Von unserem Mitarbeiter

Gustav Schwenk

Düsseldorf, 18. August

Wenn nicht innerhalb der nächsten Wochen einige Wunder geschehen, dann hat der Deutsche Leichtathletik-Verband (DLV) für die Athener Europa- Meisterschaften (16. bis 21. September) weit weniger Chancen als in früheren Jahren anzumelden. Das ist das bittere Fazit der Deutschen Meisterschaften im Düsseldorfer Rhein-Stadion. Nur ein Mann, dem Lobhudeleien so leicht über die Lippen fließen wie dem DLV-Präsidenten Dr. Max Danz, konnte von "drei großen Meisterschaftstagen" sprechen.

Jene kürzlich bekanntgegebenen Normen für die sogenannte Olympiaklasse, deren Mitglieder besondere Förderung erhalten sollen, wurden im Rhein-Stadion nur von vier Meistern erfüllt: von Klaus Wolf ermann (Gendorf) mit dem neuen DLV-Speerwurfrekord von 83,60 m, vom wiedererstarkten Hammerwurfrekordmann Uwe Beyer (69,98 m), durch den auf 2,15 m verbesserten Münchner Hochspringer Ingomar Sieghart und natürlich durch die mit etwa 10 m Vorsprung siegreiche Diskuswerferin und Weltrekordlerin Liesel Westermann (60,80 m). Das ist selbst unter Berücksichtigung des für Leichtathletik-Meisterschaften fast schon obligatorischen Regenwetters vom Sonnabend viel zu wenig, gemessen z. B. an den vielen Glanzleistungen bei den kürzlichen "DDR"-Meisterschaften.

Es wirkte wie eine wehmütige Erinnerung an bessere Leichtathleitkzeiten, als Fünfkampf-Olympia-Siegerin Ingrid Becker zum Ausklang der Titelkämpfe den Rüdolf-Harbig-Gedächtnispreis erhielt.

Nur einmal wackelte ein deutscher Rekord: bei Ingomar Siegharts Hochsprung-Versuch über 2,19 m. "Einmal hatte ich ein solches Pfund drin, da glaubte ich schon, der Rekord wäre mein", ärgerte sich der Münchner Ingenieur. Dabei war die Anlage mit dem Wechsel im Anlauf von Asche auf Tartan nicht gerade ideal.

Und die Speerwerfer klagten über Rückenwind. Klaus Wolfermann, der kleinste unter den Endteilnehmern im Speerwurf-Endkampf, machte das nichts aus. Er jagte den Speer gleich im ersten Versuch 83,60 m durch die Luft und bestätigte diesen neuen DLV-Rekord mit einer Weite von 82,70 m.

Ein Klasseathlet wird eben auch mit nicht gerade idealen Bedingungen fertig. Liesel Westermann beweist es fast in jedem Wettkampf. Was sie am Sonnabend mit ihrem Kugelstoß-Uberraschungssieg (16,59 m) angekündigt hatte, bewies sie am Sonntag: Sie ist immer für 60-m-Würfe mit dem Diskus gut. Nur der Beifall der verwöhnten Zuschauer wird immer geringer. Dabei hat Liesel Westermann nur ihre eigenen, noch besseren Würfe als Gegnerin.

Noch erfolgreicher als Liesel Westermann war ihre Klubkameradin Heide Rosendahl, die über den neuen Fünfkampfweltrekond der österreichischen Silbermedaillengewinnerin Liesel Prokop staunte. "Im Weitsprung bin ich jetzt viel stärker als über 100 m Hürden. Denn ein Sieg über Ingrid Becker zählt doch viel", schätzte Heide ihre beiden Meisterschaften ein, und dann machte sie sich auf, die 4mal-100-m-Staffel für TuS Leverkusen zu entscheiden. "Die Athleten müssen zu Hause auf Kunststoff trainieren können, andernfalls bleibt ihnen bei Wettkämpfen nichts anderes übrig als zu experimentieren, wie es heute Ingrid Becker tat", kommentierte Fünfkampftrainer Paul Klinkmüller, als Heide Rosendahl mit 6,48 m gegen Ingrid Becker mit 6,40 m gewonnen hatte.

In Dörfern oder Kleinstädten wuchsen nahezu alle Meisterinnen von Düsseldorf auf. "Ich bin nicht direkt aus Achern, sondern aus dem kleinen Dorf Mölsbach", betonte die gerade 1,60 m große Bärbel Hähnle nach ihrem überraschend klaren 100-m-Sieg. In drei Monaten gelang der kleinen Studentin der Spring von 12,0 auf 11,5 Sekunden.

Derartige Verbesserungen sind nicht allzu häufig in der derzeitigen deutschen Spitzenklasse. "Klein, aber oho!" staunte Ingrid Becker über ihre Bezwingerin. Über 200 m lief die Aachenerin Rita Jahn ? wenn auch mit Hilfe eines zu starken Rückenwindes ? so leichtfüßig 23.3 Sekunden, daß Jutta Stock auf schnellerer Bahn um ihren deutschen Rekord von 23,2 Sekunden bangen muß.

Daß aiuch bei den Frauen wenigstens ein DLV-Rekord fällig war, verdankte die kleine Allgäuerin Gerda Klopfer ihrer Besonnenheit im 1500-m-Lauf, das zu schnelle Anfangstempo ihrer Gegnerinnen nicht mitzumachen, sondern erst nach zwei Runden das Feld von hinten aufzurollen. 4:22,9 Minuten war der Lohn. Der Abstand zur Weltelite wird hier kleiner.

Die Hamburger erreichten in den Endkämpfen folgende Placierungen: Sonntag (HSV) Fünfter über 3000 m Hindernis (8:53,0); Jörn Schmidt (HSV) Fünfter im Hammerwerfen mit 63,90 m; Lacher (Polizei) Dritter im Dreisprung mit 15,35 m; die 4xl00-m-Staffel der Polizei belegte mit 41.4 Sek. den fünften Platz. Frauen: Im 100 m Hürdenlauf wurde Christel Voss (LAG) mit 14,3 Sek. Dritte. Gudrun Gülck (HSV) mit 14,5 Sek. Vierte; 400 m: 3. Antje Gleichfeld (LAG) in 55,4 Sek., 4. Inge Eckhoff (Niendorf) 55,4 Sek.; Weitsprung: Christa Herzog (HSV) belegte mit 6,02 m den vierten Platz; Hochsprung: Mit 1,66 m wurde Uschi Voss (St. Georg) Sechste.