“Der englische Dampfer .Empire Gaelic“, der von Tilbury kam, brachte zwei jugendliche Ausreißer mit, die sich als blinde Passagiere in Hamburg an Bord geschlichen hatten und dann nach England gefahren waren“, meldete der Polizeibericht. Einer von ihnen ist der 14jährige Heinz Dornbusch aus Tilsit. Das Leben, das von den Folgen des furchtbaren Krieges umwitterte Leben, hat wieder eine bewegende Kurzgeschichte geschrieben.

Stellen Sie sich einen Jungen vor, blond, blauäugig, angenehm im Wesen und ohne jeglichen Zug von Verschlagenheit. Mit der Bezeichnung Drei- Käse-hoch ist der Bub um einen Käse übertrieben geschildert, denn er wirkt wie ein Zwölfjähriger und ist so zart und ein solches Fliegengewicht, daß man

kaum zu niesen wagt, aus Furcht, er könnte vom Luftzug weggeweht werden. In der äußersten Ecke Deutschlands, in Tilsit, ist das Kriegsschicksal über ihn und seine noch junge Mutter hereingebrochen, wie eine Woge auf See. Flucht durch viele Landschaften Deutschlands. Endlich finden die Gehetzten ein Bethlehem im Sächsischen. Die Mutter gewinnt einen Berater in der Gestalt eines Mannes, der auf einem Schlepper fährt. Durch ihn wird der Junge mit Seefahrt und Fernweh infiziert. Sein Blut und seine Phantasie weisen ihm den Weg nach der Wasserkante. Eines Tages fährt er ? natürlich modern als "Anhalter" ? nordwärts, und es dürfte ihm nicht schwergefallen sein, denn wer so hilflos aussieht wie der kleine Heinz, der kann Steine und die eisernen Engel eines Autos erweichen.

Hamburg hat für ihn die Anziehungskraft eines magnetischen Kraftfeldes. Sein erster Gang führt zum Freihafen. Damit tritt das Jugendschicksal in die zweite Phase.

Der Junge wird obdachlos. Der Hafen ernährt ihn. Die Seeleute eines engli-, sehen Dampfers geben ihm, der noch eine Reihe von Altersgenossen trifft, die wie er gleich Katzen das Schiff umlagern, zu jeder Mahlzeit einen Bissen zu essen. Nachts versteckt er sich im Rettungsboot. Er ist seiner Anlage nach Sollst und hat offenbar schnell den Eindruck, daß die anderen Jungen seine Lage nur erschweren. Wenn der Tag graut, schlängelt er #ich aus dem Bezug des Rettungsbootes an Deck und verschwindet wieder an Land. Das macht er drei Tage und drei Nächte.

Dann ist der Augenblick gekommen, da der Engländer in See gehen will. Ohne Viel nachzudenken, ist Heinz entschlossen, auf dem Schiff mitzufahren. Ein besonderes Ziel scheint er nicht gehabt zu haben. Die Richtung der Geographie ist ihm gleich. Er will nur eins: Raus aus Deutschland und weg vom Elternhaus, das ihn nicht satt machen konnte.

An Deck des Engländers stehen, wie für den Jungen geschaffen, Autos und Kriegsfahrzeuge, offenbar Tanks. Der Junge setzt sich an den Fahrerplatz und hört die Vorgänge auf dem Schiff. Das Herz schlägt ihm bis zum Hals, denn anfangs fürchtet er, erwischt zu werden.

In der Nordsee wird das Wasser unruhig. Der kleine Robinson Crusoe spürt, wie bei jeder Stampfbewegung des Schiffes sein Magen mitgeht. Am hellichten Tage und mit Schweiß auf der Stirne steigt er schließlich aus seinem Versteck und stürzt an die Reeling, um sich einmal gründlich mit Neptun zu unterhalten. Kein Wunder, daß ihn dabei die Mannschaft erwischt. Natürlich zittert der Bengel wie Espenlaub und erwartet ein Donnerwetter. Aber die Engländer behandeln ihn anständig und zunächst wird er mal auf neu gemacht, d. h. gründlich gewaschen und dann der Schiffsleitung präsentiert. In Tilbury nimmt ihn die Jugendbehörde wahr und achtet darauf, daß er mit demselben Schiff wieder zurückfahren kann.

Man weiß nirgendwo besser als in Hamburg, daß die Jugend zu jeder Zeit magnetisch von der Welt angezogen wird und daß ihr jedes Mittel recht ist, um ihr Ziel zu erreichen. Vor dem ersten Weltkrieg war die Welt noch nicht verschlossen. Heute sind die Grenzen durch Barrieren abgesperrt, in denen kaum einmal ein Loch ist, durch das der Ausreißer schlüpfen kann. Von 100 werden 98 erwischt, und sie alle erwarten Strafmaßnahmen der Polizei. ? .kel