Berlin. Christian Lindner steht auf dem Parteitag am Wochenende vor seiner Wiederwahl zum FDP-Chef. Für die Partei geht es jetzt um alles.
Er gilt als Retter der Partei, als Architekt der neuen FDP. Wie kein anderer kämpft Christian Lindner für den Wiedereinzug der Liberalen in den Bundestag. Am Freitag stellt sich der 38-Jährige in Berlin zur Wiederwahl als Parteichef. Gut möglich, dass ihn die Delegierten des Parteitags mit einem Rekordergebnis belohnen.
Doch genau das könnte das falsche Signal sein, findet Lindners Stellvertreter Wolfgang Kubicki: „Ein sozialistisches Ergebnis, so wie wir es bei Martin Schulz sehen konnten, muss nicht sein. Wir haben es nicht nötig, auf diese Weise die Hoffnung auf ein Ende der eigenen Misere zu demonstrieren“, sagte Kubicki dieser Redaktion.
Kubicki: Gegenstimmen wären ehrlicher
„Für eine Partei der Meinungsfreiheit wie die Freien Demokraten wäre es viel ehrlicher, wenn es auch Gegenstimmen gibt, als wenn einige mit geballter Faust in der Tasche dem Mainstream folgen, nur um ein Rekordergebnis zu erreichen.“ Das gelte auch für seine eigene Wiederwahl.
Kubicki rechnet damit, dass Lindner deutlich über 90 Prozent der Stimmen bekommt. Vor zwei Jahren landete der Parteichef bei 92,4 Prozent. Bei seinem Amtsantritt im Jahr 2013, kurz nach dem Rauswurf der FDP aus dem Bundestag, waren es 79 Prozent. Seitdem ist viel passiert: Die FDP muss im Herbst über die Fünf-Prozent-Hürde kommen, um auf Bundesebene wieder mitzuspielen. Die Chancen dafür stehen gut.
Blick nach Frankreich stimmt FDP optimistisch
Nicht nur dort: Wolfgang Kubicki will am 7. Mai bei der Landtagswahl in Schleswig-Holstein ein zweistelliges Ergebnis einfahren, die Umfragen sehen die Liberalen im Norden immerhin bei neun Prozent. In Nordrhein-Westfalen kann Christian Lindner am 14. Mai nach einer neuen Umfrage sogar damit rechnen, mit der FDP drittstärkste Kraft zu werden. Der Blick nach Frankreich stimmt die Liberalen zusätzlich optimistisch: Der Sieg von Emmanuel Macron in der ersten Runde der französischen Präsidentenwahl ist Wasser auf ihren Mühlen.
„Für uns ist das eine Bestätigung“, sagt Generalsekretärin Nicola Beer. Macron habe Aufbruchsstimmung verbreitet und dabei an seinem klar europäischen Kurs festgehalten – genauso wie die Liberalen in Deutschland mit ihrem Spitzenmann Lindner. Gut, in der Europolitik gebe es deutliche Unterschiede, doch beim Reformwillen seien die beiden Brüder im Geiste. Der 38-jährige Deutsche und der 39-jährige Franzose, sie surfen auf derselben Stimmungswelle, hoffen sie bei der FDP.
FDP profitiert vom Trump-Effekt
In den bundesweiten Umfragen liegen die Freien Demokraten stabil bei sechs Prozent – und sie profitieren vom Trump-Effekt, der gerade bei jungen Deutschen eine neue Lust auf Parteipolitik erzeugt hat: 2016 traten rund 4000 neue Mitglieder in die FDP ein, in diesem Jahr waren es bis April weitere 3000. Mehr noch: Fünf Monate vor der Bundestagswahl und wenige Tage vor den Landtagswahlen in NRW und Schleswig-Holstein sind sogar Regierungsbeteiligungen denkbar.
Schwarz-Gelb, eine sozialliberale Koalition, Dreierbündnisse mit SPD und Grünen (Ampel) oder CDU und Grünen (Jamaika) liegen als Optionen auf dem Tisch. Ganz unverhohlen wirbt die SPD um die FDP: Kanzlerkandidat Martin Schulz lobt FDP-Chef Christian Lindner und erinnert an die guten Jahre der sozialliberalen Koalition in den 70er-Jahren.
Ampelkoalition in Rheinland-Pfalz – ein Vorbild für NRW?
Und schließlich ist da noch das Beispiel Rheinland-Pfalz: Hier regiert die FDP recht geräuschlos in einer Ampelkoalition – bringt damit jedoch Parteichef Lindner in Erklärungsnot. Denn: Für Nordrhein-Westfalen hat Lindner die Ampel bislang ausgeschlossen. Nun will er die rund 15.000 FDP-Mitglieder in NRW nach der Wahl über eine mögliche Regierungsbeteiligung entscheiden lassen.
Das liberale Ego wächst unterdessen stetig weiter: „Da wir bedauerlicherweise keinen Kanzler stellen können, jedenfalls nicht bei dieser Wahl, gilt: Wenn jemand eine Mehrheit im Deutschen Bundestag haben will, muss er auf uns zukommen – und nicht umgekehrt“, sagt Kubicki.
Das plant die FDP für ihr Wahlprogramm
Beim Parteitag an diesem Wochenende will die FDP auch ihr Wahlprogramm verabschieden. Schwerpunkte sind eine Bildungsreform und mehr Anstrengungen bei der Digitalisierung. Die FDP will dazu die Staatsausgaben deutlich steigern, bundesweit einheitliche Bildungsstandards einführen und damit den Einfluss des Bundes auf die Länder stärken. Um mehr Tempo bei der Digitalisierung und beim Netzausbau zu erreichen, sollen Bundesbeteiligungen verkauft werden.
Auch Steuersenkungen gehören zum Programm – darunter die Abschaffung des Solis und höhere Freibeträge bei der Grunderwerbsteuer. Und die Liberalen wollen eine Höchstgrenze für Steuern und Sozialabgaben im Grundgesetz festschreiben – Arbeitnehmer sollen mindestens 50 Prozent ihres Einkommens behalten dürfen.
Die Spitzenkandidaten der Bundestagswahl
FDP intern uneinig über Doppelpass
Anders als vor vier Jahren steht die FDP jetzt geschlossen hinter dem Parteichef, dem Programm und der Spitzenmannschaft: „Die Partei hat gelernt, dass es keinen Sinn macht, sich wechselseitig zu zerfleischen. Wir streiten in der Sache, aber nicht mehr auf der persönlichen Ebene“, sagt Kubicki.
Ein nächster Testfall dafür ist die Debatte über den Doppelpass: Nach einem Vorschlag von Generalsekretärin Beer sollen Bürger mit einer doppelten Staatsbürgerschaft künftig festlegen, in welchem Land sie an Wahlen teilnehmen wollen. Mit einer entsprechenden Gesetzesänderung könne man Loyalitätskonflikte vermeiden – wie sie etwa beim Türkei-Referendum sichtbar geworden seien.
Kubicki: Loyalität zum Grundgesetz entscheidend
Kubicki widerspricht: „Das ist rechtlich nicht möglich. Ein Passinhaber hat die vollen staatsbürgerlichen Rechte des jeweiligen Landes“, sagt der Jurist. „Wer das Wahlrecht für Bürger mit zwei Pässen einschränken will, müsste den Doppelpass abschaffen. Doch darum geht es nicht.“
Nicht die doppelte Staatsangehörigkeit sei das Problem, sondern die Frage: „Wie können wir erreichen, dass die Menschen eine loyale Einstellung zu dem Land bekommen, in dem sie leben?“ Loyalität zum Grundgesetz sei keine Frage der Staatsangehörigkeit. „Das sehen wir bei den vielen Rechtsradikalen, ihren Äußerungen und Taten.“