Eigener Bericht H. K. Tondern, 19. Juli Vor dem Standesamt der dänischen Kleinstadt Tondern ist jetzt die hundertste Ehe geschlossen worden, der in der Bundesrepublik Hindernisse entgegenstanden. Italiener, Spanier und andere Ausländer, denen deutsche Behörden unter Hinheis auf das heimatliche kanonische Eherecht die Eheschließung mit geschiedenen deutschen Frauen verweigern, haben in dem Heiratsvogt von Tondern, dem “Giftefoged“, den Mann gefunden, der das große Glück trotzdem möglich macht.

Ist Tondern ein neues Heiratsparadies, ein zweites Gretna Green? Nun, wenn Minderjährige durchbrennen undr eine rasche Trauung verlangen, werden sie ebenso schnell wieder fortgeschickt.

Die Dänen sind eben ordnungsliebende Leute und der Standesbeamte Sönnichsen als Heiratsvogt auf die

Einhaltung bestimmter Voraussetzungen bedacht. Schon viele schrieben nach Tondern und warten herzklopfend auf die Antwort. Man rechnete mit einem Schreiben in einer fremden Sprache

und im trockenen Bürokratenstil. Statt dessen aber kam ein höflicher, in deutscher Sprache abgefaßter Brief, in dem es liebenswürdig heißt: "Es besteht auch die Möglichkeit, daß Sie vom Aufgebot hier im Lande befreit werden können. Sie müßten dann ein Gesuch an das dänische Justizministerium in Kopenhagen einreichen. Wir werden Ihnen später dabei behilflich sein."

In der Regel ist es nötig, wegen des Aufgebotes und der Prüfung der Papiere in Tondern einen Aufenthalt von 8 ? 10 Tagen zu nehmen. Doch der Heiratsvogt beruhigt schon vorher: ?Eine Aufenthaltserlaubnis ist nicht notwendig. Wer früher verheiratet gewesen ist,

muß nur seine Scheidungspapiere einreichen, die vom dänischen Justizministerium geprüft werden."

Wenn das königlich-dänische Justizministerium erst einmal festgestellt hat, daß die Scheidungspapiere in Ordnung sind, dann beißt jeder auf Granit, der den in Tondern einen Ausweg suchenden Brautpaaren dazwischenfunken will.

Denn das ein Paar in Tondern heiraten will, wird durch die Bekanntmachung offenkundig, die in der Heimatzeitung des Brautpaares durch den Heiratsvogt veröffentlicht wird.

Daß kürzlich Jose Suarez T. mit der Deutschen Helga Kröber, geborene Berger, die Ehe einging, war dem Bremer Innensenator, der das in der Zeitung las, gar nicht recht. Er schrieb nach Tondern : "Ich darf darauf hinweisen, da die Verlobten sich bereits früher einmal bemüht haben, vor dem Standesamt Bremen-Hemelingen die Ehe zu schließen." Das sei jedoch nicht möglich gewesen, weil der Eheschließung das spanische Recht entgegenstehe.

Der pflichtgemäß um die Einhaltung spanischer Gesetze in Deutschland besorgte bremische Senator beanstandete, daß Joses Braut schon einmal verheiratet gewesen und danach geschieden sei, weshalb "der Eheschließung das trennende Ehehindernis des Ehebandes" entgegenstehe. Genaue Hinweise aus Paragraphen des kanonischen Eherechts belehrten die Dänen, daß sich die spanisch-kanonischen Bestimmungen auch auf die evangelische, geschiedene Helga aus Bremen erstreckten.

Daraufhin ließ das königlich-dänische Justizministerium den Herrn Innensenator in Bremen ganz kurz wissen: "Personen, die im Ausland wohnen und deren Papiere in Ordnung sind, können in Dänemark heiraten."

Diese Rechtslage hatte vor mehr als einem Jahr ein Berliner Jurist benutzt, um daheim auftretende Schwierigkeiten im romantischen Tondern zu umgehen. Er wurde zum Begründer der Heiratswelle in dieser Kleinstadt, die drei Kilometer nördlich der deutsch-dänischen Grenze an der Westküste Jütlands liegt. Sie gehörte bis nach dem ersten Weltkrieg zum Deutschen Reich.

Wie überall in der Welt interessieren sich die Leute von Tondern mehr für Geschichten als für Geschichte. Deshalb umgibt eine Wolke von Sympathie jedes Brautpaar, das acht Tage lang 3mor-Kranz ? Butterkranzkuchen ? und süß marinierte Heringe entdeckt, durch enge Straßen spaziert und schließlich dem Heiratsvogt mit dem schon traditionellen Blumenstrauß dafür dankt, daß er ihnen zu ihrem Glück verhalf.

Freilich muß sich Jose Suarez T. nun davor hüten, in seiner südländischen Heimat mit Ehefrau Helga aufzukreuzen. Nach spanischen Begriffen sind die beiden nun "Bigamisten".

Brautpaare, die sich den von deutschen Behörden gewahrten kanonischen Paragraphen entziehen wollen, dürfen allerdings nicht vergessen, 200 Kronen ? das sind 120 Mark ? - für die Standesamtsgebühren nach Tondern mitzunehmen. Heiratsvogt Sönnichsen sagt dazu: "Wir verlangen das nicht, um etwa ein Geschäft daraus zu machen. Aber dänische Staatsbürger bezahlen die Unterhaltung unserer Behörden mit Steuern ? aus diesem Grund müssen hier im Lande nicht steuerpflichtige Ausländer dann bei der Gebührenzahlung mehr Geld auf den Tisch legen."