Berlin/Brüssel. Eine Zulassung für den russischen Impfstoff ist nicht in Sicht. Immerhin gibt es eine Änderung für jene, die das Vakzin bekommen haben.

Es ist für viele Flüchtlinge aus der Ukraine eines der ersten praktischen Probleme in Deutschland: Sie haben sich in der Heimat gegen Corona impfen lassen – aber in Deutschland wird der Impfschutz in vielen Fällen offiziell nicht anerkannt, mit gravierenden Nachteilen im Alltag. Denn es war der „falsche“ Impfstoff: Das russische Vakzin Sputnik V wurde in der Ukraine besonders häufig eingesetzt, hat in der Europäischen Union aber noch immer keine Zulassung.

Die Ukrainerinnen und Ukrainer sind nicht allein: Bundesbürger, die auf den Russen-Impfstoff statt auf Biontech & Co gesetzt haben, schauen ebenfalls in die Röhre. Denn inzwischen ist klar: Sputnik V wird in der EU in absehbarer Zeit die notwendige Anerkennung nicht bekommen, der Ukraine-Krieg gibt dem Verfahren den Rest. Das Sputnik-Debakel ist perfekt.

Noch vor zwölf Monaten galt der russische Corona-Impfstoff als große Hoffnung auch in Deutschland: Weil die neuen Covid-19-Vakzine zunächst äußerst knapp waren, sollte Sputnik die Lücken füllen – schließlich war der Vektor-Impfstoff in Russland bereits sehr früh eingesetzt worden. Diese Eilerlaubnis wurde im Westen zwar mit Skepsis betrachtet, doch eine laut Studien erreichte Wirksamkeit von über 90 Prozent weckte Begehrlichkeiten.

Bayern wollte 2,5 Millionen Sputnik-Dosen kaufen

Der bayerische Ministerpräsident Markus Söder (CSU) kündigte im April 2021 an, der Freistaat werde 2,5 Millionen Impfstoff-Dosen kaufen. Das russische Unternehmen R-Pharm machte sich daran, in seinem Werk im bayerischen Illertissen einen zweistelligen Millionenbetrag für die Produktion des Vakzins zu investieren. Niemanden störte es, dass R-Pharm-Gründer Alexei Repik seinen Erfolg auch guten Kontakten in den Kreml zu verdanken hatte.

Parallel begann im März 2021 bei der europäischen Arzneimittelbehörde EMA ein Verfahren, um die anschließende Zulassungsprüfung für Sputnik zu beschleunigen. So sollte Sputnik im Frühsommer grünes Licht für die Anwendung in der gesamten EU erhalten können. Doch bis heute ist das Verfahren nicht abgeschlossen. „Sputnik befindet sich weiter in der laufenden Überprüfung“, sagt ein EMA-Sprecher unserer Redaktion. Derzeit gebe es allerdings keine Aktivitäten. Die Sache liegt auf Eis, dabei dürfte es bleiben: EMA-Experten für die klinischen Studien berichten, man habe überhaupt keinen Kontakt mehr mit russischen Instanzen.

Schuld ist aktuell der Ukraine-Krieg. Die russische Seite hatte aber schon vorher immer wieder angeforderte Informationen nicht geliefert – es gehe seit vielen Monaten um mangelnde Produktionsdaten, unvollständige klinische Unterlagen, fehlende Fallberichte über Nebenwirkungen, berichten Eingeweihte. Selbst wenn die EMA eines Tages doch noch zu einem Urteil kommen würde: Die endgültige Freigabe müsste danach die EU-Kommission erteilen – und dort gilt es inzwischen nach Angaben beteiligter Beamter als „undenkbar“, dass Sputnik V die Erlaubnis erhält, solange die umfangreichen Sanktionen gegen Russland in Kraft sind.

EU-Kommission wird Sputnik-Impfstoff nicht freigeben

Der ungarische Premierminister Viktor Orban.
Der ungarische Premierminister Viktor Orban. © AFP | ATTILA KISBENEDEK

Einzige Ausnahme in der EU ist zeitweise Ungarn gewesen. Regierungschef Viktor Orban ließ voriges Jahr eine nationale Notfallzulassung erteilen und rund 2 Millionen Sputnik-Impfdosen verspritzen, bevor Ungarn in großem Stil auf andere Vakzine umschwenkte. Das Nachbarland Slowakei hatte ebenfalls Sputnik bestellt, nach innenpolitischem Streit jedoch den Großteil der Lieferung wieder zurückgeschickt

Auch bei der Weltgesundheitsorganisation WHO stockt ein Verfahren zur Prüfung, ob Sputnik V eine Notfallzulassung erhalten kann, wie sie etwa für chinesische Vakzine wie Sinopharm längst erteilt wurde. Die WHO erklärt, die Zulassung sei erst möglich, wenn alle Daten verfügbar seien und Klarheit über die Sicherheit des Präparats bestehe.

Das irritiert zunehmend auch die weltweit durchaus zahlreichen Interessenten. Nach Angaben des Russischen Direct Investment Fund (RDIF), der Sputnik finanziert und international vermarktet, ist das relativ einfach zu handhabende Präparat in 70 Länder geliefert worden, etwa nach Indien, Mexiko, China und Länder Südamerikas.

Doch auch hier wird der Ukraine-Krieg zur Belastung: Denn inzwischen steht das Unternehmen RDIF auf der Sanktionsliste der USA, Vorstandschef Kirill Dmitriev gilt als Vertrauter des russischen Präsidenten Wladimir Putin. Weiteres Hindernis sind die Sanktionen gegen die russische Zentralbank.

Die Ständige Impfkomission empfiehlt mRNA-Booster nach Sputnik-Impfung

Aber was ist mit jenen Bundesbürgerinnen und -bürgern, die sich schon mit Sputnik impfen ließen – in Moskau, Ungarn oder in San Remo an der Adria, wo Reiseveranstalter Touristen mit der Sputnik-Spritze zu locken versuchten? Fälle wie die des Linken-Politikers Dieter Dehm galten bisher eher als Exotenproblem, aber durch die Flüchtlinge aus der Ukraine bekommt die Frage eine neue Dimension. Die Ständige Impfkommission hat bereits reagiert: Sie empfiehlt für Menschen, die mit Sputnik oder chinesischen Vakzinen geimpft wurden, nicht mehr wie bisher eine komplett neue Impfserie, sondern einen Booster mit den mRNA-Impfstoffen von Biontech oder Moderna. Dies führe zu einem guten Impfschutz, vergleichbar mit einer dreimaligen mRNA-Impfung, so die Kommission.

Doch für einen anerkannten Impfnachweis reicht das nicht aus: Wer im Ausland mit nicht in der EU zugelassenen COVID-19-Impfstoffen geimpft wurde, benötige nach aktueller Rechtslage eine erneute Impfserie mit einem von der EU-Kommission zugelassenen Impfstoff, erklärt das Bundesgesundheitsministerium. Um das zu ändern, müsste die Bundesregierung mit Zustimmung des Bundesrats eine entsprechende Verordnung beschließen.

Bundesgesundheitsministerium prüft Anerkennung unter Voraussetzungen

Eine Sprecherin des Gesundheitsministeriums sagte unserer Redaktion, zurzeit werde geprüft, ob eine Anerkennung WHO-gelisteter Impfstoffe unter Voraussetzungen, wie durch zusätzliche Impfung mit einem mRNA-Impfstoff, in Betracht komme. Aber Sputnik ist nicht einmal WHO-gelistet. Und ausschlaggebend wären dem Sprecher zufolge nicht nur medizinische, sondern auch rechtliche und technische Fragen. Viel Hoffnung macht das Gesundheitsministerium nicht: „Wann diese Prüfung abgeschlossen sein wird, ist zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht abzusehen.“

Ministerpräsident Söder hat inzwischen sein gescheitertes Sputnik-Geschäft auch offiziell abgesagt. Es sei unvorstellbar, dass das Projekt jetzt noch realisiert werden könne, sagt Söder mit Blick auf den Ukraine-Krieg: „Es ist vorbei“.

Dieser Text erschien zuerst auf www.waz.de.