ElgenerBerlcht

gg. Lübeck, 12. Juni

Der seit dem 12. April wegen umfangreicher Steuerhinterziehungen und Banderolenfälschungen in Untersuchungshaft befindliche türkische Zigarettenfabrikant Weli Derwisch hat, nach einer Mitteilung der Lübecker Staatsanwaltschaft, in der Nacht zum Sonntag in seiner Zelle im Lübecker Marstallgefängnis Selbstmord durch Erhängen begangen. Das Verfahren gegen vier leitende Angestellte seiner Zigarettenfabrik in Niendorf an der Ostsee wird fortgesetzt.

Die Ermittlungen des Staatsanwalts begegnen insofern großen Schwierigkeiten, als es bisher nicht gelungen ist, die Druckerei ausfindig zu machen, in der die gefälschten Steuerbandertflc*hergestellt worden- sind. Die Ihm zur Last gelegten Straftaten bestritt Derwisch bis zu seinem Tode. Der Staatsanwalt verweigert vorläufig jede Auskunft darüber, welchen Einfluß der Tod des Zigarettenfabrikanten auf das schwebende Verfahren ausüben wird.

Die aufsehenerregende Verhaftung des türkischen Fabrikanten Derwisch und seiner leitenden Mitarbeiter in der Niendorfer Zigarettenfabrik war im April dieses Jahres selbst für seine Angestellten sehr überraschend gekommen. Die Affäre wirkte um so mysteriöser, als sich die Staatsanwaltschaft in Lübeck, der Generalstaatsanwalt in Kiel ebenso wie die Zollbehörden und das Kieler Finanzministerium in tiefstes Stillschweigen hüllten. Sie lehnten auch später jede Mitteilung über belastendes Material ab.

Trotzdem drangen sehr bald Gerüchte in die Öffentlichkeit, daß es sich um Steuerhinterziehungen und Banderolen- Fälschungen im Umfang von mehr als einer Million DM handeln solle. Diese Darstellungen wurden amtlich nie bestritten und gewannen an Glaubwürdigkeit.

Erst kürzlich erklärte der schleswigholsteinische Finanzminister G ü 1 i c h , daß das Verfahren nur deshalb so schleppend vorwärtskomme, weil es immer noch nicht gelungen sei, die Druckerei festzustellen, in der die gefälschten Banderolen hergestellt worden seien.

Schon Ende 1949 war die Niendorfer Fabrik Schauplatz intensiver Nachforschungen gewesen, die allerdings ergebnislos verlaufen waren. Derwisch bestritt auch nach seiner Festnahme energisch, irgendwelche strafbaren Handlungen begangen zu haben. Als türkischer Staatsbürger rief er unverzüglich den Schutz seines Generalkonsulats in Hamburg an, das ihn jedoch nicht aus seiner Untersuchungshaft befreien konnte.

Da er im Frühjahr gerade vor der Herausgabe einer neuen Zigarettenmarke stand, ließ er die Niendorfer Fabrik schließen. Trotz heftiger arbeitsamtlicher Proteste blieb es dabei. Die Folge war eine Verschärfung der Arbeitslosigkeit in den mit Flüchtlingen immer noch stark belegten Bädern Niendorf und Timmendorfer Strand.

In seiner näheren Umgebung sowie unter den Flüchtlingen wird das tragische Ende Derwischs lebhaft bedauert. Er galt als gutherzig und sozial. Seinen eigenen hohen Lebensstandard glich er durch beträchtliche Aufwendungen für seine Angestellten und die Flüchtlinge in beiden Bädern aus.'

Für seinen plötzlichen Selbstmord gibt es nach Ansicht seiner Freunde nur die Erklärung, daß die mehrwöchige Untersuchungshaft ihn außergewöhnlich stark mitgenommen haben muß. Es scheint, daß er in der Nacht zum Sonntag einfach die Nerven verloren hat. Der Stand der Untersuchungen wird für ihn als keineswegs verzweifelt bezeichnet. Man rechnete im Gegenteil mit seiner baldigen Haftentlassung.