Performances mit Angélica Liddell und Jana Schulz

Auf diese Frau können sich die Hamburger freuen. Wobei Freude wahrscheinlich doch das falsche Wort ist. Die Spanierin Angélica Liddell gilt seit einigen Jahren als eine der radikalsten, interessantesten Performerinnen Europas. Seit sie beim Festival d’Avignon mit dem verstörenden „La Casa della Fuerza“ (Das Haus der Gewalt) und „El ano de Ricardo“ 2010 für Furore sorgte, war Liddell, die in ihren Produktionen als Autorin, Dramaturgin und Performerin zugleich fungiert, dort regelmäßiger Gast.

Im Protest gegen gesellschaftliche Gewalt, sei es jene von mexikanischen Männern gegen ihre Frauen im Drogenkrieg oder symbolisch jene des monströsen Königs Richard III., setzt sie auf der Bühne Selbstentblößung und -verletzung ein, unterlegt von der Melodie ausufernder Sprachwasserfälle. Häufig fallen Vergleiche mit Marina Abramovic oder Artauds Theater der Grausamkeit.

In der vergangenen Ausgabe des Festival d’Avignon wurde Liddell für ihr aktuelles Werk „Der ganze Himmel über der Erde (Das Wendy-Syndrom)“ gefeiert. Es war der dritte Teil einer Trilogie, in der sie sich mit den Herrschaftsverhältnissen in China auseinandersetzt, hier auf eine zartbittere Art und Weise, gleichsam als Anithese zu Lessings Toleranzgedanken. In „Der ganze Himmel über der Erde“ verhandelt Liddell das Phänomen von Frauen, die sich mit Männern, die partout nicht erwachsen werden wollen, zu Paaren verbinden. Das tut sie auf der Folie von Peter Pan, der bei ihr Anders Behring Breivik heißt. Seit dem Sommer 2011 verbindet die Welt mit seinem Namen den ultimativen Schrecken. Damals erschoss Breivik im norwegischen Utoya 69 Jugendliche als „Zeichen gegen den Kulturmarxismus“.

Liddell nimmt das zum Anlass für eine psychologisch grausame und schmerzhafte Reise mit fünf Darstellerin ihres Kollektivs Atra Bilis Teatro. Ein koreanischer Komponist hat hinreißend altmodische, ein wenig sentimentale Walzer komponiert, die das Wiener Musik-Ensemble Phace zum besten gibt und zu denen hochbetagte Tänzer aus Shanghai sich im Kreise drehen. Im zweiten Teil wird Liddell eine erst depressive, schließlich in Aggressivität umschlagende, manische Suada halten, in der sie sich gegen alle Glücksversprechen des Weiblichen wendet. Das klingt erst einmal mühsam, aber tatsächlich ist eine Liddell-Performance ein Anschlag auf alle Sinne, mit starkem Formwillen und einer Radikalität im Ton, die lange nachwirkt.

Um Toleranz im eigentlichen Sinne und damit um eine Nähe zu Lessing geht es dem Regieduo Jarg Pataki und Viola Hasselberg mit ihrem Bollywoodmusical „Gottes kleiner Krieger“ nach dem gleichnamigen Roman des bekannten indischen Gegenwartsautors Kiran Nagarkar. Der Stoff erzählt die Geschichte zweier ungleicher Brüder. Amanat neigt zu Grübelei und Selbstzweifeln. Sein mathematisch hochbegabter Bruder Zia dagegen fühlt sich auserwählt, die Einheit der islamischen Welt herzustellen. Mit Spekulationsgewinnen beginnt er, radikale islamistische Organisationen zu unterstützen.

Auf einer Odyssee über mehrere Kontinente wechselt er mehrfach die Religion. Eine Terrorgeschichte im Genre des Bollywood-Musicals mit seinem Frohsinn, den ekstatischen Gesangs- und Tanzeinlagen und dem Hang zu Sentimentalität und Kitsch, mag auf den ersten Blick befremdlich anmuten. Doch der Kontrast ist gewollt. Regisseur Jarg Pataki zählte in der weitgehend glücklosen Ära Schirmer am Schauspielhaus zu den Lichtblicken.

So wie auch die Schauspielerin Jana Schulz, die mit dem Regisseur Roger Vontobel mehrere fruchtbare künstlerische Begegnungen erfuhr. Erstmals trafen sie vor zwölf Jahren bei „(fi’lo:tas)“ nach dem Lessingtext „Philotas“ aufeinander. Für beide war es der Durchbruch. Der Monolog stand viele Jahre auf dem Malersaal-Spielplan, wurde mehrfach ausgezeichnet, überallhin eingeladen und kehrt nun zum Festival noch einmal nach Hamburg zurück.

Jana Schulz spielt John Walker Lindh, jenen Amerikaner, der während des Afghanistan-Krieges auf Seiten der Taliban kämpfte und damit aus Sicht der USA zum Terroristen wurde. Vor seiner Konvertierung zum Islam lebte er ein recht unspektakuläres Leben, durchlief die Highschool, ging aufs College. Jana Schulz spielt diesen Monolog eine intensive Stunde lang mit viel Verzweiflung, Aggressivität und Verlorenheit.

Angélica Liddell: „Der ganze Himmel über der Erde (Das Wendy-Syndrom)“ 6./7.2., jew. 20.00, Thalia in der Gaußstraße, Gaußstraße 190; „Gottes kleiner Krieger“, Bollywood-Musical nach Kiran Nagarkar 31.1., 19.00, Thalia Theater, Alstertor; „(fi’lo:tas)“ 8.2., 20.00, Thalia in der Gaußstraße, Gaußstraße 190