Wenn die Landesbühne Schleswig-Holstein mit ihrem motorisierten Thespiskarren an die friesische Küste fährt, um den Marschbauern Operette zu spielen, dann kann das nur bei Vollmond sein. In dunklen Nächten wagen sich Frauen und Mädchen nicht aus dem Haus. Aber das ist nur eine der vielen Schwierigkeiten, unter denen die fahrende Künstlertruppe aus Rendsburg dem Lande Unterhaltung und Vergnügen bringt. Abend für Abend spielen sie draußen ? in Plön oder Itzehoe, in Niebüll oder Marne, oder wo sonst. Und sie spielen gut! In Meldorf trafen wir sie in der “Erheiterung“, Kino und Reithalle unter einem Dach ? ein echtes “Hoftheater“ sozusagen.

Meldorf, 10. November

"In Heide war das Theater ausgebrannt, als wir ankamen", sagte der Meister, während seine Leute die bunten Requisiten aus dem Wagen holten. "Rasch mußte ich Kabel legen und provisorisch Licht machen. Aber den Vorhang könnt' ich nicht so schnell reparieren. Da mußte einer vorn an die Rampe: Liebe Leute, wenn wir dunkel machen, dann ist der Akt zu Ende! Aber wenn das E-Werk abschalten sollte, -dafür können wir natürlich nichts." Zwei schleppten schon den goldenen Buddha herauf, während drau- ßen in der offenen Tür, hoch über der Meldorfer Mühle, ein silberner Mond den Bühnenmännern lautere Konkurrenz machte.- -.. ,

Unterdessen erzählte der Meister weiter: "In Marne müssen wir mitten auf der Hauptstraße auspacken und alles aufs Pflaster stellen. Da hängen wir ein rotes Licht raus, damit uns keiner hineinfährt. Und in Kellinghusen, wisrsen Sie, hatte der Verein nach der Aufführung große Kaffeetafel. Wir immer mitten durch mit unserer Pappe und Leinwand!"

Die Garderobiere war auch schon da, packte neun Garnituren seidener Fähnchen für das Ballett aus und schüttete die roten Kosakenstiefel aus dem Sack, damit ja einer zum andern paßte. Verteufelt eng in dieser sogenannten Herrengarderobe, wo die Frackhemden mit dem Bügeleisen noch den letzten Schliff bekamen! Aber bei den Damen drüben, den niedlichen Ballettratten, ist es wirklich nicht geräumiger. Zu zwanzig hockten und schwirrten sie da wie die Fliegen um das bißchen Licht. Auf der Bühne wuchsen Tempel und blühende Kirschen. "Mal fehlte uns ein Stück Felsen", lachte der Meister. "Da mußten Wir. beim Bäcker Einwickelpapier holen, um das Loch zu stopfen. Aber trösten Sie sich, bei Licht merkt das keiner. Nur da oben, das bekommen wir nicht dicht. Die da vorn in der ersten Reihe werden es merken. Na, ihr Schade! Sollen sie lieber den Girls auf die hübschen Beine gucken!"

In der Heizung knackte es schon. Sachte wurde es wärmer. Denn gleich hinter dem Himmel von Tokio klaffte der von Meldorf, klar, aber- kühl. Ein Blick durch das Guckloch des Vorhangs. Wahrhaftig, da waren schon die ersten! Eine volle Stunde vorher! Ein Bus aus der Marsch war also schon da. Denn die Dörfer müssen es schaffen. Die Stadt Meldorf füllt die 450 Plätze nicht.

Vorn im Lokal rechneten sie ab, die Werber aus den Dörfern Eine ganze Kette von Bussen mit Anhängern schaffen die Bauern samt ihren Frauen und lebenslustigen Töchtern heran. Aus diesem Dorf zehn, aus jenem zwanzig. Und um Mitternacht wieder heim. Das geht nach eisernem Fahrplan. Alle Monat zweimal. Denn ausverkauft muß das Haus sein! Und Zuschuß der Städte und Kreise geht es schon gar nicht.

Inzwischen waren die Schauspieler angekommen. Seit dem frühen Nachmittag von Rendsburg unterwegs. Nachts um drei zurück. Morgens um zehn schon wieder Probe. Und das Tag für Tag! Weiß der Himmel, es ist ein saures Brot, andere Leute lachen zu machen! Bei 300 DM im Monat jeden Abend, im Frack oder Tanzkleid, gute Laune auszustrahlen ? das ertrage, wem's gefällt! Aber der Intendant tut, was er kann, und Schleswig-Holstein ist ein armes Land. Die Kunst spürt es an allen Ecken. Und doch ? die Bühnenleute können es nicht lassen. "Das ist mein Beruf. Damit leb' ich und sterb' ich!"

Die Musiker strichen schon die Geigen. Ein paar Töne Csardas des alten Paul Abraham. Der Beleuchter warf bald das rote, bald das gelbe Licht auf Tokio mit seinen Kirschen. An den Wänden rechts und links standen Petersburg und Budapest schon gestapelt. In der einen engen Ecke hüben ordnete Viktoria ihr langes, blondes Haar. In der anderen drüben schminkte sich ihr Husar. Wenn man das Ohr an den Vorhang legte, dann konnte man hören, was die Schweine jetzt in Heide kosten und daß der Doktor meint, es wäre gut, jede Woche mal einen Apfelr tag einzulegen. Die Dorfwerber packten die Plakate schon für den "Doktor Prätorius" ein. die nächste Premiere Und die Busfahrer gössen si"h den süß-süffigen Hintz een hinter den Kragen. Feuerwehr und Polizei spürten der Pappe und der Leinwand nach. Und dear Meister all dieser Zauberkünste sorgte dafür, daß nicht etwa einer auf den Gedanken kam, einen Kochtopf einzuscharten. "Sonst schlägt uns das Licht mitten in der Szene durch." Die Techniker hockten sich in die Ecke und packten die Stullen aus . . .

Bühne frei für "Viktoria und ihren Husar!" Eine Operette mit diplomatischen Verwicklungen, als käme sie frisch aus Paris von der Bühne der UNO. Rußland und Amerika in dramatischer Pose. Ja, die Sache ginge gefährlich aus. wenn die blonde Viktoria nicht im entscheidenden Moment auf ihren Husaren verzichtete. ? . . . schön war das Märchen, jetzt ist es zu Ende. Good night! Good night! Good night!"

Um Mitternacht fuhren sie alle wieder heim. Die Bauern mit ihren Frauen zu ihren Höfen. Die Schauspisler und Musiker nach Rendsburg. Die einen zu ihren Gärten und Ställen, die anderen, mit 1,25 DM Spesen in der Tasche, zu ihren kalten Stuben. 75 Menschen im Dienst der Kunst, Abend für Abend draußen im Land. So streuen sie di" Saat der Heiterkeit über die winterlichen Dörfer.