Berlin. Im Ärger über den Aufsichtsrat tritt Bahn-Chef Grube zurück. Vor allem ein Mann gilt als aussichtsreicher Kandidat für die Nachfolge.

Ein paar unentwegte Gegner des Bahnprojekts Stuttgart 21 harrten auch an diesem Montag wieder vor dem Hauptquartier der Deutschen Bahn aus. Vor dem Eingang rollte der erste autonom fahrende Kleinbus – „Olli“ – des Konzerns auf und ab. Das sollte den drinnen zu einer Sondersitzung zusammengekommenen Aufsichtsräten signalisieren: Die Bahn ist auf dem Weg in die Digitalisierung schon ein Stück weit vorangekommen.

Der Schritt nach vorne war das gesetzte Hauptthema für das Treffen der Kontrolleure. Eher nebenbei sollte der Vertrag mit Vorstandschef Rüdiger Grube verlängert werden. Dafür war nach monatelangen Verhandlungen alles vorbereitet. Doch die vermeintliche Formsache wurde zum Rohrkrepierer: Grube schmiss hin, aus heiterem Himmel.

Mitarbeiter sprechen von „blankem Entsetzen“

Völlig überraschend bat der Vorstandschef den Aufsichtsrat um die sofortige Auflösung seines noch bis zum Jahresende laufenden Vertrags. Das Kontrollgremium entsprach der Bitte. Die Nachricht überraschte selbst enge Mitarbeiter des Konzernbosses. Von „blankem Entsetzen“ war im Bahntower zu hören.

„Gestern Abend war doch alles klar“, wunderte sich ein Mitglied des Kontrollgremiums über die unerwartete Wendung. Bis ein dauerhafter Nachfolger gefunden ist, soll nun Finanzvorstand Richard Lutz die Geschäfte des Konzerns mit weltweit rund 300.000 Beschäftigten leiten.

Grube pochte auf höhere Vergütung

Anlass des spektakulären Ausstiegs von Grube waren wohl die Vertragsmodalitäten, über die im Hintergrund schon monatelang gefeilscht worden war. Der Bahnchef wollte drei weitere Jahre die Geschicke des Schienenkonzerns lenken. Und er pochte auf eine höhere Vergütung. Nicht des Geldes wegen, denn der Vertrag bringt ihm schon einen jährlichen Millionenbetrag ein. Grube wollte seine Leistung honoriert wissen. Anders gesagt: Er zweifelte am Rückhalt des Aufsichtsrates für seinen Kurs.

Wie aus Bahnkreisen verlautete, einigte man sich schließlich auf einen Mittelweg: Drei Jahre Vertragslaufzeit, aber keine Gehaltserhöhung. Am entscheidenden Sitzungstag war dann wohl plötzlich nur noch von einer zweijährigen Verlängerung des Kontraktes die Rede. Da wollte Grube nicht mitmachen.

Kritik an Bahn aus der Politik

Seine Rückendeckung durch den Eigentümer Bund war in den letzten Jahren schon spürbar gesunken. Vor allem der Verlust von 1,3 Milliarden Euro im Jahr 2015 missfiel dem Aufsichtsrat. Einen Eindruck des Vertrauensverlustes lieferte Verkehrsminister Alexander Dobrindt (CSU) während einer Bahnfahrt mit Grube und Journalisten.

Forsch diktierte der Politiker den Medienvertretern drei Bedingungen für eine Vertragsverlängerung in die Blöcke. Die Bahn müsse – erstens – wieder Gewinne erwirtschaften, zweitens pünktlicher fahren und drittens bei der Digitalisierung vorankommen, womit vor allem ein funktionierendes Wlan in der zweiten Klasse der Fernzüge gemeint war. Pikanterweise saß Grube während dieses Vortrags nur eine Reihe weiter im Zug. Von der Aufgabenliste des Ministers bekam er wegen der Fahrgeräusche nichts mit. Rückendeckung sieht anders aus.

Spekulationen um Grubes Nachfolge

Die Vorgaben hatte der bisherige Bahnchef dann noch erfüllen können. Rund 1,8 Milliarden Euro Gewinn vor Steuern und Zinsen stehen in seiner letzten Bilanz. Der Pünktlichkeitswert lag 2016 mit 79 Prozent nur wenig unter der gesetzten Zielmarke von 80 Prozent. Und auch die Reisenden in der zweiten Klasse können jetzt während der Fahrt auf den meisten Streckenabschnitten im Internet surfen oder Mails abrufen.

Der frühere Kanzleramtsminister und CDU-Generalsekretär Ronald Pofalla gilt als aussichtsreicher Kandidat für die Nachfolge von Rüdiger Grube.
Der frühere Kanzleramtsminister und CDU-Generalsekretär Ronald Pofalla gilt als aussichtsreicher Kandidat für die Nachfolge von Rüdiger Grube. © dpa | Soeren Stache

Spekulationen ranken sich nun um Grubes Nachfolger. Verkehrsminister Dobrindt verspricht eine „zügige“ Suche, will aber noch keine Namen nennen. Dabei steht einer offenbar schon lange bereit zum Sprung an die Konzernspitze: Ronald Pofalla, ehemaliger Kanzleramtsminister und heute Politikvorstand des Unternehmens, gilt als aussichtsreicher Kandidat. Nach seinem Abschied aus dem Kanzleramt Anfang 2015 wechselte der Merkel-Vertraute – nach einer Karenzzeit von einem Jahr – auf den Managerposten bei der Bahn.

Linke und Grüne fordern einen Bahnfachmann

Der vorzeitige Abgang Grubes könnte Pofalla nun einen Strich durch die Rechnung machen. Denn der Union wird im Wahljahr kaum an einer Debatte über Belohnungsposten für verdiente Parteikämpfer gelegen sein. Das Interesse an einem provozierten Rücktritt Grubes aus dieser Richtung erscheint daher gering.

Linke und Grüne fordern nun einen ausgewiesenen Bahnfachmann als neuen Konzernchef. Leicht dürfte die Suche nach dem allerdings nicht fallen. Bundesweit gelten nur wenige Manager als geeignet für den Posten im Staatskonzern, der ein ganz anderes Anforderungsprofil mit sich bringt als bei einem normalen Unternehmen. Ein Bahnchef muss sich nicht nur um eine gute Bilanz kümmern, sondern auch eng mit der Politik zusammenarbeiten und in der Öffentlichkeit präsent sein. Grube konnte mit allen Beteiligten.

Bahn nahm Konkurrenz der Fernbusse zu spät ernst

Doch er machte auch Fehler. So nahm die Bahn die neue Konkurrenz der Fernbusse viel zu spät ernst. Die Leistungen auf der Schiene entsprachen auch nicht den Ansprüchen. Besonders die Pünktlichkeit ließ zu wünschen übrig. Grube riss das Steuer mit dem Programm „Zukunft Bahn“ spät herum. Aber die Erfolge des Strategiewechsels sind erst in Anfängen sichtbar. Dazu wird dem Vorstand noch das finanzielle Desaster beim Bau des Projekts Stuttgart 21 angelastet. Nach Grubes Abgang fordern Kritiker prompt, die Arbeiten an der Großbaustelle abzubrechen.