Essen. Der langjährige DFB-Mediendirektor spricht in unserem Podcast Klartext zum deutschen WM-Aus. An personelle Veränderungen glaubt er aber nicht.

Harald Stenger versucht das eine oder andere Mal, seine schonungslosen Analysen zu relativieren. Er sei ja nun schon eine Weile aus dem inneren Kreis der deutschen Nationalmannschaft heraus, betont der 71-Jährige im Podcast „WM Inside – Der Expertentalk“ der Funke-Mediengruppe, zu der auch diese Zeitung gehört. Das aber ändert nichts daran, dass Harald Stenger, früher DFB-Mediendirektor und von 2001 bis 2012 Pressesprecher der Nationalelf, noch immer sehr gut über die Zustände im deutschen Fußball Bescheid weiß.

Drei Weltmeisterschaften hat der frühere Journalist als Verbands-Mitarbeiter erlebt. Alle waren erfolgreich, mit dem Sommermärchen als Höhepunkt. Und nun? Scheidet die Nationalmannschaft trotz des 4:2-Sieges gegen Costa Rica zum zweiten Mal in Folge bei einer WM aus. „Ich habe den Eindruck, dass es an der Einstellung der Spieler gefehlt hat“, meint Stenger. „Das ist dann mal Unsicherheit, mal eine fachliche Fehleinschätzung. Der Kader war so zusammengestellt, dass man sagen kann: Es gab keine Besseren. Am Ende aber hat er sich selbst blockiert, lahmgelegt.“

Harald Stenger: "Einer Nationalmannschaft nicht würdig"

Erster Kritik-Punkt: die Abwehr. „Das war unsäglich, wie die da hinten rumgelaufen sind, und keiner Nationalmannschaft würdig“, sagt Harald Stenger.

Der zweite: „Der entscheidende Faktor war bei aller Unsicherheit hinten, dass man vorne keine Effizienz hatte. Das war zum Davonlaufen. Musiala hat überragend gespielt. Es reicht aber nicht, drei, vier oder fünf auszutanzen. Irgendwann muss dann auch ein Abschluss kommen.“

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Und der dritte Punkt: die Mentalität der Profis. Bundestrainer Hansi Flick werde zurecht als Menschenfänger bezeichnet. Aber seine klaren Worte in der Halbzeit „haben die Spieler offensichtlich gar nicht verinnerlicht oder verstanden“.

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In Summe ergab das in den vergangenen zwei Wochen von Katar ein Debakel, das nun schnell aufgearbeitet werden muss. Schon in anderthalb Jahren soll die Europameisterschaft in Deutschland wieder zu einem Sommermärchen werden. Dass Flick seinen Job verliert, glaubt Stenger nicht.„Mein Eindruck ist, dass er ein wenig geschont wird, weil er erst anderthalb Jahre im Amt ist.“ Oliver Bierhoff, DFB-Geschäftsführer und Nationalmannschafts-Manager, könne mehr in die Kritik geraten. Mit großen Umwälzungen rechne er aber nicht. „Wichtig wird die Position von Aki Watzke sein, der als DFL-Aufsichtsrats-Chef im DFB-Präsidium sitzt. Das ist ja ein sehr kritischer Mann, der den Finger in die Wunde legt. Da wird spannend sein, wie er sich einbringt, ob er das eine oder andere Unpopuläre in die Runde bringt.“

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Das könnte zum Beispiel die Rolle von Bierhoff sein, mit dem Stenger acht Jahre zusammengearbeitet hat. „Ich weiß, dass er ein engagierter, innovativer Zeitgenosse ist. Vielleicht muss man von dem, was damals gut und richtig war, prüfen, was nun abgebaut oder erneuert werden kann.“

Um die Ergebnisse struktureller Veränderungen schon bei der Heim-EM sehen zu können, bleibt eigentlich keine Zeit. „Ich sehe nicht, dass ein Dutzend junger Spieler in den Startlöchern steht und die heile Fußballwelt begründet“, sagt Harald Stenger. Auf den deutschen Fußball wird er bis dahin weiter mit kritischen Augen blicken.