Eugene. Leichtathletin Malaika Mihambo hat mit 7,12 Metern ihren WM-Titel im Weitsprung in Eugene/Oregon verteidigt.

Am Ende überstrahlte sie alles. Die schlechteste Ausbeute deutscher Leichtathleten in der WM-Geschichte? Man konnte sie fast vergessen in diesen letzten WM-Minuten im Stadion in Eugene/Oregon, als Malaika Mihambo lächelnd ganz oben auf dem Siegerpodest stand. Sie hatte ihren Job erfüllt. Sie war in den Nordwesten der USA gekommen, um ihren Titel zu verteidigen. Nicht weniger als Gold wurde von der Welt-, Europameisterin und Olympiasiegerin erwartet. Und Malaika Mihambo enttäuschte nicht.

Sie wurde nicht groß nervös, als es zunächst gar nicht gut lief. Zwei Sprünge, zwei Fehlversuche. Schon der dritte Sprung war also ein Finale. Ein weiteres Mal Übertreten, und der Wettkampf wäre für die 28-Jährige frühzeitig beendet gewesen. 6,62Meter mussten mindestens her, um unter den besten Acht weitermachen zu dürfen. Nichts Neues: Drama und Druck gehören bei einem Spitzenspringen mit Malaika Mihambo immer dazu. Wie 2019 bei der WM in Doha mit mehreren Fehlversuchen, wie 2021 bei Olympia in Tokio beim Sieg durch den letzten Sprung. Auch da hatte sich die Heidelbergerin nicht aus der Ruhe bringen lassen.

Jeder Sprung ein Kunstwerk

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So saß sie nun da hinter der Weitsprunganlage im Innenbereich des Stadions, die Augen geschlossen. Sie vergaß die Welt um sich herum. Wie bei der Mediation, aus der sie Kraft bezieht. Wie beim Klavierspielen, das sie leidenschaftlich seit einigen Jahren erlernt. Musikstück um Musikstück. Jedes eine neue Herausforderung. Jedes eine komplexe Aneinanderreihung von Tastenkombinationen, jedes ein kleines Kunstwerk. Wie ihre Sprünge.

Auch die wirken wie komponiert. Strophe eins: der konzentrierte Blick. Mit dem beginnt es, kurz schließt Mihambo dann die Augen. Strophe zwei: das Klatschen. Ihre Hände hebt sie hoch über den Kopf, blickt in Publikum. Strophe drei: der Anlauf: Den rechten Arm hebt sie hoch, den linken winkelt sie an, beugt sich nach vorne und sprintet los, die Arme auf- und abwirbelnd. Strophe vier: der Absprung. Sekundenlang schwebt sie in der Luft, die Beine wirbeln anfangs noch weiter, doch dann lässt sie sie nach vorne schnellen. Häufig ist aus dieser Abfolge ein Meisterwerk entstanden. Wie auch an diesem Sonntagabend in Eugene. Dieser so entscheidende dritte Sprung endete nach 6,98 Metern. Nach zwei Fehlversuchen war Mihambo plötzlich Zweite.

Zu viele deutsche Athleten enttäuschen

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„Ich habe eigentlich nicht an mir gezweifelt, ich habe mich beruhigt. Ich traue mir das einfach zu, auch in solchen Krisensituationen da zu sein“, sagte sie. Und dann lief es. 7.09 Meter sprang sie im vierten und schließlich trotz des bereits feststehenden Siegs noch einmal 7,12 Meter im finalen sechsten Versuch. Der Schlussakkord. Ese Brume aus Nigeria sicherte sich Silber mit 7,02 Metern. Bronze ging an die Brasilianerin Leticia Oro Melo (6,89). Trotzdem haderte Mihambo mit ihren 7,12 Metern und den Fehlversuchen. „Ich war richtig gut drauf. Wenn man merkt, dass die Bestweite drin ist, will man die auch springen.“ Ihre bisher beste Weite von 7,30 Metern hatte ihr vor drei Jahren in Doha den Titel gebracht.

Gehadert wurde auch beim Deutschen Leichtathletik-Verband (DLV). Denn selbst das strahlende Gold der Weitsprung-Königin war nicht in der Lage, die vorangegangenen dunklen Tage vollständig zu erhellen. Deutschlands Starter hatten im Leichtathletik-Herzen der USA eine historisch schlechte WM beendet. Gold für Mihambo, Bronze für die Frauen-Sprintstaffel – selbst beim bisherigen Tiefpunkt, der WM 2003 in Paris, gab es mit einmal Silber und dreimal Bronze eine höhere Ausbeute. „Wir müssen feststellen, dass wir mit dem Ausgang der WM nicht zufrieden sind und es so nicht erwartet haben“, sagte Chef-Bundestrainerin Annett Stein. „40 bis 45 Prozent der Athleten und Athletinnen haben ihr Leistungsvermögen nicht abgerufen.“

Mihambo bleibt das Aushängeschild

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Besagte deutsche Starter waren bereits in den Vorkämpfen sang- und klanglos gescheitert. Weitere Topplatzierungen holten lediglich Speerwerfer Julian Weber (Vierter), die Stabhochspringer Oleg Zernikel (Fünfter) und Bo Kanda Lita Baehre (Siebter), Diskuswerferin Claudine Vita (Fünfte) und Zehnkämpfer Niklas Kaul (Sechster). Andere Medaillenhoffnungen wie Diskuswerferin Kristin Pudenz zeigen Nerven, die Läuferinnen Gesa Felicitas Krause und Konstanze Klosterhalfen waren noch geschwächt von Erkrankungen. „Die Situation kann man nicht schönreden. In der Theorie hat alles gut funktioniert, aber der Faktor Mensch ist schwer zu greifen“, sagte DLV-Präsident Jürgen Kessing niedergeschlagen. „Wir haben nicht allzu viele Medaillenkandidaten. Von denen sind dann vor der WM ein Drittel bis die Hälfte durch Verletzungen abhanden gekommen. Dann wird es schwer.“

Malaika Mihambo wird also das Aushängeschild der deutschen Leichtathletik bleiben, Konkurrenz ist nicht in Sicht. Deren Goldmedaille, sagte Kessing „hübscht die Bilanz ein wenig auf, löst aber das Problem nicht“. Auch eine erfolgreiche EM, die am 15. August in München beginnt, würde das schlechte Abschneiden in Eugene nicht relativieren. „Der Vergleich mit der Weltspitze ist das eigentliche Ziel“, sagte Chef-Bundestrainerin Annett Stein. Ein Vergleich, den derzeit nur Malaika Mihambo nicht scheuen muss.