Das verlorene Wochenende des Verkaufspersonals hamburgischer Geschäfte war der innenpolitische Auftakt zur gestrigen Bürgerschaftssitzung. In heftigen Debatten, die über Helgoland bis zum Schuluntericht in bezug auf die deutschen Gebiete jenseits der Oder-Neiße-Linie führten, verlagerte sich das Schwergewicht später auf das außenpolitische Parkett. ? Das Parlament setzte sich einstimmig für die baldige Auszahlung von 300 Millionen Dollar ein, die von deutschen Kriegsgefangenen in den USA verdient und nach Deutschland überwiesen wurden, die die Bundesregierung aber bisher den rechtmäßigen Eigentümern vorenthalten hat.

Präsident Schönfelder wandelte die schon halb ausgesprochene Entschuldigung für das vermeintliche Fehlen des Abgeordneten Landahl in einen herzlichen Glückwunsch um, als er bemerkte, daß der von langer Krankheit genesene Schul- und Kulturbehördenpräses seinen Platz in der SPD-Fraktion wieder eingenommen hatte. Dann, noch vor Eintritt in die eigentliche Tagesordnung, kam das Thema "Ladenschlußzeiten" zur Sprache. Verwaltungs- und Oberverwaltungsgericht haben in einem Präzedenzfall die vom Senat am 21. Februar dieses Jahres herausgegebene Verordnung über Ladenschlußzeiten für ungesetzlich erklärt; der Senat hat die Konsequenz daraus gezogen und die Verordnung aufgehoben. Für alle Staatsbürger eine erfreuliche Bestätigung, daß es eine Instanz über der Regierung gibt: das Gesetz. Unerfreulich für alle Verkäufer, denn, wenn die Geschäfte auch sonnabends bis 19 Uhr ge- öffnet bleiben, kommen sie um ihr Wochenende. In Beantwortung einer Anfrage seines Fraktionskollegen Leyding erklärte der SPD-Abgeordnete Dr. Brecht als Deputierter der Behörde für Wirtschaft und Verkehr, daß Bundestag und Bundesrat sich bereits mit einem Gesetzentwurf über Ladenschlußzeiten befassen. Die Hamburger Vertreter im Bundesrat seien angewiesen, diese Regelung mit allen Mitteln zu beschleunigen.

Bomben auf Helgoland

Jetzt noch, mehr als fünf Jahre nach Einstellung der Feindseligkeiten, werfen britische Flugzeuge Bomben auf Helgoland. Den 2500 Einwohnern der Insel ist die Rückkehr bisher nicht gestattet worden, weil die britische Regierung glaubt, auf Helgoland als Übungsziel nicht verzichten zu können. "Dies ist eine Tragödie vor den Augen unserer Stadt, der das Hohe Haus nicht tatenlos zusehen kann", sagte der CDU- Abgeordnete Dr. Weber. Das grün-weißrote Eiland solle wieder Schutzhafen und Orientierungsstation für die Schifffahrt werden. Schließlich sei die Insel auch ein beliebter Erholungsort und eines der schönsten Naturschutzdenkmäler gewesen. "Die jetzige Situation widerspricht allem geltenden Völkerrecht." An das zwischen Deutschland und Großbritannien Ende des vorigen Jahrhunderts abgeschlossene Tauschgeschäft Sansibar gegen Helgoland erinnerte der KPD-Abgeordnete Prinz: "Man hat eine Hose gegeben und einen Hosenknopf bekommen! Wurde damals gesagt. ?Jetzt wolle Großbritannien den Knopf, den es nicht zurückbekommen könne, wenigstens zermalmen." Mit allen übrigen Fraktionen stimmten auch Prinz und seine Parteifreunde für eine Aufforderung an den Senat, bei der

Bundesregierung und dem britischen Landeskommissar Schritte für die baldige Rückgabe Helgolands zu unternehmen. Prinz und seine Freunde stimmten aber gegen einen von allen übrigen Fraktionen angenommenen Antrag des CDU-Abgeordneten Wendt, nach dem die Schulbehörde veranlaßt werden soll, im Rahmen der Unterrichtsfächer "Erdkunde" und "Geschichte" die kulturelle, wirtschaftliche und geschichtliche Bedeutung der unter polnischer und russicher Verwaltung stehenden deutschen Gebiete jenseits der Oder-Neiße-Linie zu behandeln. "Wir freuen uns, bei dieser Gelegenheit noch einmal manifestieren zu können, daß wir die Oder-Nöiße- Grenze als endgültige Friedenslinie betrachten", sagte Prinz. Er glaube, daß dieser Unterricht die Jugend zum Krieg hetzen werde.

"Wir wollen keine Rachestunden für die Jugend", hatte der CDU-Abgeordnete Wendt vorher gesagt. Er bezog sich auf den Antrag der DP, in dem für alle hamburgischen Schulen wöchentlich je eine Stunde Unterricht über die abgetrennten Gebiete gefordert wurde. Auch die Sprecher der FDP und SPD wollten jede Kriegshetze aus dem Unterricht verbannt wissen und stimmten für Wendts Abänderungsantrag.

Brauers Ehrenerklärung

Noch einmal kamen die Zwischenfälle beim Harlan-Prozeß im April dieses Jahres zur Sprache. "Die antisemitischen Tumulte sind der geschickteste Film gewesen, den die Kommunisten bisher vorgeführt haben", hatte Bürgermeister Brauer damals gesagt. In Beantwortung einer Anfrage des KPD-Abgeordneten Dettmann, teilte der Senat mit, daß er die Worte Bürgermeister Brauers und seine spätere Ehrenerklärung dazu billige.

Die Hadag möchte, wie berichtet, ihren überalteten und mit hohen Reparaturkosten belasteten Schiffspark durch den Bau von 30 neuen Fahrzeugen modernisieren. Der CDU-Abgeordnete Schneider war jedoch mit dem Bericht des Haushaltsausschusses über diese Frage nicht zufrieden und forderte eine nochmalige Ausschußberatung unter Hinzuziehung von 15 neutralen Fachleuten. Aus Sparsamkeitsgründen soll genau geprüft werden, ob die Hadag nicht doch noch mit ihren alten Schiffen einige Zeit fahren kann. Die übrigen Fraktionen teilten die Ansicht Schneiders nicht, zumal der Antrag des Haushaltsausschusses, nach dem der Senat einen Bau- und Finanzierungsplan für die Schiffe vorlegen soll, einstimmig beschlossen worden war. Schönfelder: "Herrn Schneider kann doch geholfen werden. Hier sind eine Reihe von Senatsmitgliedern und solchen, die es werden sollen, anwesend. Die werden sich den Wunsch der Bürgerschaft, bei ihren Beratungen Experten zu hören, zu Herzen nehmen." Schneiders Antrag auf Rückverweisung an den Haushaltsausschuß wurde abgelehnt; der Antrag des Ausschusses angenommen.

Blumenfelds Schocktherapie

Der CDU-Fraktionsvorsitzende Blumenfeld hat dem Ausschuß für Bauund Wohnungswesen einen Brief geschrieben und darin die Überprüfung einer Anzahl von Bauprojekten gefordert. Von den Vertretern der SPD-Fraktion aufgefordert, weitere Einzelheiten zur Begründung seines Antrages vorzubringen, antwortete Blumenfeld: "Ich schätze eine gewisse Schocktherapie im Ausschuß und behalte mir vor, weitere Unterlagen zu gegebener Zeit zur Verfügung zu stellen."

In den vergangenen Jahren gab es kaum Privatgelder für den Wohnungsbau. In Hamburg wurde deshalb oft nahezu voll mit öffentlichen Mitteln finanziert. Jetzt sollen auf Grund eines Antrags Blumenfelds durch eine Umschuldungsaktion etwa 15 Millionen DM öffentliche Gelder bis zum 1. Dezember 1950 für die erneute Wohnungsbaufinanzierung zurückgewonnen werden, ohne daß man sie auf den Haushaltsvorgriff in Höhe von 30 Millionen DM anrechnet.

4,3 Millionen DM wurden vom Hauptamt für Soforthilfe zur Gewährung von Aufbauhilfen überwiesen, wie es in einer Senatsantwort heißt. Von 5331 Anträgen wurden bis zum 31. Oktober 1950 202 bewilligt. 763 725 DM wurden als Aufbauhilfe-Kredite gewährt. Auf eine Anfrage des CDU-Abgeordneten Wendt über die Aufwertung von Renten der "Versorgungskasse Vereinigter Reedereien" erklärte Bürgermeister Dr. Nevermann, daß die hamburgischen Vertreter im Bundesrat angewiesen würden, sich für eine bessere Umstellung der Renten einzusetzen.

Für den Ausbau ihrer Kraftwerke Alt-Garge und Tiefstack benötigen die HEW zwei Kredite von 10,2 und 8 Millionen DM, die die Wiederaufbaukasse geben will. Die Bürgerschaft ermächtigte den Senat, die erforderlichen Bürgschaften zu leisten.

Von dem geringen Arbeitslohn der deutschen Kriegsgefangenen in Amerika wurde ein Teil einbehalten und von der USA - Regierung nach Deutschland zur Auszahlung überwiesen. Dieses Geld, insgesamt 300 Millionen Dollar, will die Bundesregierung im "Interesse der Allgemeinheit" verwenden. Die Bürgerschaft war anderer Ansicht und beschloß einstimmig, den Senat zu ersuchen, die Hamburger Vertreter beim Bundesrat anzuweisen, sich für eine baldige Auszahlung des Geldes an die Kriegsgefangenen einzusetzen. G. Baumann