Amerika

Vorstadt

schrieb

diesen Bericht

Amerikas Vorstädte sind die Wohnbezirke der jungen Menschen, der jungen Familien. Da ist es nicht verwunderlich, daß die Erziehung der Kinder und vor allem die Schulen Thema Nr. 1 sind. Darum berichtet die Leiterin unserer New Yorker Redaktion im zweiten Teil ihrer neuen Serie von Amerikas Schulen, besonders von denen des

Bezirks Rockland County. Im Verwaltungsgebäude von New City weiß man gan" genau, daB die Schulen das Hauptthema für die jungen Bewohner von Rockland County sind. Neunzig Prozent aller privaten, zufälligen oder auch beabsichtigten Gespräche dürften sich um die Schule drehen.

Einmal hat das was mit den Sputniks zu tun. (Eine hiesige Lehrerin: "Danket Gott für die Sputniks ? ohne sie wären wir Amerikaner eingeschlafen...!") Dann kommt es natürlich auch daher, daß Amerika seit je auf die junge, heranwachsende Generation mit großen Erwartungen geschaut hat. Diese Generation geht nun dem Zeitalter der Automation, der Elektronenwissenschaft, der Weltraumscbiffahrt entgegen, wo es einfach nicht mehr genügt, ein glücklicher "Selfmademan" zu sein. Also stecken die Eltern alle Energie in die Ausbildung der Kinder.

Was In die Augen springt, sind ? gerade In einem so jungen Vorortsbezirk ? die aufwendigen Schulen. Es gibt 64 öffentliche, kostenlose Elementarschulen und höhere Schulen (bis zum 18. Lebensjahr), sechzehn katholische Pfarrschulen und sechs Privatschulen. Fünf neue Schulen sind im Entstehen.

Die meisten neu entstehenden Schulen sind Millionenprojekte. Bezahlt werden sie von den Bewohnern des Schuldistrikts. Die Schulsteuer ist die höchste Steuer in diesem Bezirk, hoher als die Einkommen- oder die Umsatzsteuer.

Verfügt wird die Schulsteuer vom Board of Education ? der Schulbehörde. Rockland County hat siebzehn Schuldistrikte und entsprechend siebzehn Schulbehörden. Diese Behörden. ein Apparat fern vom Staatsapparat, erheben die Schulsteuern. Die Mitglieder der Behörde werden alle zwei Jahre von den Bewohnern des Bezirks gewählt. - . ir

Die monatlichen Eltern-Lehrer-Versammlungen versuchen, auf die Beschlüsse dieser Behörde Einfluß zu nehmea Vor allem die Frauen ? die nur schwach in den Behörden selbst vertreten sind ? tummeln sich in diesen Versammlungen.

Da entdeckt eine Mutter, daß die Schule X oder Y einen neuen Fernsehapparat angeschafft hat Sie beantragt das gleiche für die Schule, in die ihre Kinder gehen. Oder die Schule Z hat eine Klasse für Sprecherziehung eingerichtet. Mütter der Schule Y stehen auf wie ein Mann, um das gleiche für die Schule ihrer Kinder zu erstreben.

Das hier ist ja alles noch gar nichts"

Wettbewerbsmethoden, wie sie im Geschäftsleben gang und' gäbe sind, treten jetzt auch auf dem Schulgebiet auf. Mal ist jene Schule der Liebling aller, dann diese. Dutzende von Eltern habe ich kürzlich befragt, warum denn die Albertus-Magnus-Schule oder die High School in Nyack so großartig seien. Es wurde nie der Lehrplan angegeben. Das Urteil stützte sich meist auf die Quadratflächen Glas, die in die Schule hineingebaut sind, und auf die Guidance, die "Schülerberatung" !

Ja, und eine Lehrersfrau sagte noch gedankenvoll: "Das hier ist ja alles noch nichts. In Kalifornien, da werden Schulen gebaut ? da hat jede Klasse Ihre eigenen Toiletten!"

Zurück zur Guidance, der persönlichen Beratung des Schülers vom zartesten Schulalter an. Oft reicht die Zeit der Lahrer und Lehrerinnen nicht aus, um "ich mit den einzelnen Schülern in den überfüllten Klassen zu beschäftigen. Ein Psychiater muß her und noch einer. Auch ihre Anateilung erhöht das Ansehen der Schule.

Bildung mu6 man haben wie Orangensaft

Die Unsicherheit der Schüler geht natürlich auch oft zurück auf die Unsicherheit der Eltern. Viele Eltern, die heute in der Vorstadt wohnen, sind noch in einem Milieu aulgewachsen, wo Schulbildung ein Luxusartikel war. Nun ist Bildung plötzlich etwas, was man haben muß wie ein Auto oder eine Wohnung und den Orangensaft am Morgen.

Der Andrang an den Schulen und der soziale Druck sind so ungeheuer, daß es beinahe krankhaft wirkt El liegt eine fiebrige Erregung über den meisten Schulversammlungen. Es kommt hinzu, daß die Kinder nur dann den Gratis-Schulbus und die Oratis-Ausbildung zur Verfügung haben, wenn sie die Schulen (Elementar- oder höhere Schulen) besuchen, die in dem Schuldistrikt sieb befinden, in dem die elterliche Wohnung liegt. Die Grenzen der Schuldistrikte werden streng eingehalten.

Nun ist es ein merkwürdige" Phänomen, doß Jetzt, da dos Recht ouf Gratis-Sdiulblldung bis einschließlich zur Universität für Immer breitere Schichten selbstverständlich wird, mehr und mehr Eltern ihre Kinder ouf private Schulen schicken. Man hat nicht selten den Eindruck, daß die Demokratie der unentgeltlichen Schulerziehung spätesten" mit dem achten Schuljahr oufhört.

Nicht alle Eltern zwar, die ihre Kinder von diesem Zeitpunkt an auf private Schulen schicken, tun es aus Angeberei. Bei den meisten spielt sicherlich auch die ernste Überzeugung mit, daß in den überfüllten Schulen ihre Kinder nicht genug fürs Leben und den Existenzkampf lernen. Und es darf nicht vergessen werden, daß diese privaten Schulen vielfach ein angenehmes Sprungbrett sind für jene Elite-Colleges der Ostküste, die später zu den Elite-Universitäten und von dort zu den bevorzugten Stellen in Wirtschaft und Politik führen.

Es ist also eine Kapitalanlage auf lange Sicht. Manche dieser Schulen kosten zweitausend Dollar im Jahr und dreitausend, wenn die Schüler auch ganz in der Schule wohnen. Wie die Heiratsannoncen in amerikanischen Sonntagszeitungen beweisen, wird bei Mädchen diese Kapitalanlage meist deshalb vorgenommen, um die standesgemäße Heirat ? oder die Heirat leicht über Stand ? zu gewährleisten.

Das Kind muß beim Lernen glücklich sein

Unter den amerikanischen Privatschulen gibt es viele Schattierungen und auch die wildesten Experimente. An einem herrlichen sonnigen Sonntag hielt kürzlich die Schule von Bob Parker "open House". Diese noch recht neue Privatschule ist der berühmten englischen Schale von Summerhill nachgebildet. Ausdruck Ut alles! Der Lehrer ergreife Partei für da* Kind! Das Kind muß beim Lernen glücklich sein!

In der Schule, die in einem einatmais herrschaftlichen Privathaus untergebracht ist, fließen die Wände über von abstrakten Bildern in Ölfarbe, Emaille und Tusche. Hobelbank im Keller. Hier lernen die Kinder nach eigenem Rhythmus lesen, rechnen, schreiben. Die -Ein- " tenffiig^ÄTalffgangeTst ünwesehüia.^ ; e Ein Vater meint: "Mein Sohn ist hier so glücklich. Er schreibt zwar nicht mehr soviel wie in der anderen Schule, aber dafür liest er jetzt mehr."

e Ein anderer Vater: "Unser Kind kommt trällernd und singend aus dieser Schule."

e Und eine Mutter; "Unsere Sechsjährige war so verschlossen, jetzt geht sie , aus sich heraus. It's wonderful." Bob Parker, der Gründer dieser Schule, ist Ende der Vierziger. Er hat manches andere verbucht, bevor er sich entschloß, im englischen Vorbild, in Summerhill, ein Jahr zu lernen und zu lehren. Er selbst habe, so sagt er, als Junge so viele Schulen besucht, daß er nun finde, das System von Summerhill sei geeignet, auch die unerwecktesten Kinder noch an den Lehrstoff heranzubringen. Elf Lehrer für zweiunddreißig Schüler ist natürlich ein Verhältnis, das keine öffentliche Schule sich leisten kann.

Kennedy und der Kardinal

Zwischen den privaten Schulen und den öffentlichen Schulen stehen die katholischen, Pfarrschulen, die sich ja Jetzt hart darum bemühen, jener Bundesgelder aus Washington teilhaftig zu werden, die der katholische Präsident Kennedy ihnen vorenthalten will. Er muß es tun, um nicht in den Verdacht zu kommen, die Schulen seiner Konfession zu bevorzugen, beziehungsweise die heilige Verfassungsbestimmung über die Trennung von Kirche und Staat zu verletzen!

(Teddy Kennedy, der Bruder des Präsidenten, der in Massachussetts Senator werden will, verspricht hingegen diese Gelder für die katholischen Schulen seiner überwiegend katholischen Wähler. Und er kann es auf Länderebene auch tun.)

Die katholischen Schulen in Amerika stehen an einem Wendepunkt. Noch Immer sind die Wartelisten derer, die ihre Kinder dort anmelden ("Mehr Disziplin, höhere Anforderungen, weniger Kleideraufwand") lang. Auch Protestanten, die mit ihren örtlichen öffentlichen Schulen nicht zufrieden waren, pflegten Kinder in den Pfarrschulen anzumelden.

Jetzt aber holen die öffentlichen Schulen den Abstand ein. Wenn nun die katholischen Schulen nicht an die zu erwartenden, aber noch keineswegs in Washington bewilligten Geldströme angeschlossen werden, droht eine jahrzehntelange Aufbauarbeit zugrunde zu gehen. Darum kämpft der streitbare Kardinal Spellman von New York so hartnäckig um die Staatszuschüsse für die katholischen Schulen seiner Diözese. Solange er sie nicht hat, läßt er weiter unter den Schafleln seiner Herde sammeln.

Wenn man als Außenstehender die Schulen betrachtet, so möchte man von der amerikanischen Selbstkritik doch manches abstreichen. Siehe/ kann von Disziplin in unserem Sinne nur wenig die Rede sein. Und auch die fachlichen Kenntnisse und die geradezu unbeschreibttche ~~i*~ Hilf tosigkeit _ Fremdkanffichen Schulan to Vergleich mit europäischen Schulen nicht gut abschneiden.

Aber: Wenn man "ich die "Produkte" der Schulen anschaut, die Schüler, dann fällt einem manches auf, was man bewundem muß.

e Die Schüler lernen die Furcht nicht kennen I Das Selbstvertrauen wird so gepflegt, daß selbst die ängstlichen Kinder nach einigen Monaten Schule aus lieh herausgehen,

e Es gibt nur ganz wenige Kinder, die die Schule nicht als "lots of fun", als einen großen Spaß, betrachten, e Es Ist erstaunlich, wie "tark der Gemeinschaftssinn unter den amerikanischen Schülern entwickelt wird. Neid und Elfersucht aufeinander (was die ? Leistungen angeht) sind beinahe unbekannt. Und "patzen" Ist einfach nicht drin!

Das große Vertrauen zum Guten im Menschen, dieses Ideal aus der Aufklärung "zeit, auf dem Amerika trota allem noch immer fußt, wird in der Schule begründet. Der Mensch ist gut ? auch der Nebenmensch, der Lehrer, der Schüler, jeder.

Legen Sie morgen den dritten Bericht von Dr. Mathilde Köhler Im richtigen Klub mufi

man sein