Eugene. Eugene in den USA ist ein Leichtathletik-Mekka. Im Geburtsort von Nike wird gerade die WM ausgerichtet. Aber warum in der Provinz?

Schon vor dem Abbiegen auf den Uni-Campus weist das riesige Schild einer Pizzeria auf das Ziel der Reise. „Track Town Pizza“ steht dort in großen Lettern, aber hingewiesen werden müssen die derzeit Anreisenden darauf ohnehin nicht. Leichtathletik-Fans wissen um den Beinamen des angesteuerten Orts und den Ruf der dort ansässigen Universität von Oregon: Eugene, eine 170.000-Einwohner-Stadt im Nordwesten des Landes, ist auch als Track Town USA bekannt. Mitten in der Provinz, umgeben von Feldern und Hügeln liegt sie also: die US-Hauptstadt der Leichtathletik.

Derzeit ist Eugene gar die Leichtathletik-Hauptstadt der Welt. Rund 1900 Athleten aus 192 Ländern ermitteln hier noch bis zur Nacht auf Montag ihre Weltmeister. Im Hayward Field, dem bekanntesten Leichtathletik-Stadion der USA. Dem Feld der Träume einer ganzen Sportart. Die amerikanische Langstreckenlegende Steve Prefontaine lief im Trikot des Oregon-Universitätsteams, er wird hier noch immer verehrt wie ein Rockstar und trat 1975 nicht weit vom Stadion entfernt auch wie einer ab: Sein goldfarbener Sportflitzer crashte in eine Felswand, der Olympiateilnehmer von München wurde nur 24 Jahre alt.

Voll auf Läufern, Werfern und Springern ausgerichtet

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Auch Zehnkämpfer Ashton Eaton wurde in Eugene zur Ikone geschliffen, die Karrieren zahlreicher weiterer Olympiagoldgewinner der vergangenen Jahrzehnte nahm hier ihren Anfang. Ihre Namen sind auf Pflastersteinen vor dem Eingang des Stadions verewigt, in dem auch sonst keine Fußbälle geschossen oder Footballs geworfen werden. Hayward Field ist ein reines Leichtathletik-Stadion. Die olympische Kernsportart mag seit dem Karriereende von Usain Bolt keinen Superstar mehr aufbieten, doch unter den WM-Teilnehmern gilt das Stadion als eigentlicher Star der WM. Es ist vollständig auf die Bedürfnisse von Läufern, Werfern und Springern ausgerichtet, selbst die Zugänge zu den Zuschauerrängen sind mit Laufbahn-Kunststoff ausgelegt. „Es ist ein Ort voller Magie“, sagte Allyson Felix, die erfolgreichste Leichtathletin der Welt. Die US-amerikanische Läuferin schätzte sich „unendlich glücklich“, als sie dort vergangenen Freitag ihre medaillenreiche Karriere beendeten konnte. „Es herrscht eine so gute Energie in diesem Stadion.“

Bis hierhin klingt das alles wie ein wahrgewordenes Sportmärchen. Erstmals sind die USA, die immer wieder dominante Leichtathleten hervorgebracht haben, auch Ausrichter einer WM. In einem Stadion voller Geschichte, an einem Ort, an dem der Stellenwert dieses Sports nicht von Football und Basketball überschattet wird. Und doch ist das Hayward Field für eine WM mit seinen derzeit 30.000 Plätzen eigentlich zu klein. Statt wie sonst üblich in Sternehotels leben die Athleten in Studentenwohnheimen. Und es gibt noch immer Ungereimtheiten rund um die Vergabe dieser WM.

Der Geburtsort von Nike

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2015 bekam Eugene überraschend den Zuschlag vom Welt-Leichtathletikverband. Ohne Ausschreibungsverfahren, trotz Interesse aus Schweden. Warum? Eine mögliche Antwort hat mit einem ehemaligen Absolventen der Oregon-Universität zu tun. Mit Phil Knight, Mitteldistanzläufer in den 1950er-Jahren. Der heute 84-Jährige importierte einst japanische Laufschuhe und entwickelte später eigene. Es war der Anfang des Sportartikelgiganten Nike.

Das Finale im Hindernislauf bei der WM in Eugene.
Das Finale im Hindernislauf bei der WM in Eugene. © dpa

Der Weltkonzern hat seine Zentrale noch immer in Oregon, im nicht weit entfernten Beaverton. Mit der WM im Jahr 2021, dem vor der coronabedingten Olympia-Verschiebung angedachten Austragungsdatum, wollte Nike sich selbst zum 50. Jubiläum beschenken.

Nike und Eugene, Nike und die Universität von Oregon – sie gehören untrennbar zusammen. Mit hunderten Millionen Dollar hat Knight seine Alma Mater in den vergangenen Jahrzehnten unterstützt. Selbst das Logo der Uni-Sportteams wurde von Nike gestaltet, zuletzt wurde das Stadion durch Knight für 270 Millionen Dollar renoviert. Darin ein Museum mit einer Statue von Bill Bowerman. Der zog als Trainer des Uniteams die Langläufer um Prefontaine heran, 1971 wurde er Knights Partner. Nikes steiler Aufstieg begann, auch durch den von Bowermans Erfolgen entfachtem Laufboom in den USA, der über den ganzen Globus schwappte. Seitdem joggt die Welt.

Verdacht besteht - Beweise fehlen

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Was all das mit der WM-Vergabe zu tun hat? Der damalige Leichtathletik-Weltverbandschef Lamine Diack wurde später in mehreren Fällen der Korruption überführt. Sein damaliger Stellvertreter und Nachfolger ist Sebastian Coe. Der zweimalige Olympiasieger war zu jenem Vergabe-Zeitpunkt auch hochbezahlter Nike-Repräsentant. Bis heute bestreitet der 65-jährige Brite unlautere Lobby-Arbeit, auch wenn ein der BBC vorliegender E-Mailverkehr dies durchaus nahelegt. Bewiesen werden konnte allerdings nichts.

Und so argumentiert Coe bis heute, dass die WM in Eugene dem Wohle der Leichtathletik diene. Der wichtige US-Markt solle zurückerobert, die auch in den Staaten an Zugkraft verlierende Sportart solle gestärkt werden, um die Vorfreude auf Olympia 2028 in Los Angeles zu erhöhen. Nike selbst tritt nicht direkt als Sponsor in Erscheinung, vom gewohnten geschwungenen Haken auf Trikots und Schuhen der Athleten mal abgesehen. Doch Nike, das Gefühl lässt sich nicht verdrängen, umgibt Hayward Field wie die Luft zum Atmen.

Große Konkurrenz schien Eugene ohnehin nicht gehabt zu haben. Miami, Los Angeles, Chicago – die Metropolen stehen Schlange für die Ausrichtung des Super Bowls oder des NBA-All-Star-Wochenendes. Nicht aber für eine Leichtathletik-WM. Man habe nicht die Qual der Wahl gehabt, gab Sebastian Coe jüngst zu. Jessica Gabriel, Sprecherin des WM-Organisationskomitees, wurde noch deutlicher: „Finden Sie mal jemand anderes, der bereit ist, die WM auszurichten.“