Finanztest: Kunden sollten stille Reserven beim Versicherer einfordern.

(ftd) Versicherer müssen Kunden an stillen Reserven beteiligen, wenn sie eine Lebensversicherung auszahlen. Doch eine Umfrage der Zeitschrift Finanztest zeigt: Viele zahlen nur, wenn Kunden nachhaken. Der Nachschlag kann mehr als tausend Euro betragen. An der Umfrage haben sich 260 Leser der Zeitschrift beteiligt, die von der Stiftung Warentest herausgegeben wird.

Seit 2008 müssen Lebensversicherer ihre Kunden mit 50 Prozent an den ihren stillen Reserven beteiligen. Sobald ein Kunde seine Police ausgezahlt bekommt, muss er seinen Anteil erhalten.

Doch ein Finanztest-Leser dessen zwei Lebensversicherungen im Januar 2009 fällig wurden, bekam erst nach mehrmaliger Aufforderung vom Versicherer HDI-Gerling eine Nachricht über seinen Anteil. Er sei „durch einen technischen Fehler nur unzureichend berücksichtigt“ worden, schrieb das Unternehmen. In Wirklichkeit hatte der Kunde gar nichts bekommen. Erst aufgrund seiner Reklamation zahlte HDI-Gerling für beide Policen insgesamt 1 595 Euro nach.

Stille Reserven heißen auch Bewertungsreserven. Sie entstehen, wenn der Marktwert einer Kapitalanlage des Versicherers über dem Anschaffungspreis liegt – wenn also zum Beispiel der Wert seiner Immobilien, Aktien oder Zinspapiere gestiegen ist. Entscheidend für den Kunden sind die Reserven zur Zeit der Auszahlung seines Vertrags. Liegt der Marktwert der Kapitalanlagen unter dem Anschaffungspreis, hat der Versicherer stille Lasten. Dann gibt es nichts.

Die Lebensversicherung eines LVM-Kunden wurde im Oktober 2008 fällig. Die LVM schrieb ihm, „gegebenenfalls“ kämen zur Auszahlungssumme noch die Bewertungsreserven hinzu. Sie würden „zeitnah mit dem Auszahlungstermin ermittelt“. Als das Geld im November 2008 überwiesen wurde, war die Summe keinen Cent höher als im Oktober vom Versicherer mitgeteilt. Dabei nennt der Geschäftsbericht der LVM für das Jahr 2008 Bewertungsreserven in Höhe von 129 Millionen Euro.

Die beiden Kunden von HDI-Gerling und LVM sind zwei der 260 Lebensversicherungskunden, die den Leseraufruf von Finanztest beantwortet haben. Finanztest wollte wissen, wie die Versicherungsunternehmen die Kunden an ihren Reserven beteiligen und ob sie klar darüber informieren.

Das Ergebnis war enttäuschend: Von den 260 Kunden wurden nur 65 Prozent bei Vertragsende informiert, ob Reserven vorhanden sind oder nicht. Keine Informationen vom Versicherer bekamen 26 Prozent. Bei 9 Prozent waren die Angaben unklar.

Nur knapp die Hälfte der Leser, die an der Aktion teilnahmen, wurden vom Versicherer an den Bewertungsreserven beteiligt und die Höhe wurde extra ausgewiesen. In 53 Prozent der Fälle war nicht klar, ob ein Teil der Auszahlung aus Bewertungsreserven besteht oder ob gar keine Reserven ausgezahlt worden sind.

Fast alle Versicherer haben stille Reserven. Finanztest hat sich von 77 Versicherern die Geschäftsberichte der Jahre 2007 bis 2010 angeschaut. Nur fünf hatten im Jahr 2010 stille Lasten: CosmosDirekt, Gothaer, Inter, Münchener Verein und Sparkassen-Versicherung Sachsen.

Kunden kennen ihren Anspruch nicht

Wie viel ein Kunde bekommt, hängt von der Höhe der Bewertungsreserven ab und von dem Verteilungsschlüssel, mit dem sie den einzelnen Kunden zugeordnet werden. Prüfen kann er seinen Anteil nicht, denn ihre Berechnungsgrundlagen legen die Versicherer im Detail nicht offen.

Nur über die gesamten Reserven seines Unternehmens kann sich der Kunde informieren. Diese Zahl veröffentlichen die Versicherer jedes Jahr in ihren Geschäftsberichten. Wenn ein Kunde gar nichts bekommen hat, obwohl der Geschäftsbericht Reserven ausweist, sollte er nachfragen, rät Finanztest.

Die Finanztest-Leserbefragung ist zwar nicht repräsentativ für die Kunden aller Unternehmen. Sie liefert jedoch klare Hinweise. Viele Versicherer setzen einiges daran, um möglichst wenig Reserven auszuschütten. Künftig müssen sie womöglich noch weniger zahlen. Das Bundesfinanzministerium plant, die Ansprüche der Kunden zu verringern.

Grund dafür ist die Sorge, dass die Versicherer die Zinszusagen an ihre Kunden am Kapitalmarkt nicht mehr erwirtschaften können und deshalb Geld brauchen. Denn Millionen ihrer Kunden haben Verträge mit einem hohen Garantiezins. Damit die Versicherer diesen Zins bezahlen können, sollen sich Kunden, deren Versicherung abläuft, mit weniger zufriedengeben.

Der Ökonomieprofessor Dieter Rückle hat einen anderen Vorschlag. „Die Versicherer könnten die Garantien ohne weiteres schaffen, wenn sie ihre Reserven auflösten“, sagt er. Sie müssten ihre hochverzinslichen Wertpapiere verkaufen, die jetzt einen viel höheren Marktwert haben als der in der Bilanz ausgewiesen. Rückle hat vor einigen Jahren ein Gutachten im Auftrag des Bundesverfassungsgerichts erstellt. Die Verfassungsrichter machten den Weg frei für das Gesetz, das seit 2008 gilt.

Rückle weiß, warum die Versicherer möglichst viel von den Reserven bunkern wollen: „Sie wollen die Ansprüche aus bestehenden Verträgen reduzieren, um dafür künftigen Kunden mehr versprechen zu können.“ Das ist gut fürs Neugeschäft. Bestandskunden sollten sich das nicht gefallen lassen.

Finanztest-Tipps:

Anspruch. Läuft Ihre Kapitallebensversicherung ab oder beginnt die Rente aus Ihrer privaten Rentenversicherung? Dann steht Ihnen seit dem Jahr 2008 eine 50-prozentige Beteiligung an den Bewertungsreserven zu, die Ihr Versicherer auch mit Ihren Beiträgen aufgebaut hat. Die Reserven werden im Geschäftsbericht ausgewiesen. Wenn Ihr Versicherer dort welche angibt und Sie nichts bekommen: Schreiben Sie ihm und verlangen Sie Ihren Anteil.

Beschwerde. Wenn Sie vom Versicherer trotz Nachfrage keine zufriedenstellenden Informationen bekommen haben, können Sie sich beim Versicherungsombudsmann beschweren. Informationen finden Sie im Internet unter www.versicherungsombudsmann.de. Sie erreichen ihn auch unter der Telefonnummer 0 800/3 69 60 00 oder der Faxnummer

0 800/3 69 90 00 sowie per Post: Versicherungsombudsmann, Postfach 080632, 10006 Berlin.