Meinhard von Gerkan entwarf den alten und den neuen Berliner Flughafen. In seinem Buch „Black Box BER“ spricht er von den sieben Plagen des Bauens. Und es geht um eine Millionenklage.

Berlin/Hamburg. Es gab vor zwei Jahren diesen Fototermin: Der Wind über Tegel wühlt in Meinhard van Gerkans weißem Jahr, die Regierungschefs Klaus Wowereit und Matthias Platzeck (beide SPD) aus Berlin und Brandenburg strahlen, im Hintergrund drei große, rote Buchstaben: BER. Soeben hat das Trio das neue Kürzel des künftigen Hauptstadtflughafens enthüllt – groß die Vorfreude. Heute strahlt keiner mehr. Gerkan spricht von einem „Albtraum“.

„Wir hätten noch mehr Widerstand leisten müssen“, schreibt der Flughafenarchitekt in seinem neuen Buch „Black Box BER“, das an diesem Freitag erscheint, und das mehr ist als eine Abrechnung mit den Verantwortlichen. Nach fünf Berufsjahrzehnten zeichnet der weltbekannte 78-Jährige ein düsteres Bild seiner Zunft: am Reißbrett beherrscht von Juristen, Politikern, Bankern – auf der Baustelle eingeengt von mehr und mehr Fachleuten und immer neuen Vorschriften.

Der Architekt – verkommen vom großen Gestalter zum „Rädchen im Getriebe“. Und der Hauptstadtflughafen? Nur ein Beispiel von vielen. Der Bonner Schürmannbau, Londons Millenium Bridge, Stuttgart 21, die Elbphilharmonie und andere bergen ähnliche Kunstfehler, heißt es.

Der Hamburger Gerkan hat schon mit 30 seinen ersten Flughafen gebaut, Berlin-Tegel. „Wir fühlten uns im siebten Himmel der Architektur“, schwärmt er. Doch Tegel, das war 1965. Da konnten Architekten noch wirken, wurden bewundert – vorbei, meint Gerkan. Kein nobles Ansinnen sei sein Metier heute, eher ein gefallenes Mädchen, das sich von Projekt zu Projekt zu erklären und zu rechtfertigen habe.

Wie es dazu kommen konnte? Gerkan spricht von Bauherren, denen Ästhetik nur als Marketingfaktor etwas gilt, und die ansonsten nur Kosten und Profit kennen. Architektur als Massenware, regiert vom Durchschnittsgeschmack. Sieben Plagen des Bauens nennt das Buch. Sie haben viel mit Realitätsverlust und mangelnder Kommunikation zu tun. Und mit Eitelkeit, auch beim Architekten.

„Ich wurde Architekt aus Leidenschaft und bin es seitdem immer geblieben, bis zum heutigen Tag“, betont Gerkan. Er hat einzigartige Bauwerke in aller Welt errichtet, Bahnhöfe, Museen, Stadien, Flughäfen. Doch dass Wowereit und Platzeck sein Büro GMP nach der geplatzten Eröffnung des Hauptstadtflughafens fristlos vor die Tür setzten, hat den 78-Jährigen schwer getroffen.

Betrübt sei er, sagt Gerkan. Von „so viel Ärgernis, so viel Verdruss und Häme“, die er zu ertragen habe. Und so holt er zum Gegenschlag aus. Gegen Bauherren, die mit ausgeprägtem Wunschdenken die Planung wie einen Blasebalg mal aufblasen und dann wieder abschlaffen. Gegen Projektsteurer, die Schwarzbauten zulassen und Alarmzeichen manipulieren. Gegen „dialogresistente“ Flughafenchefs und gegen Medien, die Getöse um Halbwahrheiten machen.

Bei all der Sorge um die Architektur führte Gerkan beim Schreiben gewiss auch die millionenschwere Schadenersatzklage des Flughafens die Hand. Die Klage ruht nur, weil der neue Flughafenchef Hartmut Mehdorn die entscheidenden GMP-Köpfe unlängst zurück auf die Baustelle holte. Ein Flughafensprecher betonte vorsorglich, Gerkan schreibe in seinem Buch nichts Neues. Im Übrigen bringe „Black Box BER“ die zügige Eröffnung des Flughafens nicht voran.

„Es ist nicht klug, das Buch jetzt geschrieben zu haben“, sagte Mehdorn dem Nachrichtenmagazin „Focus“ und blieb damit ungewöhnlich diplomatisch. Er versucht seit Monaten, nach langer Schockstarre auf der Baustelle die Schatten der Vergangenheit abzuschütteln und durchzustarten. Dabei hat er sich mit seinem Technikchef hoffnungslos verzankt, und im Aufsichtsrat müssen wegen des Rücktritts von Platzeck schon wieder Stühle gerückt werden. An diesem Freitag tagt das Kontrollgremium. Gerkan wird die Ergebnisse in der Zeitung nachlesen.

Meinhard von Gerkan: Black Box BER – vom Flughafen Berlin Brandenburg und anderen Großbaustellen, 160 S., 14,99 Euro , Verlag Quadriga