Berlin. Bei der Deutschen Bahn steigt Finanzvorstand Richard Lutz an die Spitze auf. Er muss den Konzern nun von Grund auf modernisieren.

Bald ist also Richard Lutz am Zug. Noch ist er Finanzvorstand der Deutschen Bahn, steuert Milliardenbeträge, überzeugt weltweit Investoren, dass sie ihr Geld in die Anleihen des Staatskonzerns stecken. Seit Rüdiger Grube vor einigen Wochen überraschend vom Chefposten zurückgetreten ist, führt Lutz das Unternehmen auch kommissarisch. Das wird sich kommende Woche ändern.

Der Aufsichtsrat soll ihn am Dienstag auch dauerhaft zum Bahnchef bestellen. Gleich am Mittwoch wird Lutz dann als Vorstandsvorsitzender vor die Presse treten und die Bilanz des vergangenen Geschäftsjahres verkünden. Die Entscheidung kam überraschend, denn Lutz wollte den vielleicht schwierigsten Job in der Wirtschaft, wie es der frühere Kanzler Gerhard Schröder einmal nannte, zunächst gar nicht haben.

Doch die schnelle Suche nach einem geeigneten Bewerber verlief erfolglos, auch weil die Politik bei der Besetzung des Postens eine übergeordnete Rolle spielt. So einigten sich Kanzleramtschef Peter Altmaier (CDU) und Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt (CSU) mit dem SPD-Vorsitzenden Sigmar Gabriel auf die interne Lösung.

Der Bahnchef muss politisch denken

Die Bahnmanager wiederum waren sich einig, dass von außen niemand infrage kommt. Schließlich überzeugte die Runde Lutz, sich für den Vorstandsvorsitz zur Verfügung zu stellen. Dabei wurde zunächst Ronald Pofalla, früher Kanzleramtschef und bei der Bahn im Vorstand für die Lobbyarbeit zuständig, nachgesagt, dass er den Job gern übernommen hätte.

Doch der Widerstand der SPD und die Furcht vor Kungelvorwürfen haben einen weiteren Karrieresprung des einstigen Politikers verhindert. Der kleinere Koalitionspartner hat ein Vetorecht in dieser Frage. So unterstützte Pofalla dann den neuen Bahnchef.

Für einen Bahnchef gelten besondere Anforderungen

Lutz ist seit 2010 für die Konzernfinanzen verantwortlich. Bei der Bahn ist der Betriebswirt bereits seit 1994. Zuletzt war er zudem noch für die Beteiligungen an der Spedition Schenker und der britischen Tochter Arriva zuständig. Der gebürtige Pfälzer wirkt unprätentiös, freundlich im Auftreten, kenntnisreich in der Sache. Kollegen bezeichnen ihn als Workaholic. Strategie kann er auch, er war einmal deutscher Vizemeister im Schach und ist immer noch aktiv.

Vorgänger Grube attestierte seinem Kassenwart schon vor seinem Rücktritt die Fähigkeit, den Konzern auch zu führen. Andere Namen wurden weniger gehandelt. Der scheidende Siemens-Technikvorstand Siegfried Russwurm gehörte dazu, auch die Chefin der Berliner Verkehrsbetriebe, Sigrid Nikutta, und Andreas Meyer, Chef der Schweizer Bahnen, der bereits einmal bei der Deutschen Bahn arbeitete.

Das gewünschte Profil brachte offenbar keiner der verfügbaren Kandidaten mit. Für einen Bahnchef gelten wohl besondere Anforderungen. Er muss in der Öffentlichkeit ein gutes Bild der Bahn vermitteln und sich im politischen Umfeld sicher bewegen.

Digitalisierung muss stärker vorangetrieben werden

Zeitgleich mit der Entscheidung über die Konzernspitze wartete Verkehrsminister Alexander Dobrindt am Dienstag mit einer weiteren Überraschung auf. Der CSU-Politiker hat einen Umbau des Vorstands durchgesetzt. Zwei Posten werden dafür geschaffen. Ein Vorstand soll für die Technik und die Digitalisierung zuständig sein, ein weiterer für den Güterverkehr. Über die Posten soll im Frühjahr entschieden werden.

Die Personalentscheidungen der Bundesregierung weisen auf Kontinuität bei der Bahn hin. Ein Vorstandsposten eigens für den Güterverkehr könnte diese Sparte wieder aufwerten. Die Digitalisierung der Bahn muss noch stärker vorangetrieben werden als bisher. Von Aufbruch könne keine Rede sein, kritisieren die Grünen.

Doch gibt es gute Gründe, den bisherigen Kurs fortzusetzen. Derzeit muss die Bahn ein milliardenschweres Investitionsprogramm umsetzen. Neue Züge werden angeschafft, marode Strecken saniert.

Der Konzern ist verschuldet, der Güterverkehr darbt

Das Programm ist auf einen längeren Zeitraum angelegt. Mittendrin die Strategie zu wechseln, würde dem Unternehmen eher schaden. Das gilt umso mehr, da wichtige Parameter gar nicht bei der Bahn, sondern von der Politik bestimmt werden.

Zum Beispiel beim Güterverkehr: Solange der Transport im Lkw auf der Straße viel billiger ist als mit dem Zug, wird es keine nennenswerte Verkehrsverlagerung geben. Die Zulassung von Gigalinern im Autobahnverkehr konterkariert etwa dieses Ziel. Streiten ließe sich auch über die ungleichen Wettbewerbsbedingungen im Personenverkehr. Fernbusse müssen weder Maut noch Ökostromumlage einpreisen. So können sie mit günstigen Tickets der Bahn Konkurrenz machen, die im Preiskampf zwangsläufig mitziehen muss.

Hinzu kommt: Der Konzern setzte zuletzt etwa 40 Milliarden Euro um, 2016 wurde nach einem Verlustjahr wieder die Gewinnzone erreicht. Trotzdem bleibt die Bahn hoch verschuldet, der Güterverkehr darbt, die Margen im Fernverkehr stehen durch die Fernbusse unter Druck, im Nahverkehr gehen Aufträge an Wettbewerber verloren, der Wert der britischen Tochter Arriva leidet unter dem Brexit. All dies muss der neue Chef in den kommenden Monaten angehen. Mit Spannung wird daher sein erster Auftritt nächste Woche erwartet, wenn er sich erstmals zu seinen Zukunftsplänen für die Bahn äußern wird.