Laruns. Geraint Thomas fährt sicher dem Tour-Sieg entgegen. Favorit Chris Froome ist nur noch Vierter - hinter Etappensieger Primoz Roglic.

Als die Fahrer die Wolken vom Col d’Aubisque hinter sich ließen, als der ehemalige Skispringer Primoz Roglic wie auf einer Schanze zu seinem ersten Etappensieg bei dieser Tour raste, als Geraint Thomas vor seinem ärgsten Konkurrenten Tom Dumoulin ins Ziel fuhr, wusste Chris Froome, das es Zeit wird. Der 33-jährige Brite klopfe seinem Sky-Teamkollegen auf die Schulter und zeigte ihm sein freundlichstes Lächeln: Gut gemacht, mein Freund. Jetzt hol ihn dir, den Sieg bei der 105. Tour de France. „Das war ein großer Tag heute“, sagte Thomas. „Aber morgen wird noch einmal ein sehr, sehr harter Tag.“

Roglic verdrängt Froome im Tour-Gesamtklassement

Der viermalige Champion Froome hatte etwas länger Zeit, um sich auf die Geste vorzubereiten. Am Ende der Spitzengruppe fuhr er ins Ziel, den Sprint ging er gar nicht mehr mit. Der Slowene Roglic vom Team Lotto-NL-Jumbo hatte ihn mit seiner rasanten Abfahrt sogar vom dritten Platz im Gesamtklassement verdrängt. Nun kann der eigentliche Sky-Kapitän diesen am Samstag im Einzelzeitfahren zurückerobern. Aber das Titel-Rennen ist für Froome gelaufen. Ein zweites Wunder wie beim Giro d‘Italia wird es wohl nicht mehr geben.

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Auf 200,5 Kilometern von Lourdes nach Laruns reihten sich die Pyrenäenklassiker wie ein Gruselkabinett des Radsports, darunter der Col du Tourmalet und der Col d’Aubisque. So viel Schweiß, so viel Blut wurde hier vergossen, so viele Nervenstränge zum Bersten gebracht. Das wäre Froomes Augenblick gewesen, um wie bei der Italien-Rundfahrt alle zu überraschen. Man wartete, man beobachtete ihn, Froome hechelnd, Froome wie eine Nähmaschine tretend, Froome, der dank seines jungen kolumbianischen Helfers Egan Bernal die Lücken zufuhr, aber Froome, der unheimliche Froome, der der Konkurrenz davon rast wie im Mai Adam Yates? Nicht heute. Und vielleicht nie wieder.

Der nächste Chris Froome steht schon bereit. „Ich habe noch nie einen so talentierten 21-Jährigen gesehen“, sagt Sir Dave Brailsford über Egan Bernal. „Er hat eine große Zukunft vor sich.“ Der Sky-Teamchef muss dieser Ansicht sein, schließlich hat er Bernal von der italienischen Zweitliga-Mannschaft Androni Giocattoli-Sidermec zum britischen Exzellenz-Team geholt. Warum, das war bei dieser Tour zu sehen: Bernal machte in Alpe d’Huez das Tempo für Thomas. Auf der Express-Etappe zum Col du Portet, als Froome seine Chance aufs Gelbe Trikot verlor, half Bernal dem Champion. Und auch am Donnerstag zog er Froome immer wieder nach vorne. Wenn Geschichte zirkulär verläuft, dann ist sie auf diesem Col du Portet am Startpunkt angelangt: Vor sechs Jahren war es Froome, der seinen Kapitän Bradley Wiggins in den Pyrenäen unterstützte.

Peter Sagan erreicht das Ziel im Zeitlimit

Auch die Geschichte der Pyrenäen-Etappen wiederholt sich seit ihrer Einführung 1910. Schon damals schwante Tour-Gründer Henri Desgrange Böses, als ihm Chefplaner Alphonse Steines diese Route vorschlug. „An unseren Händen wird Blut kleben“, soll er damals gesagt haben. Bei der ersten Befahrung des Col d’Aubisque zementierte der spätere Gesamtsieger Octave Lapize den Mythos des menschenverachtenden Berges mit dem berühmten Satz ein: „Ihr seid alle Mörder!“ Am Donnerstag hätte sich beinahe Peter Sagan in den tragischen Geschichtsteil eingetragen. Auf dem Anstieg zum Col d’Aspin geriet der dreimalige Etappensieger in arge Schwierigkeiten. Dem 28-jährigen Slowaken schien der Sturz am Mittwoch das Genick zu brechen. Doch der „Löwe“ Sagan, wie er sich selbst bezeichnete, erreichte mit Hilfe seiner Bora-Teamkollegen das Ziel im Zeitlimit. Wenn er jetzt nicht stürzt, stellt Peter Sagan am Sonntag den Rekord von Erik Zabel ein und holt zum sechsten Mal das Grüne Trikot.