Eugene. Hochspringerin Jaroslawa Mahutschich holte Silber für die Ukraine. So deutlich wie kein anderer Athlet spricht sie über den Krieg.

Anfangs wirkte sie noch ein bisschen enttäuscht. Als die Latte noch ein paar Millisekunden auf den Ständern der Hochsprunganlage wackelte, und dann doch herunterfiel. Auch im dritten Versuch hatte Jaroslawa Mahutschich die 2,04 Meter nicht übersprungen, die Australierin Eleanor Patterson feierte in Eugene/Oregon den Weltmeistertitel im Hochsprung. Sie hatte zuvor die Höhe von 2,02 Metern im ersten Versuch geschafft, Jaroslawa Mahutschich erst im zweiten. Für die 20-Jährige blieb nur Silber. Nur Silber? „Es fühlt sich für mich an wie Gold“, sagte sie dann etwas später zufrieden. „Diese Medaille ist für unser Volk und für unser Land.“ Ihr Land ist die Ukraine. Und das Leben von Jaroslawa Mahutschich ist wie das von Millionen ihrer Landsleute auch seit dem 24. Februar nicht mehr so wie vorher. Seit dem Beginn des russischen Angriffskriegs.

Als sie nun da stand am Dienstagabend, in den Katakomben des Leichtathletik-Stadions von Eugene, war das sportliche Geschehene fast nebensächlich. Jaroslawa Mahutschich mochte sich an der Westküste der USA befinden, weit weg von ihrer Heimat, doch gedanklich war sie der Ukraine auch in diesem Moment nah. Der Trainingsanzug in blau und gelb gehört zur Athletenausstattung, doch auch ihre Augenlider hatte sie in den Farben ihres Landes gestrichen. Immer wieder erzählte sie von den vergangenen Monaten. Von den Raketeneinschägen in der Millionenstadt Dnipro im Südosten der Ukraine. Wie sie mit ihrer Familie im Keller ihres Hauses Schutz gesucht hatte und sich schließlich zum Kämpfen entschloss. Nicht an der Front mit dem Gewehr, sondern als Sportlerin in den Leichtathletikstadien dieser Welt. Mit Worten als Waffe.

60-stündige Flucht mit dem Auto

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Seitdem spricht Jaroslawa Mahutschich immer wieder über die Situation in ihrem Land. Und als eine der erfolgreichsten Hochspringerinnen der Welt wird sie gehört. Die erste Station ihrer Flucht war das serbische Belgrad, Austragungsort der Hallen-WM. Über 2000 Kilometer Wegstrecke, über 60 Stunden Fahrtzeit, kaum Training – und doch überquerte die Ukrainerin Mitte März die 2,02 Meter und holte den Titel. Ihr Sponsor Puma holte sie nach Deutschland, die Familie holte die Olympia-Dritte von Tokio nach. Mit Mutter, Schwester und ihrer Nichte lebt sie mittlerweile in Erlangen. Ihr Vater und ihr Großvater aber blieben zurück. „Ich würde jetzt gerne nach Hause gehen und auch mit ukrainischen Journalisten über diese WM reden“, sagte sie Eugene. „Doch die Russen haben mir das genommen, sie haben uns allen so viel genommen.“ Mit dem Sport kann sie die Realität zwar für wenige Stunden vergessen, verdrängen aber lässt sich das tägliche Greul auch mit hunderten Trainingssprüngen nicht. Als Jaroslawa Mahutschich vor wenigen Tagen in Eugene die Qualifikation fürs Finale erreichte, schlugen in ihrer Heimatstadt Dnipro wieder Raketen ein. Die Nachrichtenagenturen meldeten mindestens drei Tote und viele Verletzte – die Hochspringerin konnte sich nicht über den ersten kleinen Erfolg ihrer WM-Mission freuen.

Hochspringerin Jaroslawa Mahutschich.
Hochspringerin Jaroslawa Mahutschich. © dpa

Auch Hochspringer Andrej Protsenko hatte in Eugene Edelmetall geholt. Bronze, es war am Vortag des Silber-Gewinns von Jaroslawa Mahutschich die erste Medaille für die Ukraine, die mit 20 Athleten in den USA vertreten ist. Finanzielle Unterstützung für die WM-Vorbereitung erhielten die ukrainischen Starter vom Leichtathletik-Weltverband. Der hatte zuvor sämtliche Athleten, Betreuer und Offizielle aus Russland und Belarus wegen des Angriffskriegs von allen Veranstaltungen unter seiner Federführung ausgeschlossen. Auch die dreimalige Hochsprung-Weltmeisterin Marija Lassizkene aus Russland. Richtig, findet Jaroslawa Mahutschich. „Ich möchte keine Mörder auf der Bahn sehen. Eine Menge russischer Sportler unterstützen den Krieg, der schon wirklich viele unserer Sportler getötet hat.“

Kein Wort des Mitgefühls von der Russin

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Zur Russin Marija Lassizkene habe sie früher ein gutes Verhältnis gehabt. Aber der Krieg habe alles verändert. Von Lasizkene sei kein Wort des Mitgefühls oder der Unterstützung gekommen, erzählte Mahutschich. Nun will sie sich mit dem ukrainischen Team auf die EM in München vorbereiten (ab 15. August). Dort wird sie weiter mit den Mitteln des Sports kämpfen, um so ihre Heimat zu unterstützen. „Ukrainer sind stark“, sagte sie noch in Eugene, bevor die Pressesprecherin des Teams sie Richtung Ausgang geleitete. „Wir werden für unser Land und für unsere Unabhängigkeit kämpfen.“