Sotschi. Sotschi stand für ein Zukunftsversprechen des deutschen Fußballs. Doch nun müssen dort die gegenwärtigen Probleme behoben werden.

Der Blick aus dem Zimmer macht Joachim Löw Freude. Wenn der Bundestrainer die Vorhänge im Radisson Blu Paradise Ressort in Sotschi zur Seite zieht und aus dem Fenster sieht, breitet sich vor ihm ein mediterranes Ensemble aus. Das Schwarze Meer reicht bis zum Horizont, davor liegt ein Steinstrand. Auf der Promenade spazieren Badegäste und ein paar Straßenverkäufer, die Papageien und Affen auf ihren Schultern tragen. Ein Ort der Leichtigkeit ist das. Und dann ist da ja auch noch das „Morskoy Bereg“.

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Das fußläufig vom Radisson Blu entfernte Café hat den Vorteil, einen formidablen Café auf der Karte zu führen. Löw kehrte hier gern ein, setzte sich auf die Terrasse und trank unbehelligt von der Weltöffentlichkeit Espresso in der Sonne – damals, vor einem Jahr, als die Dinge noch leichter waren als heute.

DFB-Team wohnte während des Confed Cups in Sotschi

Der Bundestrainer ist am Dienstag mit der deutschen Nationalmannschaft aus dem für das Auge doch freudlosen Watutinki ausgezogen, um das WM-Quartier bis zum zweiten Gruppenspiel gegen Schweden am Sonnabend (20 Uhr/ARD) in Sotschi aufzuschlagen. Jener Ort, in dem Löw und seine Spieler 2017 die meiste Zeit während des Confed Cups gewohnt hatten. Es war ein Wettbewerb, der zunächst als lästige Pflicht empfunden wurden, der am Ende aber zu einem Jungbrunnen mutierte – für Löw selbst und den deutschen Fußball insgesamt. So dachte man. Der DFB hat nun wieder dasselbe Hotel wie damals gebucht. Es liegt direkt am Strand. Und dieser verlängerte Teamausflug an einen der beliebtesten Erholungsorte der russischen Föderation ist ein Kompromiss. Denn was man so hört, hätte sich Löw Watutinki gern erspart und für die gesamte WM das „Campo Sotschi“ gegründet. Nationalelf-Direktor Oliver Bierhoff aber soll sich durchgesetzt haben – und es macht den Eindruck, als liege darin eine Konflikt, dessen Größe noch nicht abzuschätzen ist. „Wir freuen uns auf den Tapetenwechsel“, sagte Kapitän Manuel Neuer am Dienstag vor der Abreise. Für Löw ist es eine Rückkehr nach Sotschi – aber in einer anderen Stimmung, als er den Ort vor einem Jahr verlassen hatte.

„Deutschland ist immer noch die beste Mannschaft der Welt“, sagte Löw am Abend des 2. Juli 2017 im Stadion von St. Petersburg. Eben hatte seine Gelegenheitsmannschaft aus Talenten (Leon Goretzka, Timo Werner, Niklas Süle) und Spätstartern (Lars Stindl, Sandro Wagner) Chile bezwungen und damit überraschend den Confed Cup gewonnen. Vor ihm stand der goldene Pokal. Er war nass, weil Süle und ein paar Euphorisierte im Team zur Feier des Tages den Raum geentert und Bier verspritzt hatten. Löw war stolz. Dieser Erfolg sei etwas „Historisches“, sagte er. Die internationale Presse sah darin sogar nicht weniger als die Verteidigung der Weltherrschaft: Die spanische „El Pais“ nannte Deutschland „die weltweite Bezugsgröße“. Der britische „Guardian“ schrieb: „Es kann keinen Zweifel geben: Deutschland ist die beste Fußballnation der Welt.“ Zwei Tage zuvor hatte die U21-Auswahl gegen Spanien auch das EM-Finale gewonnen. Es war ein goldener Sommer, in dem die Zukunftstauglichkeit des deutschen Fußballs als bewiesen galt.

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Ein Jahr später kehrt Löw nun unter völlig anderen Vorzeichen nach Sotschi zurück. Zwar standen mit Werner, Joshua Kimmich, dem kurzfristig herein gerückten Marvin Plattenhardt und Julian Draxler vier Confed-Cup-Sieger in der Startelf beim 0:1 gegen Mexiko. Aber die Machtzentrale dieser WM-Mannschaft bilden weiter die Weltmeister, die schon 2010 in Südafrika Seite an Seite standen. Mit knapp 28 Jahren im Schnitt war das Team gegen Mexiko das älteste deutsche bei einem WM-Spiel seit dem Finale von 2002.

Bundestrainer Löw konnte 2017 wieder Fußballlehrer sein

Dass Löw vielleicht die Erneuerungsprozesse, die in Sotschi 2017 angestoßen wurden, nicht konsequent genug fortgeführt hat, könnte das große Narrativ dieser WM werden, sollte tatsächlich ein frühes Aus auf Deutschland warten. Spieler wie den Innenverteidiger Süle und vor allem Goretzka, dem heimlichen Star des Confed Cups, hat Löw noch nicht mit vertrauensvollen Aufgaben betreut.

Löws Freude von damals lag auch darin begründet, dass er wieder Fußballlehrer sein konnte. Süle, Werner und Plattenhardt konnte er im Training noch etwas beibringen – was bei einem Toni Kroos eher nicht zutrifft. Auch deshalb nannte Löw den Confed Cup „ein Geschenk“ und blühte förmlich auf während des Turniers. Doch nun, da die Weltmeister von 2014 etwas welk wirken, ist Löw als Krisenmanager gefragt. Er muss einen Weg aus der Misere finden – und vielleicht liegt dieser noch mehr in der Mitte zwischen Rio 2014 und Sotschi 2017.

Löw hat übrigens selbst nie an ein deutsches Abonnement der Hegemonie im Weltfußball geglaubt. Am Finalabend in St. Petersburg vor einem Jahr sagte er: „Der Confed-Cup-Sieg und die U21-EM sind ja keine Garantien, um Weltmeister zu werden. Bei einer WM muss alles passen, man muss fast Unmenschliches leisten.“ Noch nie hat eine Nation, die den Confed Cup gewann, ein Jahr später auch den WM-Titel geholt. Es ist nun also nicht weniger nötig als etwas Historisches.