Von GRETE BERGES

Die Hamburger Autorin Grete Berges, vor 1933 durch Presse und Rundfunk weiten Kreisen vertraut, hat kürzlich ? zum erstenmal nach siebzehn Exiljahren ? ihre Vaterstadt zwischen Elbe und Alster wieder besucht. Was sie, die seit langem in Stockholm als Mittlerin schwedischer Literatur ins Ausland geschätzt wird, uns über dieses Wiedersehen erzählt, wird, so glauben wir, viele Hamburger teilnehmend berühren.

Ich kam zurück in die Stadt meines Ursprungs, meiner Kindheit, Jugend und Frauen jähre, zurück in eine Welt, die ich für immer verloren gegeben hatte, die für mich unwirklich geworden war. Nun tauchte sie plötzliph wieder vor mir auf, diese Stadt ? keine Fata Morgana, keine Sinnestäuschung ? und doch zunächst gespenstisch ? Hamimonia, trotzdem dein Antlitz entstellt ist, du stehst wirklich immer noch so herrlich da ? meine Augen können es nicht fassen, es ist mir, als müßte ich noch ein Augenpaar mehr haben, um deinen Anblick voll auf mich wirken zu lassen! Mit allen Sinnen nehme ich dich wahr, fühle, höre, rieche, sehe dich, deine Atmosphäre, deine Laute, deinen Hafenruch, deine immer noch unverkennbare Silhouette ...

Und doch war es für mich nicht mehr dasselbe Hamburg, trotz Wohlvertrautheit und manchem Wiedererkennen, nicht mehr die Stadt, die ich verlassen mußte, und in die ich nun als Bürgerin eines anderen Landes, als Schwedin, zurückkehrte. Es war eine seltsam fremde, reizvolle, eine abenteuerliche Stadt, wie man sie nur im Traum erlebt, weil sie im wachen Zustand nicht zugleich vertraut und fremd sein kann.

Ich kam mit ' einem schwedischen Reisekameraden nach Hamburg, mit Per-Olof Ekström, Autor des Romans "Sie tanzte nur einen Sommer", dessen literarische Vertreterin ich bin. Er war schneller mit Hamburg vertraut als ich, fand sich leichter zurecht; für ihn war es ja wirklich eine fremde Stadt, die er nie vorher gesehen hatte. Er schritt gelassen über die Reeperbahn, sah nicht, was fehlte, was mir nur kümmerliche Reste dünkten, wie ich als Kind mit meinem Vater das alte Panoptikum besucht, wie ich im Restaurant Ostermann und bei Porter-Meyer in fröhlicher Tafelrunde gesessen und im alten Ball- HANS MORGNER (LÜNEBURG): haus Trichter mit der sternbedeckten Kuppel getanzt hatte . . . Eden und Köllisch, ach, und wieviel anderes fand ich nicht wieder! Er aber genoß alles unbefangen, er vermißte nichts.

Dieses überall sich wiederholende Bild, die Mischung von alt und neu, diese tiefen Veränderungen und Lücken, die mein Auge befremdeten, während zugleich immer wieder ein Stück Vergangenheit zum Vorschein kam, verstärkte in mir das Gefühl traumhaften Erlebens. Hinzu kam, daß eine neue Generation nun hier lebte, die jene alte Stadt, die ich einst verlassen hatte, überhaupt nicht mehr richtig kannte. Ich fuhr im Auto mit einer jungen Haimburgerin am Heiligengeistfeld vorbei, in dessen Nähe ich geboren bin, und fragte sie nach der alten Mühle. Sie hatte nie etwas von ihr gehört. Ich war im Rundfunk, an dem ich vor 1933 jahrelang gewirkt hatte und sprach mit einem der heutigen Mitarbeiter darüber, daß sich die ersten Senderäume der "Norag" im Postgebäude in der Binderstraße befunden hätten. Das war ihm gänzlich unbekannt.

Hamburg schien mir oft wie eine neue, mit Erinnerungen verwobene Traumstadt . . . Und doch war ja alles Realität Ich empfand das in Blankenese, in Harvestehude, auf der Lombardsbrücke, wenn ich über die Alster sah, auf dem Jungfern stieg, an den Alsterarkaden, vor dem unversehrten Rathaus und an vielen anderen Stellen. Ganz besonders, als ich meiner alten Freundin Frau Direktor Anna Simon vom St.-Pauli- Theater im altvertrauten Büro gegen- übersaß, wo wir früher so manche Stunde "verklönt" hatten und sie mir in ihrer typisch hamburgischen Sprache ruhig, sachlich und humorig ihre Erlebnisse in den verhängnisvollen Zeiten erzählte.

Ob ich wieder in der Vaterstadt leben möchte? Der Weg zurück ist mir unmöglich. Trotz allem, was mich anspricht. Die Geister der Vergangenheit lassen sich nicht völlig bannen. Dennoch habe ich Hamburg wiedergefunden und wiederentdeckt! Und mein erster Besuch wird nicht der letzte sein.