Am Fuße des alten Hochofens erhalten die Besucher einen Schutzhelm, anschließend geht es per Fahrstuhl ins Herz eines eisernen Giganten: der Völklinger Hütte im Saarland. In 45 Meter Höhe fällt der Blick auf riesige rostrote Röhrenstränge. Durch sie fegte bis 1986 rund 1200 Grad heiße Luft,um die sechs Hochöfen der Eisenhütte zu beatmen. Über 250 Meter erstreckt sich allein der Hochofentrakt. Das Werksgelände umfaßt 600 000 Quadratmeter und ist das weltweit einzig vollständig erhaltene Eisenwerk aus der Blütezeit der Industrialisierung. Die ausgediente Hütte ist Teil der "Europäischen Straße der Industriekultur", einem Netzwerk verschiedener Regionen.

In dieser Woche trafen sich 20 Projektpartner aus Großbritannien, den Niederlanden und Deutschland in der Völklinger Hütte, um die 2000 ins Leben gerufene Idee einer grenzüberschreitenden Straße der Industriekultur voranzutreiben. Sie ist keine feste Route, sondern eher ein roter Faden der wichtigsten Standorte alter Industrieregionen - Nordwesteuropa gilt als Kinderstube der Industrialisierung. Gemeinsam wollen die Regionen ihre industriellen Glanzstücke bewerben, darunter eine Whisky-Destillerie im Norden Schottlands, Bahnhof und Fabrikhallen in Manchester, die weltweit älteste gußeiserne Brücke (Ironbridge) in Großbritannien, ein Gezeitenkraftwerk in den Niederlanden, Textilverarbeitung in Belgien.

Die Initiative für das europäische Netzwerk kam aus Nordrhein-Westfalen. Im Ruhrgebiet besteht seit 1999 die Route der Industriekultur. Auf ihr liegen zum Beispiel die Essener Zeche Zollverein XII, der Landschaftspark Duisburg- Nord und das Deutsche Bergbaumuseum in Bochum. Ministerien, Universitäten und Stiftungen in Großbritannien, den Niederlanden, Belgien und dem Saarland griffen die Idee auf; die Länder bilden das erste Teilstück der europäischen Route, die langfristig bis nach Spanien und ins polnische Oberschlesien reichen soll.

Die Völklinger Hütte ist ein Leuchtturm der Route. Die ausgediente Eisenschmelze am Ufer der Saar wurde 1873 gegründet. Ihre beste Zeit hatte sie in den 60er Jahren. Damals arbeiteten hier und in der angeschlossenen Kokerei (68 Öfen zur Koksherstellung) mehr als 17 000 Menschen. Doch Mitte der 70er Jahre erfaßte die weltweite Stahlkrise auch Völklingen. Nach einem Jahrzehnt des Hoffens und Bangens war 1986 endgültig Schluß. Zurück blieben gigantische Stahlkonstruktionen, die demWerk eine bizarre Silhouette verleihen - 1994 wurde das industrielle Kunstwerk von der UNESCO zumWeltkulturerbe erklärt.

Stundenlang können Schaulustige zwischen rostenden Kolossen über das ehemalige Werksgelände schlendern. Im Hochofentrakt steigt der Geruch des Eisens in die Nase, ein paar Schritte weiter, in der ehemaligen Kokerei, riecht es nach Teer. Aus den Ritzen der brüchigen Steinplatten sprießt wildes Grün, blüht in verschiedenen Farben - die Natur erobert Terrain zurück, das vor Jahrzehnten, wie auch der Ort Völklingen, im Staub und Dreck zu ersticken drohte. Davon zeugen Bilder und Filme, die die harte Arbeit der Stahlkumpel eindrucksvoll vor Augen führen.

Heute ist die Luft über der Hütte klar. Das Werk ist nicht nur ein Industriedenkmal, sondern längst auch ein Veranstaltungsort.

Sie inspirierte wohl auch die Teilnehmer der Tagung zur Europäischen Straße der Industriekultur. Sie sei "wie ein Laboratorium Europas" gewesen, sagt Dr. Meinrad Maria Grewenig, Generaldirektor des Weltkulturerbes Völklinger Hütte. "Es ist sehr spannend. mitzuerleben, wie unterschiedliche nationale Mentalitäten mit dem gemeinsamen Ziel, Industriekulturstandorte europaweit zu plazieren, zusammenkommen und den jüngsten und wichtigsten Teil unserer Kultur damit einer internationalen Öffentlichkeit näherbringen."

  • Weitere Informationen: Die Völklinger Hütte ist noch bis zum 1. 11. geöffnet. Auskünfte unter Tel. 06898/910 01 00 und im Internet: www.voelklinger-huette.de