Nach 19 Jahren hat Köln wieder sein Schauspielhaus. Schon der erste Eindruck besticht. Der sozusagen kleinere Bruder der Großen Oper, der die südliche Seite des Offenbachplatzes abschließt, muß nun seine Feuerprobe bestehen. Beide Gebäude zeigen, wie Oberbürgermeister Theo Burauen es bei der Eröffnungsfeier in Anwesenheit des Bundespräsidenten formulierte, “die Handschrift eines ganzen Bezirks“, der sich zu einem geschlossenen Kulturzentrum zwischen Dom und Gürzenich entwickeln könnte.

Der mit seinen rötlichen Klinkern verkleidete neue Bau des Architekten Wilhelm Riphahn ist betont schlicht gehalten. Um den knappen Raum der Gesamtfläche auszunutzen, wurde die Hauptbühne etwa 3,50 Meter tief unter die Erdoberfläche verlegt: Mit einer Breite von 23 Metern, einer Tiefe von 20,5 Metern, einer Höhe von 25 Metern. Ob es sich (bei den Gesamtkosten von 8,5 Millionen Mark) als glücklich erweisen wird, daß man auf die ursprünglich geplante Drehbühne, auf besondere Versenkungs- und Beleuchtungseffekte und auf eine eigene Probebühne verzichtete, erscheint freilich zweifelhaft. Immerhin Ist ein späterer Einbau noch möglich.

Im Innern des neuen Hauses, das statt über 600 nun über 922 Plätze verfügt, dominiert der intime Charakter. Über der Eingangshalle befindet sich, wie in der Oper, nur ins kleinere Maß übertragen, das vornehme Foyer mit

der graublauen Decke und einer 4,5 Meter langen Lichtgrafik Chargesheimers auf der weißen Rückwand. Im langsam iansteifendeä, logenfreien Zuschauerraum k"rr*spbndiert der lichte Grauton der Wände mit der erdbeerroten Farbe der bequemen Sessel aufs glücklichste. Ein weißer, grobfaseriger Leinenvorhang schließt die Bühne, das Hochparkett statt eines Rangs die Rückseite des Raumes ab, der durch fünf breite Plexiglas-Lichtbahnen an der Decke beleuchtet wird.

Über die Akustik läßt sich Abschlie- ßendes noch nicht sagen. Beim Festakt am Sonnabendmorgen schien sie ausgezeichnet zu sein. Die Ansprachen der Redner (u. a. des nordrhein-westfälischen Kultusministers Professor Mikat), die musikalischen Kostproben Mozarts unter Sawallischs Stabführung steigerten unsere Erwartungen auf die abendliche "Räuber"-Premiere. Sie wurden leider nur zum geringen Teil erfüllt. Man wird Geduld haben müssen, bis sich die Schauspieler an den neuen, noch fremden Raum gewöhnt, bis sie sich hier akklimatisiert haben.

Es waltete kein glücklicher Stern über dieser Aufführung (wie so oft leider bei Eröffnungen), die mit viereinhalbstündiger Dauer Zuschauer wie Darsteller sichtlich strapazierte, woran lag es, daß der bedeutende Regisseur Oscar Fritz Schuh die Gefahren der Überlange hier nicht einzuschätzen wußte? Doch nicht nur an den langen Umbaupausen, die schon das Fehlen der Drehscheibe unterstrichen! Er hatte noch am Morgen höchst fesselnde Hinweise zur modernen Schiller-Interpretation, insbesondere der "Räuber", gegeben. In seiner Bemühung, den pessimistischen Grundton der gedanklichen Dichtung, die Tragödie des an der Maßlosigkeit seines Freiheitsbegriffs scheiternden Individualisten herauszuschälen, ließ er einerseits ein ausgedehntes Unterspielen, andererseits so hektisch übersteigerte expressive Ausbrüche Platz greifen, daß die monströse Problematik des Werks ans Licht trat. Der Zweifel wetterleuchtete: sind die JtSjnjjjrtflfevfle ohne entscheidende Hfigrßfe- und Striche spielbar?

Wenn ja, dann wohl nur mit überragender Besetzung. Schuhs komplizierter, in dramatischen Details ? etwa bei der Rettung Rollers (Bruno Dallansky) oder der Erzählung Kosinskys (Peter Fricke) ? packender Zugriff in den teils berückend stilisierten, teils uneinheitlich realistischen Bühnenbildern des über dieser letzten Arbeit verstorbenen großen Caspar Neher mißlang zuletzt, weil sein Instrument zerbrach. Rolf Schult ist ein intelligenter Charakterspieler, aber kein Franz Moor: er überschrie sich konvulsivisch und blieb dabei undämonisch.

Auch Klausjürgen Wussows Karl, in dem ein Stück Hektor und Hannibal schlummern müßte, verhärtete trotz guter Ansätze in deklamatorischer Spannungslosigkeit. Allein die schöne Hilde Mikulicz als Amalia weckte poetischen Zauber durch ihr Hektor- Lied am Spinett und bei der nächtlichen Begegnung mit Karl in der Galerie und im Park; blasser war sie in den dramatischen, freilich auch reißerischen Tragödienszenen. Kaspar Brüninghaus als der alte Moor mühte sich heroisch ab, die romantische Schauerballade seiner Rolle zu bewältigen. Sie ist nicht mehr zu bewältigen.

Der Vorhang fiel eine halbe Stunde vor Mitternacht. Applaus eines erschöpften Publikums, gerd vielhaber