Rothenburgsort wird sein Gesicht verändern. Statt der 25 000 Bewohner, die hier vor der Katastrophe ihre Heimat gefunden hatten, werden künftig allenfalls 10 000 und nur südlich der Bahn Unterkunft finden können: nicht nur, weil die geplanten Hafenanlagen für die Binnenschiffahrt die einst besonders dicht besiedelten Straßenzüge zwischen Billwerder Neuedeich und Billhorner Röhrendamm beanspruchen werden, sondern vor allem, weil das Gebiet in erster Linie wirtschaftlich genutzt werden soll und weil der Wiederaufbau des kleinen restlichen Wohngebiets nach modernen Erkenntnissen des Städtebaus, großzügig und weiträumig, mit eingestreuten Grünflächen, freistehenden öffentlichen Gebäuden und zentralem Marktplatz erfolgen soll.

Der Wiederaufbauplan für Rothenburgsort ist bei der früheren Bevölkerung anfangs auf starken Widerspruch gestoßen. Wer die Heimatliebe der Rothenburgsorter kennt, wird sich darüber nicht gewundert haben, denn in der Erinnerung liegt selbst über den lichtarmen Höfen, den schmalen, langgestreckten Terrassen ein Schimmer romantischer Verklärung. Gewiß würde mancher das Grau der düsteren Mietskasernen gern wieder in Kauf nehmen, wenn er die Zeit zurückdrehen oder ? unter welchen Umständen auch immer ? eine Möglichkeit zur Heimkehr in seinen früheren Wohnbezirk finden könnte.

Um so größer war die Enttäuschung, vor allem bei aufbauwilligen Grundeigentümern, als bekannt wurde, daß neuerdings wieder eine Bausperre über das für die Häfen vorgesehene Gelände verhängt werden sollte. Inzwischen hat sich jedoch in weiten Kreisen die Einsicht durchgesetzt, daß sich durch den Ausbau der Binnenschiffshäfen für Rothenburgsort und die Gesamtwirtschaft Hamburgs eine Chance bietet, die nicht verschenkt werden darf.

Bei der Eröffnung der Ausstellung in der Baubehörde über den Stand der Planungsarbeiten bezog sich Professor Oelsner auf das Wort Schumachers: "Städtebauer, die durch Zerstörungen gebotene Möglichkeiten nicht ausnutzen, handeln gegen die Ehre ihres Berufes". In gleichem Sinne äußerte sich Oberbaurat Dr. Speckter, als er in einer der Protestversammlungen (vor Mitgliedern des Bürgervereins Rothenburgsort) mit

treffenden Argumenten die Opposition überzeugte, daß es angesichts der völligen Vernichtung des früheren Hausbestandes in diesem Gebiet unverantwortlich wäre, die einmalige Gelegenheit zu verpassen. Noch sind die Schiffahrtswege nach dem Osten, in Hamburgs natürliches Hinterland, durch die nahe Zonengrenze verriegelt, doch muß eine Planung auf weite Sicht pflichtgemäß und selbstverständlich in Rechnung stellen, daß die Wasserstraßen eines Tages wieder frei sein werden. Für diesen Fall gilt es gerüstet zu sein.

Vom "Strom- und Hafenbau" wurde ursprünglich ein Plan entwickelt, der fast ganz Rothenburgsort in das Projekt einbezog. Dann sollte versucht werden, die benötigten Häfen in die Billwerder Bucht zu verlegen ? ein Plan, der sich jedoch wegen der dort herrschenden Stromverhältnisse als undurchführbar erwies. Als beste Lösung des Problems soll dem Senat und der Bürgerschaft nun der Antrag vorgelegt werden, die Zunge zwischen Haken und Entenwerder Zollhafen zur Gewinnung eines ersten größeren Hafenbeckens zu entfernen und anschließend nördlich davon zwischen Billhorner Brückenstraße und Billhorner Deich ein zweites Hafenbecken zu schaffen. Dies würde knapp .bis an den Bill-' horner Röhrendamm reichen und sich über Hardenstraße, Stresowstraße und Billwerder Neuedeich erstrecken. Die angekündigte Bausperre betrifft nur das für die Hafenbecken vorgesehene Gebiet sowie einen schmalen Ausläufer im Zuge des Ausschläger Eibdeichs, den projektierten Bahnkörper mit Gleisanschluß an die Berliner Strecke. Zwischen ihr und dem Hafenbecken wird das Gelinde Wohnzwecken vorbehalten sein.

Wann das großzügige Vorhaben verwirklicht werden kann, steht allerdings noch dahin. Die Bauzeit wird sich über Jahre, wenn nicht Jahrzehnte erstrecken, Den betroffenen Grundeigentümern bietet der Staat durch Vermittlung der Gesellschaft für Wiederaufbauförderung die Möglichkeit des Grundstücktausches. Die vorhandenen Betriebe in der Sperrzone können so lange weiterbestehen, bis das Projekt in Angriff genommen wird.