Wie wird Hamburgs Verkehr in zehn oder zwanzig Jahren aussehen? Gibt es noch Parkplätze am Straßenrand oder nur noch Stellplätze in Tiefgaragen und Hochhäusern? Ist der Berufsverkehr mit dem eigenen Auto noch möglich, oder kann der Hamburger Innenstadt nur noch im “Park-and-Ride-System“ erreichen? Kann man in der Innenstadt überhaupt noch Auto fahren, oder ist der Verkehr bereits erstickt? Bleibt Hamburg auf dem Verkehrsgebiet im Rennen? Diese Frage drängt sich mit jedem Tag stärker auf.

von der Ost-West-Straße bis zum Deichtor ? sind kreuzungsfrei. Das größte Hindernis für den Spitzenverkehr ist beseitigt.

U-Bahn Stellingen? Jungfernstieg nach Billstedt: Die 13,5 km lange Neubaustrecke wird bis 1969 fertiggestellt sein. Gleichzeitig werden die oberirdisch verlaufenden Straßenbahnen abgebaut.

City-S-Bahn vom Hauptbahnhof nach Altona: Mit Fertigstellung ist bis 1970 zu rechnen. Die Strecke wird für

Für jeden der 220 000 Beschäftigten in der Hamburger Innenstadt ist der Verkehr schon heute eines der bewegendsten Gesprächsthemen überhaupt. "So kann es nicht weitergehen." Diesen Ausruf hört man sowohl von Autofahrern wie von Fußgängern.

An jedem Nachmittag zwischen 17 und 18 Uhr sind die Ausfallstraßen verstopft, sind Kreuzungen vom Querverkehr blockiert, kriechen kilometerlange Autoschlangen hinaus zu den Vororten. Fahrten, die zu anderen Tageszeiten 20 Minuten dauern, nehmen in den Spitzenzeiten 40 bis 60 Minuten in Anspruch. Ein einziger Unfall ? und Tausende kommen zu spät nach Hause.

Die Schilderung kann übertrieben sein, aber man kann das Bild des Hamburger Straßenverkehrs auch noch schwärzer malen. Und wie wird dies erst 1974 sein?

Doppelt so viele Autos

Eines weiß man mit Sicherheit: 1974 werden etwa doppelt so viele Autos zugelassen sein wie heute. Die Bestandszahlen an Personenwagen allein werden von 265 000 Stück auf über 400 000 steigen.

Wird es dann überhaupt noch einen geregelten Verkehr geben? Das Hamburger Abendblatt hat diese Frage zwei Fachleuten der Baubehörde vorgelegt: Baudirektor Günther Bentfeld und Oberbaurat Hans-Peter Siem. Beide sagen übereinstimmend: "Es wird besser sein als heute." Beide Herren sind optimistisch. Und sie haben dafür gute Argumente:

1. Neue Verkehrsbauten, 2. keine wesentliche Zunahme der Beschäftigtenzahlen in der City,

- - 5. verbesserte öffentlieher¥er=" kehrsmittel.

Große Straßenbauvorhaben, die heute bereits begonnen oder geplant sind, werden 1974 vollendet sejb". Dia wichtigsten Projekte:

Die westliche Umgehung: Die 30 km lange Stadtautobahn führt von Schneisen im Norden zum Horster Dreieck im Süden. Kernstück ist der drei Kilometer lange Eibtunnel zwischen Neumühlen und Waltershof. Die sechsbahnige Schnellstraße verbindet die Stadtteile beiderseits der Elbe. Kraftfahrer aus Harburg, Hausbruch, Fischbek oder Neugraben werden 1974 in 10 bis 15 Minuten in Othmarschen sein ? und umgekehrt.

Der Wallring: Der 800 Meter lange Autotunnel zwischen Deichtor und Ferdinandstor ist in Betrieb. Zwischen Ferdinandstor und Karl-Muck-Platz rollt der Verkehr über eine neue Hochstraße. Alle nach Norden und Osten führenden Ausgänge aus der City ? die S-Bahn-Benutzer wesentliche Verbesserungen bringen.

S-Bahn Harburg-Neugraben und

Wandsbek? Ahrensburg: Beide Strekken sollen elektrifiziert werden. Die Zugfolge wird dichter sein als heute.

Autobahn Stillhorn? Horster_"rei- - SckTÖer Ausbau auf sechs Bahnen ist ?, abgeschlossen.

Ferner ist anzunehmen, daB in sehn Jahren Teile der Osttangente der Stadtautobahn zwischen Flughafen lind HÖrh Und auch der sogemmflten Kerntangente zwischen Uhlenhorst und Millerntor im Bau sind und teilweise dem Verkehr schon zur Verfügung stehen.

Die Beichäftlgteniohlen

Die Beschäftigtenzahlen in der Innenstadt werden sich nicht mehr nennenswert aufwärts entwickeln. 1939 haben in der City 210 000 Menschen, gearbeitet. Heute sind es nur 10 0((p mehr. In zehn Jahren rechnet man mit 230 000 Berufstätigen. Mit mehr nicht. Die Innenstadt wird dann voll bebaut sein.

Der öffentliche Verkehr in Hamburg wird seine Stellung halten können. Heute benutzen 75 Prozent der Berufstätigen in der Innenstadt Straßenbahn, Busse, S-Bahn oder U-Bahn. Elf Prozent sind Fußgänger-, vier Prozent Zweiradfahrer, und nur zehn Prozent Autofahrer.

Man hat gute Gründe für die Annahme, daß der Anteil des öffentlichen Verkehrs gehalten werden kann, und daß die Zahl der Autofahrer, die ihre Wagen für die Wege von der Wohnung zum Arbeitsplatz benutzen, nicht mehr wesentlich zunimmt.

Grund 1: Billige, also kostenlose Parkplätze sind heute schon außerordentlich knapp. Parkuhren und Parkhäuser sind für Dauerparker zu teuer.

Grund 2: Die öffentlichen Verkehrsmittel werden attraktiver sein. Neue Strecken sind fertig, und auch die Zugfolge ist dichter. U-Bahn und S"-Bahn können zur Zeit der Berufsspitzen im 90-Sekunden-Abstand verkehren.

Grund 3: Die Menschen werden gelernt haben umzudenken. Das Automobil wird allmählich seiner Rolle als Gradmesser des Sozialprestiges entkleidet. Das eigene Auto wird, wie in den USA*,:*icht "et* , "to-ftewei" für eine "leitende Stellung" gelten. Viele Autofahrer werden wieder in die U-Bahn umsteigen, weil sie damit schneller und billiger zum Ziel kom- Jjpiese Entwicklung wird dann. einsetzen ? und zwar, ohne daß irgend jemand oder irgendeine Behörde etwas dazu tut ? wenn Fahrzeit und Fahr-r strecke für den einzelnen Kraftfahrer in keinem vernünftigen Verhältnis mehr zueinander stehen.

Diese Entwicklung ist schon in vollem Gange. Sie wird von Stadtteil zu Stadtteil verschieden verlaufen und sich auch in anderen Zeitphasen abspielen. An dieser Umschichtung darf aber heute niemand mehr zweifeln.

Der Verkehrsplaner Baudirektor Bentfeld sagt: "Wenn ein Kraftfahrzeug im Laufe des Tages öfters seinen Standort wechselt, wird es offenbar zur Ausübung des Berufs gebraucht, nicht nur für den Weg zur Arbeit. Die Lieferwagen, die Autos der Vertreter und der Kaufleute müssen sich m der Stadt bewegen, und sie müssen parken können. Diesen Verkehr braucht die Stadt."

Bentfeld sagt aber: "Nicht zu bewältigen ist derjenige Verkehr, der aus einer Hinfahrt am Morgen und einer Rückfahrt am Abend besteht. Die Planung hat nicht die Absicht, ihn zu unterbinden, aber auch nicht das Bestreben, ihn zu fördern."

Es ist also kaum anzunehmen, daß das Angebot an Parkraum parallel zu den rapide steigenden Kraftfahrzeugzahlen verlaufen wird. Die Planer wollen nicht noch mehr Autos in die Innenstadt locken.

Dazu folgende Überlegung:

Jeder zehnte Beschäftigte in der Innenstadt benutzt heute ein Auto. Insgesamt 22 000 Menschen. Wenn es jeder vierte sein sollte, dann wären dies 55 000 Menschen. Nimmt man den Faktor 1,7 Personen pro Auto an, dann würden täglich 30 000 Privatwagen in die Innenstadt strömen. Diese Wagen benötigen etwa 75 Hektar Parkraum. Die gesamte Baufläche der Innenstadt beträgt 120 Hektar. Mehr als die Half te der Innenstadt müßte also für Parkplätze freigemacht werden. ? Das ist unmöglich.

Oder man baut Parkhäuser. Mehr als 1000 Stellplätze stehen in den Parkhäusern der Innenstadt Tag für Tag heute noch leer. Allzuviel darf man von kostspieligen Parkbauten nicht mehr erwarten.

Aus alledem ist zu schließen, daß die Verkehrsentwicklung in Hamburg etwa folgenden Ablauf nehmen wird: Die Zahl der Personenwagen, die täglich in die Innenstadt strömen, wird noch in einem gewissen Ausmaße weiter steigen. Die Verkehrsmisere wird sich weiter verschärfen, und zwar so lange, bis eine Art Sättigungspunkt erreicht ist. Dies wird dann eintreten, wenn die immer längeren Fahrzeiten den einzelnen Kraftfahrer dazu veranlassen, sich nach anderen Beförderungsmitteln umzusehen.

Raum für Initiative

Bis dahin ist aber noch viel Raum und Zeit für behördliche und private Initiative. Wir denken da an:

O Auflockerung des platzraubenden Parkuhrensystems. Vielleicht Einführung von Parkscheiben.

Q verbesserte Lichtsignalanlagen.' (Mehr grüne Wellen, automatische Steuerung durch die Verkehrsmengen, also möglichst keine unnötigen Wartezeiten).

O Vermehrter Einsatz von Polizei an Knotenpunkten und zu Spitzenzeiten (Koppelung durch Funk, wie bei "Plan Grün" erprobt).

Der Sättigungspunkt wird gleichzeitig Beginn für ein echtes "Parkand-Ride-System" sein. In zehn Jahren -spätestens- naiisgaadie, großen Auffang- Parkplätze an der Peripherie dw^Siadt bereitstehen, auf denen das Heer der Arbeiter und Angestellten seine Autos verläßt und in die U- und S-Bahn .Richtung City umsteigt. , ?*. %v Bis dahin müssen diese öff entließen Verkehrsmittel derart verbessert sein, daß jedermann kürzere Fahrzeiten, menschenwürdigere Beförderung und kürzeste Fußwege von den Endpunkten zu den Arbeitsplätzen garantiert werden können.

Für dieses Ziel wird Hamburg ebenso grofle Anstrenumgen machen müssen, wie für den Ausbau des Straßennetzes in der Peripherie ? einschließlich der Stadtautobahnen.

Denn das steint fest: Weiterer wesentlicher Zuwachs an Stra- ßenraum in der Hamburger Innenstadt ist nicht zu erwarten. Weder in zehn Hoch in zwanzig Jahren.

HANS W. BRUCKMANN