischen Überzeugung nach als Organ einer zu bekämpfenden Gesellschaftsklasse ablöhnt. Um das den kritischen Genossen klarzumachen, werden einige dialektische Purzelbäume notwendig sein.

Astrid Friedsch jedenfalls machte ihre Aussage, und fünf Stunden später waren Wulf-Dieter Klemm und Norbert Carstens verhaftet. Abermals rund eine Woche später spielte die APO der Bergedorfer Heimatzeitung den ganzen Fall zu, nicht ohne sich in einer 60-Zeilen-Erklärung von dem Vorgang und den Tätern zu distanzieren. Sie konnte das auch, denn nirgendwo findet sich vorerst ein klarer Hinweis darauf, daß die beiden zur APO gehörten. Möglicherweise sind Klemm und Carstens zu einem weiten Kreis von Sympathisierenden zu rechnen.

Keine Chance, sich von Norbert Carstens oder Wulf-Dieter Klemm zu distanzieren, haben ihre Familien. Und das ist der Punkt, an dem die eigentliche Tragik dieser Bergedorfer Brände ? denn auch die Hansa-Schule gehört in die Vorgeschichte ? beginnt.

Norbert Carstens: das ist der 21 Jahre alte Sohn eines Curslacker Blumen-Exporteurs. Aufgewachsen in einem gutsituierten, sehr bürgerlichen Elternhaus, geht er nach dem Besuch der Hansa-Schule in eine Lehre. Wahrscheinlich wünscht sich der Vater, daß er eines Tages ebenso wie der ältere Bruder in die Firma eintritt.

Wulf-Dieter Klemm: auch er ist 21 Jahre alt, Abiturient der Hansa-Schule und jüngster Sohn eines Anwalts, der sieben Kinder hat. Ursprünglich will er Journalist werden, bewirbt sich beim "Spiegel" und bei einer großen Hamburger Tageszeitung. Als er dort keine Chance erhält, beginnt er eine Banklehre, die er nach Vollendung des 21. Lebensjahres abbricht. 1966 zieht die Familie Klemm aus Bergedorf nach Altona. Dieter ist häufig bei den alten Freunden der Schulzeit zu finden.

Diesen Bericht schrieb Wolfgang Fricke

Beiden Elternhäusern ist eines gemeinsam: sie sind konservativ. Wenn man will, sind "autoritäre Strukturen" bei der Behandlung der unruhigen Söhne zu diagnostizieren. Und die Väter sind relativ "alte Väter".

"Ich habe wohl einmal bei einer hitzigen politischen Debatte spontan gesagt: ,Du bist nicht mein Sohn im Geiste.'", erinnert sich der Kaufmann Carstens. Er fügt hinzu: "Das ärgerliche Wort müssen sie in der richtigen Bedeutung verstehen. Ich bin schließlich 46 Jahre älter als Norbert." Er ist 67.

Der Jurist Klemm sagt: ?Wir hatten den Ruf, nicht gastfreundlich zu sein. Er hat Freunde mitgebracht, die Krach gemacht haben und sich auf einen Balkon unter uns erbrochen haben. Ich

habe sie aus der Wohnung gewiesen. Am nächsten Morgen fanden wir einen Zettel: ,Bitte nicht stören, wir wollen ausschlafen.' Sie hatten den letzten Zug nicht mehr bekommen ? da haben wir ihnen selbstverständlich noch Frühstück gemacht. Aber ich wollte das nicht."

Werner Klemm, 61 Jahre alt, Diabetiker und zu Gefühlswallungen neigend, hat sich auch fürchterlich geärgert, als Dieter gegen sein ausdrückliches Verbot seinen Wagen benutzte, und er sagt zu einem anderen Vorfall: "Er war mir unverständlich geworden." Von einem England-Besuch hatte der Sohn einen Brief mit der Aufschrift "Zuchthaus Dartmoor" geschickt ? eine Sorte Schwarzer Humor, die der Vater nicht teilte.

Diesen beiden jungen Männern, die in Unverständnis mit ihren Elternhäusern leben, begegnet nun im April der acht Jahre ältere Manfred Hanner, Berufsbezeichmung Schriftsteller und Regisseur, Reserveoffizier mit angeblichen Berliner APO-Taten, vor allem aber ein trinkfester Kumpan mit Witz und Schlagfertigkeit. Er beginnt sofort in den Gaststätten, in denen sich aktive und einstige Bergedorfer Hansa- Schüler treffen, eine große und laute Rolle zu spielen.

An Hammer scheint nichts Ruhiges, Bedächtiges oder Mäßigendes gewesen zu sein. Den Jungen ist er vibrierend erschienen, aufgeladen mit Aktivität, ein Bänkelsänger der gewalttätigen Veränderung und Tribun der Unruhe. Sprüche wie "Bergedorf muß brennen" werden ihm zugeschrieben, betrunkene Sprüche zwar, doch offensichtlich zündende in ganz- makabrer Weise: Am 16. Juni brannte die Hansa-Schule. Hanner war zusammen mit Wolf -Dieter Klemm in sein altes Gymnasium eingedrungen.

Der Jüngere rannte davon, noch ehe das Feuer gelagt war. Er hatte sich beschmutzt und wollte sich irgendwo säubern. Hanner, angeblich stark unter Alkohol, legte den Brand. Wenige Tage später wurde er verhaftet.

Manfred Hanner, um den sich die sogenannten APO-Anwälte Degenhardt und Groenewold bemühen, dachte gar nicht daran, ein Geständnis abzulegen. Das brachte die Freunde Klemm und Carstens auf die Idee, dem faszinierenden Kumpan zu Hilfe zu kommen. Sie taten es mit den bedenklichsten Mitteln.

Zunächst waren es vorgetäuschte Brandnester. Kleine Brände, die sie selbst wieder austraten, schlössen sich an. Irgendwann mußte sich doch, so meinten sie, bei der untersuchenden Polizei die Erkenntnis durchsetzen, daß Hanner unschuldig war, wenn da ständig ein Brandstifter vor sich hin zündelte, während der Freund fest verwahrt war.

Die Astrid Friedsch war angeblich immer dabei, und von ihr soll es immer ein "Los!" gegeben haben, wenn es um eine Entscheidungshilfe für einen neuen Anschlag ging. Wulf-Dieter Klemm hat das ausgesagt. Zwar sagt sein um beinahe selbstzerstörerische Objektivität bemühter Vater: "Möglicherweise ist das eine Schutzbehauptung", aber noch besser wäre natürlich, das blonde Mädchen dazu selbst zu hören.

Aber Astrid Friedsch ist aus Bergedorf abgereist. Ihr Ziel soll die Schweiz sein, obwohl auch das niemand bestätigen kann. Ihre Mutter kann man nicht fragen. Sie hat, nach Angaben von Nachbarn, die mit der Tochter bewohnte Wohnung im Röpnaredder in Bergedorf vor ein paar Tagen verlassen.

So muß man sich mit dem begnügen, was Astrid Friedsch bisher ausgesagt hat: über den Brand der Holzhandlung Behr, der die *- Eskalation des Brand- Feldzuges für Hanner war, und über den vergeblichen Plan, das Bergedorfer Restaurant "Kogge" einzuäschern. Mit dessen Wirt Prelle hatten eine Reihe von Jugendlichen Schwierigkeiten, und Wulf-Dieter Klemm soll dort einmal aus dem Lokal gewiesen worden sein.

Sie handelten, wie es jeder Staatsbürger getan hätte

Bei diesem Projekt ist es der Astrid Friedsch dann zuviel geworden. Sie ging zur APO, und die handelte ? nach einem kleinen Umweg über die Presse ? , wie Staatsbürger eben handeln.

Fast könnte man annehmen, die Bergedorfer Brände seien ? Routine- Maßnahmen zur ganz exakten Tatbestandsaufnahme einmal außer acht gelassen ? ; damit erledigt, gäbe es nicht die Fassungslosigkeit über den Absturz zweier sicherlich mit den besten Absichten und Liebe erzogener junger Menschen. Das aber ist sicherlich kein Problem, das auf die Familien Carstens und Klemm beschränkt ist ? es kann hinter den Fenstern von tausend Hamburger Häusern schlafen.

Nicht gleich mit so entsetzlichen Folgen wie für die Carstens und die Klemms, die mitten unter uns leben und die nun bedrängt werden von Tadel, Schadenfreude und Mitgefühl, je nachdem, wie gut der gute Nachbar wirklich ist. Und die es so schwer haben, im Chaos der Gefühle und im Grübeln über mögliche Versäumnisse die feste Position zurückzugewinnen, die sie vor kurzer Zeit noch zu haben glaubten.

"Wieso war für den siebenten falsch, was für sechs Kinder richtig war", fragte Werner Klemm ratlos, und "Wir haben sogar an Selbstmord gedacht, meine Frau ist da sehr reell", entschlüpft es dem sachlichen Juristen, der sich eine ungeheuerliche Bürde auferlegen will: er will den Sohn, der im Polizei-Hochhaus nach langer Zeit wieder an seiner Brust lag, im Prozeß verteidigen.

Und wie sagte Frau Carstens? "Mein Mann ist ein liebender Vater wie jeder andere, der seinen Sohn nach altem System erziehen wollte."

Wahrscheinlich wäre es gutgegangen, hätte der Zufall den Seelenfänger Hanner nicht gerade in der kritischen Zeit zweier junger Menschen nach Bergedorf heimkehren lassen.