Espelette. Geraint Thomas steht unmittelbar vor seinem ersten Gesamtsieg bei der Tour de France. Das Einzelzeitfahren gewann Tom Dumoulin.

Da war er, dieser Alles-kann-noch-passieren-Moment, vor dem Geraint Thomas immer gewarnt hatte. Ungefähr nach 18 Kilometern des Einzelzeitfahrens rutschte der Waliser in einer Kurve auf dem feuchten Asphalt weg. Das Rad schwenkte aus, Thomas‘ Hände klammerten sich an den Spezial-Lenker. Und zu seinem Glück: Das Rad stabilisierte sich.

Wals hat einen neuen Nationalhelden

Geraint Thomas setzte seine Fahrt fort zum ersten Gesamtsieg bei der Tour de France. „Mein sportlicher Leiter hat mir gesagt, ich soll nicht so schnell durch die Kurven fahren. Ich habe versucht, nicht mehr daran zu denken und einfach weiterzufahren“, erinnerte sich der 32 Jahre alte Sky-Profi. Nach 13 weiteren Kilometern hatte es Thomas ins Ziel nach Espelette nahe der spanischen Grenze geschafft. Jetzt endlich durfte seine Frau Sara Elen ihm gratulieren, jetzt endlich strahlte Thomas, der sich so lange zurückhaltend gegeben hatte. Bei der letzten Etappe an diesem Sonntag sind Attacken auf das Gelbe Trikot verpönt. Die Gewissheit, heute als Sieger auf den Champs-Élysées zu fahren, löste beim neuen walisischen Nationalhelden Tränen der Freude aus: „Ich bin sprachlos. Das letzte Mal geweint habe ich bei meiner Hochzeit.“ Er werde jetzt „ein, zwei Bier trinken. Die Feier hebe ich mir für Paris auf.“

Thomas‘ Tagesziel am Samstag konnte nur lauten, den Vorsprung auf den Zweiten Tom Dumoulin zu verwalten. Der niederländische Zeitfahr-Weltmeister hat auf kurzen Strecken seine Stärken und zeigte das auch. Knapp vor Chris Froome und Geraint Thomas gewann der 27-Jährige die vorletzte Etappe. Für ganz oben reichte es nicht, aber nach dem zweiten Platz beim Giro ist dieser Erfolg sehr beachtlich „Ich bin sehr glücklich mit Platz zwei“, sagte Dumoulin und sprach Thomas seinen Respekt aus: „Er ist absolut unglaublich. Er war in der Form seines Lebens.“

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Und am letzten Tag geht es für Thomas nur noch darum, heil ins Ziel zu kommen. „G“ wird der dritte Brite sein, der das Gelbe Trikot gewinnt. Er führt die Ära Sky fort, nachdem Bradley Wiggins (2012) und Chris Froome (2013, 2015 bis 2017) auf den Champs-Élysées triumphiert hatten.

Froome scheitert am Double

Eine andere Ära scheint derweil beendet zu sein: Froome scheiterte am Double aus Giro d’Italia und Tour de France, das zuletzt Marco Pantani vor 20 Jahren gelungen war. Immerhin konnte der 33-Jährige noch Platz drei im Gesamtklassement zurückerobern. „Wir sind in den letzten zehn Jahren Freunde geworden. Er ist ein großer Teil meiner Siege gewesen“, sagte Froome am Samstag über Thomas, „ich bin wirklich stolz auf ihn.“

Die Italien-Rundfahrt, aber auch die andauernde Debatte um die Salbutamol-Affäre schienen beim gebürtigen Kenianer Spuren hinterlassen zu haben. „Ich glaube immer noch, dass das Double möglich ist“, sagte Froome. Er habe bis zum letzten Tag auf den Sieg bei der Tour gehofft. Im Ziel gab er sich gelöst und spaßte mit Dumoulin. Ein Bild, das im Einklang steht mit den vergangenen Wochen: Froome blieb durchgehend ruhig und kollegial. Auch eine beachtliche Leistung angesichts der Pfiffe, die ihn vom Start der Tour auf jedem Kilometer verfolgten.

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Schaulaufen auf den Champs-Élysées

Thomas kann sich dagegen heute beruhigt das erste Gläschen Champagner auf dem Rad genehmigen. Für ihn wird der 116 Kilometer langen Schlussabschnitt zum Schaulaufen. Da auch alle anderen Trikots vergeben sind, dürfte es im Massenspurt nur noch um den Tagessieg gehen. Wegen der vielen schon ausgeschiedenen Top-Sprinter und dem angeschlagenen Peter Sagan haben Außenseiter Chancen auf eine Überraschung.