Paris. Nach dem Sieg von Macron bei der Frankreich-Wahl hört man Seufzer aus allen Richtungen. Auf den Präsidenten wartet eine Menge Arbeit.
Selten war eine Wahl so wichtig – für Frankreich, Europa und die Welt. So verwundert es nicht, dass aus allen Richtungen Stoßseufzer der Erleichterung zu hören sind. Mit dem Sieg des unabhängigen Bewerbers Emmanuel Macron bei der französischen Präsidentschaftswahl bleibt der EU der Blick in den Abgrund erspart.
Das Albtraum-Szenario, dass die Rechtsextremistin Marine Le Pen den Elysée-Palast zum Exerzierfeld eines neuen Nationalismus umfunktioniert, hat sich verflüchtigt. Nicht nur Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und SPD-Spitzenkandidat Martin Schulz machen drei Kreuze. Selbst die Linke-Chefin Katja Kipping hatte die „historische Aufgabe“ beschworen, Le Pen zu verhindern. Angesichts des bevorstehenden Brexit hat die Gemeinschaft nun eine Schonfrist bekommen, sich neu zu definieren.
Kein Grund für Freudentaumel
Das ist ein Grund für alle Demokraten, aufzuatmen. Le Pens beispiellose Schlammschlacht beim Fernseh-Duell gegen Macron hat vermutlich einige Zweifler ins Lager ihres Konkurrenten getrieben. Auch die Hacker-Attacke auf die Macron-Zentrale kurz vor der Wahl, die von der Spitze des rechtsextremen „Front National“ schamlos instrumentalisiert worden war, hat sich nicht ausgezahlt.
Zu Freudentaumel oder gar Euphorie besteht dennoch kein Anlass. Die Wahlbeteiligung war deutlich schlechter als beim ersten Durchgang vor zwei Wochen. Das gab es seit Jahrzehnten nicht. Auch Macron hat es nicht geschafft, Frankreich in eine Aufbruchstimmung zu versetzen. Das Land ist gelähmt und von Lethargie erfüllt. Kaum einer hat noch Vertrauen in die Lösung der großen politischen Probleme wie etwa die Verminderung der Arbeitslosigkeit.
Macron muss Frankreich versöhnen
Hinzu kommt, dass Frankreich in etwa vier gleich große Lager gespalten ist: Rechtsextremisten, Linksextremisten, Konservative und Sozialdemokraten à la Macron. Rechte wie Linke sperren sich gegen den Freihandel und suchen ihr Heil im Schutz der heimischen Industrie. Konservative und Sozialdemokraten wollen mehr wirtschaftlichen Wettbewerb und staatliche Haushalts-Disziplin – wenngleich in unterschiedlicher Dosis.
Vor dem Hintergrund dieser politischen Fragmentierung kommt dem neuen Chef im Elysée die Mammut-Aufgabe zu, das Land zu versöhnen und gleichzeitig zu reformieren. Das ist fast eine Quadratur des Kreises.
Widerstand von Gewerkschaften
Macron muss nun in einem Parforce-Ritt nachholen, was seine Vorgänger versäumt haben. Eines der Grundübel Frankreichs ist die hohe Staatsgläubigkeit. Jeder fünfte Arbeitsplatz befindet sich im öffentlichen Dienst – das gibt es sonst nirgends in Europa. Aber keinem Präsidenten ist es bislang gelungen, für einen Mentalitätswandel in der Bevölkerung zu sorgen.
Frankreich wählt sein Staatsoberhaupt
Weiteres Problem: Jedweder Versuch, die Unternehmen für den rauen Wind der Globalisierung fit zu machen, scheiterte am erbitterten Widerstand der Gewerkschaften. Zu starre Arbeitszeiten, ein zu dogmatischer Kündigungsschutz ließen viele Firmen vor der Schaffung neuer Stellen zurückschrecken. Ergebnis: Die Arbeitslosenrate klebt seit Jahren an der zehn-Prozent-Marke. Bei den Jugendlichen ist sogar jeder Vierte ohne Job. Hier muss Macron gewaltige Überzeugungsarbeit leisten.
Gemeinsame Vorstellungen mit Merkel – und Differenzen
Das Gleiche gilt für seine Vorstellungen über Europa. Der neue Präsident will eine stärkere Integration der EU in Schlüsselbereichen wie Verteidigung oder Sicherheit gegen Terror. Kanzlerin Merkel mag soweit noch mitgehen. Aber ein Eurozonen-Parlament oder ein Eurozonen-Budget stößt zumindest im Unionsteil der Bundesregierung auf Widerstand.
In der Innen- und der Außenpolitik warten auf Macron immense Herausforderungen. Nach seinem Wahl-Triumph wird er sehr bald die Mühen der Ebene kennenlernen.