Hamburgs Bürgerschaft hat im vorigen Jahr 341 Vorlagen des Senats verabschiedet. Gesetze, Bebauungspläne und Änderungen bestehender Gesetze über die Sielbenutzungsgebuhr gehören dazu. Dinge, die jeden Tag jeden von uns betreffen, werden von 120 Abgeordneten entschieden.®

Im Etat der Freien und Hansestadt Hamburg für dieses Jahr 'sindfmehr als 3 8 Milliarden DM .verplant. illber die Verwendung dieses: riesigen- Betrages haben zwölf Senatoren, J zu denen die beiden Bürgermeister gehören; und-12ü Bürgerschafts-Abgeordnete entschieden. Es sind Bürger dieser Stadt verschiedener Altersgruppen,, verschiedener Berufe und beiderlei' Geschlechtes. Dem Hamburger Parlament gehören 22 "Damen und 98 Männer an.

In ihm sind 18 Angestellte zu finden, Rechtsanwälte, Geschäftsführer (je zehn), Kaufleute, Lehrer (je fünf), Direktoren, Prokuristen, Handwerker (je vier), Notare, Ärzte (je drei) und Beamte (nur zwei). , . . , ,.

Aber auch das musische Element fehlt nicht: Reinhard. Philipp . ist Regisseur und Walter Pohls Kunstmaler.

Die Seniorin, Frau Elsa Teuffert (77), hat in Ove Franz (29) einen Kollegen, der auch ihr Enkel sein konnte

Schließlich drängt es auch die Hausfrauen mit Macht zur Politik: zwölf Damen kümmern sich keineswegs nur um den Kochtopf, wohin politisierende Manner früher so gern die Frauen verwiesen sondern reden unüberhorbar mit.

In diesem Parlament sitzen moderne, von der Zeit gejagte Manager Hefbert Dau der 53jährige Bürgerschafts-Prasident, gehört dazu, der ?eigentlich Generaldirektor, des Deutschen Rings ist und Vorsitzender sämtlicher Vorstande dieses mächtigen Versicherungs-Unterneh-

Für ihn ist Politik und Beruf einfach eine Sache der guten Zeiteinteilung , . Sein Büro hat er nicht weit vom Rathaus, und so kann er beide Aufgaben vereinen.

Ausgesprochenes politisches Engagement muß es sein, das einen Abgeordneten wie den 64jährigen Alfred Johann Lew gleich in 21 Ausschüssen für Hamburg tätig weiden läßt. Levy konnte man als den "typischen Mittelstands- Vertreter" kennzeichnen. Er ist Inhaber einer kleinen Elektrofirma, zu der ein Ladengeschäft gehört.

Freie Tage sind knapp

Die 25?30 Stunden in der Woche, die die Kommunalarbeit bei ihm erfordert, muß er sich - sein eigener Chef ? selbst freigeben. Knappe Zeiteinteilung ist auch bei ihm Voraussetzung, aber sie wäre nicht ausreichend, würde nicht Frau Levy im Geschäft den Ehemann vertreten nach der Arbeitsverteilung mögend um sechs Uhr fährt das Paar gemeinsam die Baustellen ab, auf denen die Firma Aufträge ausführt. Irgendwann Setzt Frau Levy ihren Mann zu einer Ausschuß-Sitzung oder Besprechung ab, und irgendwann nimmt sie ihn wieder auf. Dieser fließende Übergang; eine Art ?Persönlichkeitsspaltung;', vollzieht sich an manchen Tagen mehrfach. . .

Freie Tage oder Wochenenden sind bei dieser Beanspruchung knapp. Alfred Johann Levy, seit 1920 in der Politik tatig, nennt sie "mein Hobby". Sie muß es wohl tatsächlich sein.

Hausfrau ist dagegen Frau Wilma Thiele (56). Sie wohnt in Rahlstedt in einer mit Sozialmitteln erstellten Wohnung, und sie ist mit einem pensionierten Oberinspektor der Feuerwehr verheiratet.

Den Haushalt und die Versorgung des 17jährigen Sohnes übernimmt bei den Thieles in dringenden Fällen der Ehemann. Er tut das mit viel Verständnis: ist er doch selbst viele Jahre aktiv in der Kommunalpolitik gewesen, bei der er seine Frau auch kennengelernt hat.

Politische Ehepaare"

Politisches Interesse scheint überhaupt kein schlechtes Bindemittel für Ehen zu sein. "Politische Ehepaare" gibt es in Hamburg eine ganze Reihe: ? Professor Weichmann, erster Bürgermeister der Stadt, und Dr. Elsbeth Weichmann,Bürgerschafts-Abgeordnete, sind das prominenteste Beispiel. ? Der Ehemann von Paula Karpinski, die Bürgerschafts-Abgeordnete ist und Jugend-Senatorin war, ist einmal Bürgerschafts-Abgeordneter gewesen. ? Frau Johanne Feilcke, Bezirksabgeordnete in Harburg, ist mit dem früheren Bürgerschafts-Abgeordneten Claus- Hinrich Feilcke verheiratet.

Und endlich findet auch Frau Irma Keilhack, Senatorin für Jugend sowie Ernährung und Landwirtschaft, in Adolf Keilhack einen verständnisvollen Partner zu Hause vor, der selbst einmal in der Bürgerschaft saß.

"Frau Senatorin", wie die offizielle Anrede lautet, ist in Hamburgs Regierung einzige Frau im Kreise von elf Männern. "Elf Kavalieren!" räumt sie selbst sofort ein, und sie ergänzt: "Das angenehme Arbeitsklima im Senat muß gerade von einer Frau als wohltuend empfunden werden."

Aber die Frau Senatorin verrät auch: "Es wäre völlig abwegig, zu glauben, daß bei harten Sachdebatteh irgend etwas mit .weiblichem Charme' gegen die Kollegen durchzusetzen wäre. Durchschlagskräftig ist allein das fundierte Wissen und das überzeugende Argument." An diese Form der Arbeit hat Irma Keilhack sich bereits zwischen 1949 und 1961 in Bonn gewöhnen können, wo sie Bundestags-Abgeordnete war.

Wenn Frau Keilhack als Resümee sagt: "Ich habe noch niemals das Gefühl gehabt, bei fachlichen Auseinandersetzungen angegriffen zu werden, weil ich eine Frau bin", dann ist damit für den Stil der Hamburger Verwaltung zweifach Erfreuliches gesagt:

Die Frau als Behördenchef und Poli-tikerin wird mit größter Selbstverständlichkeit akzeptiert; ihre Entscheidungen werden allerdings keineswegs nachsichtig-freundlich hingenommen, weil es sich um die Ansichten einer pfleglich zu behandelnden Dame dreht. Fachlich hochqualifizierte Kräfte in der Verwaltung scheuen sich nicht, der Frau Senatorin (oder dem Herrn Senator) kräftig zu widersprechen.

Wenn sie das nicht tun, tut das bei falschen Beschlüssen bestimmt irgendwann der Rechnungshof. Das ist der Rotstift unserer hansischen Demokratie. Der Rechnungshof ist eine Behörde, die man mit dem Wirtschaftsprüfer eines Mammut-Konzerns vergleichen kann. Sie kann zwar keine Weisungen erteilen, aber sie gibt Empfehlungen. Rechnungshof-Präsident Dr. Härder ist mit dem Resultat seiner Arbeit durchaus zufrieden: "Im allgemeinen erkennen Senat und Bürgerschaft die Empfehlungen an."

Der Rechnungshof wacht aber nicht nur über die Verwendung unserer Steuergelder. Vor einem Jahr befaßte er sich beispielsweise kritisch mit der Arbeit der kommunalen Ausschüsse. Dabei stellte er fest:

Bei sieben von elf Fachbehörden und drei von sieben Bezirksämtern gab es 20 Ausschüsse mit 2400 Mitgliedern, die zusammen 3700 Stunden tagten und 8000 Seiten Protokoll produzierten. Diese intensive Teilnahme an der Verwaltungsarbeit führte zur Verzögerung von Entscheidungen, die zwischen 14 Tagen und vier Monaten lag.

Der Hinweis auf die Verzögerung hatte Erfolg. Den Nutzen aus dieser Untersuchung zieht der Bürger.

.Sicherlich wird in der Hamburger Verwaltung viel geredet und gestritten. In der Bürgerschaft sind Mammutdebatten jedoch selten. Die maximale Sprechzeit eines Abgeordneten ist auf 30 Minuten, bei "kleinen Anfragen" auf nur zehn Minuten beschränkt.

Senatoren reden, manchmal länger. Am ausführlichsten ist der Finanzsenator bei der Etatrede. Aber da geht es ja schließlich auch nicht um Kleingeld.

Von den 3 838 601 000 DM des Gesamtetats könnte man nämlich genau 761 065 Volkswagen kaufen. Das wäre ein VW für zweieinhalb Hamburger und würde ? schrecklicher Gedanke ? die Zahl der in Hamburg zugelassenen Kraftwagen schlagartig verdreifachen.

!Das gedruckte Etat-Werk umfaßt drei Bände mit 1184 Seiten, die zusammen fünf Pfund und 215 Gramm wiegen. Enthalten sind darin 11000 EinzelpMrteft&Ml, für dj^Hamburg* Geld v3y"pafe'<u^;f' r

Bei dle$W'bimeriÄlG5riejli ist es kein Wundes, -'cfß trotz der '^vorbereitenden Arbeit in <22 Ausschussehi der Bürgerschaft zumiEtat noch 175 Wortmeldungen erfolgten. Über die richtige Verwendung von- Geld kann man schließlich auch gar nicht ausführlich .genug reden.*Hfc

Politik -wted immer anspruchsvoller. Sie erfordert' von Jahr zu Jahr 'exakte Kenntnisse der Materie.. Es. ist.. weniger, der Polemiker, der Erfolge erreichen kann, sondern weit eher der Fachmann. Das hat auch die jüngere Generation erkannt, die in die Parlamente einzieht, und die illusionslos ihre Ziele beschreibt.

Keine ?Hobby-Politiker

"Politik ist werdendes Recht. Als Jurist möchte ich auf den Prozeß der Rechtsschöpfung im Parlament einwirken", nennt der 36jährige Abgeordnete Dr. Jürgen Gündisch seine Absichten. Nicht zur Kategorie der "politischen Ehepaare" gehörig, sagt er über die Reaktionen der Familie: "Meine Töchter können noch nicht protestieren, weil sie erst ein und zweieinhalb Jahre alt sind. Meine Frau meint, Politik sei zwar anstrengend, sie erziehe aber zur Moral." Heinz Ruhnau, der Vorsitzende der Hamburger Metallarbeiter, der gleichaltrig ist und nun bald Innensenator sein wird: "Der verlorene Krieg hat mit klargemacht, daß sich die junge Generation in der Politik engagieren muß. Aus meiner Arbeit in Betrieb und Gewerkschaft habe ich dazugelernt, daß besonders die Arbeitnehmer ihre Probleme nur in einem gesunden Gemeinwesen regeln können."

Das Echo in der Familie beschreibt Heinz Ruhnau mit einem Satz: "Sie sagt, es könne eigentlich nicht mehr schlimmer werden."

Beide sind keine "Hobby-Politiker", und beide finden im Kreise der Fami-

An der Reportagen-Folge "Hamburg rund um die Uhr" haben mitgearbei-

tet: Liselott Alverdes, Gerhard Andersen, Horst Beer, Alwin Bellmann, Robert Blum, Detlef Böttcher-Ramdohr,3.von Bredow, Hons W. Brudcmgnn, Max Conradt. Dt, Hildegard Damrow. Heinrich Detjen, l#psS*orgber, EhJMiÄflS&^oIfgang .ftidce , Ferdinand,-" Gdterrnonn,p Rieter Wettmann, Egbert "*A. Hoffmarin,* . Hans 'H^fning Kroll", lW Krüger, WllTnWKrull, Walter Ktjnkler,.Hprst lietzberg, W*ner L'iichow, Ulrich Mackensen, Hans-Jürgen Müller, Günter Niemeyer, Enna Quittel, Clous' Reese, Hans Reip, Akelei Rploff, Werner Sillescu/Hans Sommer, WoJfgang SuCkow, Wolfgang Schmidt, Dr. Herbert i\.-- Schröder, . Hörst Schüler, .Manfred -Schwark, Hans G.. Stark, Helmut ;Thieves, Jürgen Volk, Georg. K. Wedfen, Ursula ' Weiner, Jürgen W. Wohldorf. .

Mit der Kamera waren unterwegs: Gunnar Brumshagen, Werner Schmidt- Luchs, Wolfgang Isser, Horst Münch, Uwe Niss, Anneliese Schneider-Siemt, Karl Schütze, Matthias du Vinage.

Karten: August Eigener.

lie nicht unbedingt glühendes Verständnis. Sie tun, was sie für notwendig und wichtig halten. Wahrscheinlich sind sie der Typ des Politikers von morgen.

Diese nüchternen, sachlichen, nicht zu beirrenden Vertreter werden überall benötigt. Besonders in Hamburg, das täglich Probleme zu lösen hat und in der Zukunft immer noch mehr. Probleme, ausreichend für mehrere Städte.