Massen-Unis und Angst vorm Scheitern sind Gift für Internet-Start-ups in Deutschland, sagt Tobias Ragge. Dabei sieht der Chef des Buchungsportals HRS gerade in mobilen Anwendungen noch viel Potenzial.

HRS-Chef Tobias Ragge ist gewissermaßen im Hotel aufgewachsen. Seiner Mutter Gisela gehört das „Savoy“ in Köln, sein Vater Robert hat 1972 den Hotel Reservation Service (HRS) gegründet. Das Unternehmen ist mittlerweile Marktführer bei der Hotelvermittlung in Deutschland und expandiert weltweit.

Als HRS-Geschäftsführer hat Tobias Ragge das Unternehmen in den vergangenen zehn Jahren sehr erfolgreich in die digitale Welt transformiert. Buchungen sind auf der Website, per E-Mail, über Telematiksysteme in Autos, über Handykurzwahlen bei Mobilfunkanbietern oder über Handy per WAP und i-mode möglich. Gewinn- und Umsatzzahlen sind allerdings Geschäftsgeheimnis.

Die Welt: Warum werden Internetfirmen in Deutschland und Europa nicht richtig groß?

Tobias Ragge: Es gibt dafür viele Gründe. Eine Rolle spielt sicher die Cluster-Region Silicon Valley. Es ist dort und in den ganzen USA keine Schande, als Gründer zu scheitern. Und es gibt viele Finanzierungsmöglichkeiten, also genug risikobereite Venture-Kapitalisten. Außerdem ziehen die Top-Universitäten an der amerikanischen Westküste jede Menge kreative, junge Leute aus der ganzen Welt an. Das sind fast unschlagbare Vorteile des Silicon Valley.

Die Welt: Ist der Hype ums „Berlin Valley“ gerechtfertigt oder eher eine Blase?

Ragge: Das, was da in den vergangenen fünf Jahren in Berlin entstanden ist, ist schon sehr spannend. Auch wir haben mit dem Blind Booking Portal Surprice Hotels vergangenes Jahr ein Start-up in Berlin gegründet. Allerdings wird mittlerweile in der Start-up-Szene auch vieles ein bisschen overhyped. Aber das wird sich von selbst regulieren. Am Ende setzt sich immer Substanz durch, und nur wenige schaffen es, sich am Markt zu etablieren. Und da arbeiten dann die Talente, die man abwerben kann. (lacht)

Die Welt: Hat die Politik in Deutschland den Trend zur Internetökonomie verpasst?

Ragge: In Deutschland haben sich viele nach dem Zusammenbruch am Neuen Markt eher risikoavers verhalten, und der Gründergeist ist eher schläfrig geworden. Vielen Start-ups ist auch die Finanzierung weggebrochen. Diese brauchen aber gerade am Beginn eine ganze Menge Geld, um profitabel zu werden.

Die Welt: Sind unsere Unis gut genug?

Ragge. Es gibt hierzulande fast keine wirklich herausragende Top-Uni für den Tech-Bereich, die es mit Harvard oder Stanford aufnehmen könnte. Und deswegen gibt es hier viel weniger internationale Talente – und auch das Venture-Capital kommt gerade erst wieder langsam nach Deutschland zurück.

Die Welt: Ist der Vorsprung der Amerikaner damit uneinholbar?

Ragge: Der Zug ist sicher noch nicht abgefahren. Das Internet gibt es kommerziell ja erst seit Mitte der 90er-Jahre. Gerade auch durch „Mobile“ wird noch sehr viel in Bewegung kommen. Und selbst bei erfolgreichen amerikanischen Internetunternehmen wird es Hochs und Tiefs geben, wie bei allen anderen auch.

Die Welt: Halten Sie es für möglich, dass es zum Beispiel ein europäisches Google geben wird?

Ragge: Nein, ein europäisches Unternehmen wie Google wird es wohl nicht mehr geben. Google ist bereits viel zu erfolgreich und sehr dominant.

Die Welt: Was sollte die Bundesregierung jetzt unbedingt tun, um das Gründerklima zu verbessern?

Ragge: Wir brauchen mehr Talente – möglichst aus der ganzen Welt. Es ist ganz wichtig, in Bildung zu investieren und die Ausbildung zu verbessern. Übervolle Hörsäle sind für alle unerträglich. In vielen staatlichen Universitäten in Deutschland ist das Betreuungsverhältnis aber immer noch unterirdisch. Und Gründer und Unternehmer werden bei uns immer noch viel zu wenig gesellschaftlich geachtet oder gar bewundert.

Die Welt: Wo haben Sie studiert?

Ragge: An der European Business School in Oestrich-Winkel. Ich fand es dort sehr gut. Wir waren in unserem Jahrgang insgesamt 150 Studenten und nie mehr als 30 Studenten in einer Vorlesung. Außerdem waren Unternehmenspraktika in der vorlesungsfreien Zeit und ein Aufenthalt im Ausland Pflicht.

Die Welt: Sind Selbstausbeutung und Leidensfähigkeit ein Muss, um als Gründer Erfolg zu haben?

Ragge: Man braucht schon eine Menge Durchhaltevermögen. Wer das nicht hat, der taugt nicht als Unternehmer. Eine gewisse Portion Leidensfähigkeit gehört sicherlich auch dazu, wenn man erfolgreich sein will. Und: Wer nur Unternehmer wird, um möglichst schnell viel Geld zu verdienen, der wird nicht so weit kommen. Die meisten erfolgreichen Unternehmer sind angetrieben durch Visionen und Ideen. Geld kommt immer von alleine, wenn man eine gute Idee hat und einen guten Job macht.

Die Welt: Würden Sie sich mit Ihrem am Markt gut eingeführten Hotelbuchungsportal HRS von einem großen Konzern aufkaufen lassen?

Ragge: Nein! Wir hatten in den vergangenen Jahren unzählige Angebote von größeren Firmen. Aber ich will meine Ideen selbst umsetzen, ohne Restriktionen von außen.

Die Welt: Sie sind mittlerweile auch Alleingesellschafter bei hotel.de, warum?

Ragge: Das Geschäftsmodell und auch die Zielgruppen von HRS und hotel.de sind sehr ähnlich. Durch die Übernahme konnten wir Synergien heben. Und in unserem Geschäft spielt Größe durchaus eine Rolle, wenn wir uns nicht selbst kannibalisieren, dann machen es vielleicht andere. Daher schärfen wir nun die Markenprofile und positionieren HRS beispielsweise mit dem Business-Tarif erfolgreich bei Geschäftsreisenden.

Die Welt: Sie planen mit HRS eine weltweite Expansion. Wie weit sind Sie bislang gekommen?

Ragge: Wir haben mittlerweile eigene Büros in 15 Ländern. Von den großen, relevanten Märkten fehlen uns nur noch die USA und Indien. Als großer Anbieter von Lösungen für Geschäftsreisen müssen wir natürlich weltweit präsent sein, wenn wir die Nummer eins werden wollen. Daran arbeiten wir.

Die Welt: Was sind die größten Hindernisse?

Ragge: Man muss die Besonderheiten der Märkte verstehen. Und sie müssen es schaffen, gute Leute in den lokalen Märkten zu finden und ans Unternehmen zu binden – und diese mit der Zentrale in Deutschland zu vernetzen. Wir können hier durchaus ein Meeting in englischer Sprache abhalten, und danach schreibt die Hälfte der Teilnehmer ihre Mails dann doch wieder in deutscher Sprache. Das sind scheinbar kleine Hürden, die erfordern aber von der Organisation manchmal große Anstrengungen, sie zu überwinden.

Die Welt: Sie haben das von ihrem Vater 1972 als Hotel Reservation Service (HRS) gegründete Unternehmen sehr erfolgreich in die digitale Welt transformiert. Was war dabei die größte Herausforderung?

Ragge: Mein Vater ist der Gründer und ein Patriarch der alten Schule. Akzeptanz war also durchaus ein Thema, aber das haben wir gut hinbekommen.