Nischny Nowgorod. Argentinien steht nach der Niederlage gegen Kroatien vor dem Aus. Jorge Sampaoli sieht das Projekt gescheitert. Spott für Lionel Messi.

Grau ist die offizielle Freizeitkleidung der Argentinier bei dieser Fußball-WM. Schwarz hätte auch keinen gewundert, spätnachts in Nischny Nowgorod. In Trauerprozession kamen die Nationalspieler aus der Kabine. Die ganze Mannschaft, inklusive Präsident und Manager, passierte die wartende Presse im Pulk. Nur Altmeister Javier Mascherano blieb stehen, für einen leisen, resignierten Satz: „Es gilt das Gift zu schlucken, das es zu schlucken gelten wird.“

WM: Kroatien gewinnt 3:0 gegen Argentinien

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    Mascherano ist gestählt aus drei Finalniederlagen zwischen 2014 und 2016, WM und zweimal Südamerikameisterschaft; er gehört zur Generation, die dazu verdammt scheint, „Scheiße zu fressen“, wie er es selbst nach der dritten dieser Pleiten ausgedrückt hatte. Womöglich gibt es Grenzen für das, was Fußballer an Niederlagen ertragen können. Womöglich hatte Lionel Messi doch einfach den richtigen Instinkt, als er nach derselben dritten Finalniederlage 2016 zurücktrat („es soll einfach nicht sein“). Jetzt scheint diese Generation nach einem 0:3 gegen Kroatien am Ende ihres Wegs.

    Agüero redet abwertend über Sampaoli

    Natürlich, es gibt noch vage Chancen, dass alle Ergebnisse am letzten Gruppenspieltag günstig zusammenfallen für den Aufstieg ins Achtelfinale. Doch dafür müsste Argentinien sich erst einmal berappeln, und darauf deutete nichts hin in der Nacht von Nischny Nowgorod. Das Wenige was gesagt wurde, machte es nur noch schlimmer. Trainer Jorge Sampaoli, seit einem Jahr im Amt, sprach in seiner Pressekonferenz von einem „gescheiterten Projekt“, an das sich „die Spieler nicht anpassen konnten“. Erst später präzisierte er, dass er damit seinen Matchplan gemeint hatte. Stürmer Sergio Agüero wurde indes noch mit der ersten Version konfrontiert. „Soll er doch sagen, was er will“, kommentierte er die Äußerungen des Trainers.

    Nationalmannschaft hat Schweden fest im Blick

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      Wie gestern aus dem Teamquartier in Bronnizy bei Moskau zu vernehmen war, klärte man das Missverständnis noch auf dem Weg zum Flugzeug, und auch das Thema einer vermeintlichen Meuterei der Spieler gegen den Coach soll keines sein. Darüber hatten verschiedene argentinische Medien in der Nacht berichtet, aber auch dafür hätte wohl die Energie gefehlt bei den „Rittern der Furcht“, wie die Sportzeitung „Olé“ mit einem Wortspiel um den Nachnamen von Torwart Willy Caballero titelte. Nach dessen bizarrem Patzer zum 0:1 forderte Diego Maradona von der Tribüne mit unmissverständlicher Handbewegung eine Anteilsteigerung männlichen Testosterons. Am Ende hatte der Held von 1986 dann Tränen in den Augen, während Mario Kempes, die Legende von 1978, von einer „schändlichen Darbietung“ sprach und eine Gruppe der zehntausenden argentinischen Fans den Trainer verunglimpfte.

      Simeone macht Spruch über Messi

      Ebenfalls gegen Spielschluss gelangten außerdem private Whatsapp an die Öffentlichkeit, die Atlético Madrids argentinischer Erfolgstrainer Diego Simeone wohl an seinen Assistenten Germán Burgos schrieb. Darunter fand sich auch eine besonders unangenehme Wahrheit: „Wenn du für eine normale Mannschaft zwischen Messi oder Ronaldo wählen musst – wen nimmst Du?“, provoziert er seinen Gesprächspartner. In der Frage steckt von kompetenter Stelle die unangenehmste aller Thesen über Messi – dass er nur in Barcelona mit den Iniestas und Busquets’ neben sich dieser epochale Spieler ist; aber nicht in der Lage, ein mäßiges Team zu inspirieren.

      Zumindest die Partie gegen Kroatien bestätigte den Verdacht im Übermaß. Die meiste Zeit war Messi abwesend, wie bei Argentiniens größter Ausgleichchance, als nach einem ausnahmsweise sehr gelungenen Spielzug der junge Maximiliano Meza noch einmal energisch nachsetzte und seinem Kapitän so die Gelegenheit zum Nachschuss eröffnete. Doch Messi war zu langsam, um die Situation zu erfassen.

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      Schon beim Auftakt gegen Island hatten seine Werte fatal an die K.o.-Runde der WM 2014 erinnert, als er mit Argentiniens Finaleinzug nicht mehr allzu viel zu tun hatte. Mit 7,6 Kilometern bewegte er sich weniger als jeder andere Feldspieler der 32 WM-Teilnehmer; weniger gar als zwei Torhüter. Wo sein Tempo sonst kaum zu verteidigen ist, beschleunigte er kein einziges Mal über 25 Stundenkilometer (Ronaldo: 34). Es sind die Zahlen einer seltsamen Depression, die sich vielleicht bis zu einem gewissen Punkt durch den Druck der so ersehnten WM erklären lassen. Aber in diesem Extrem allenfalls durch eine Art Angststörung, die ihn im Nationaltrikot befällt und die dann durch Rückschläge wie den verschossenen Elfmeter gegen Island zur Paralyse führt.

      Gegen Nigeria am Dienstag in St. Petersburg bestreitet einer der besten Fußballer aller Zeiten jetzt sein womöglich letztes WM-Spiel. Allein das ist ein so trauriger Gedanke, dass die Grabesstimmung in Nischny Nowgorod mehr als gerechtfertigt schien.